STEINKOHLE
Der lange Abschied hat begonnen. Ein neuer Name und hohe Summen.
Abgesang auf eine Ära: Mit dem Steinkohlefinanzierungsgesetz läutet die Bundesregierung das Ende des subventionierten Steinkohlebergbaus in Deutschland ein. Der Bundestag hat den Gesetzentwurf ( 16/6384 ), der den Finanzierungsanteil des Bundes von 2009 bis zum geplanten Auslaufen im Jahr 2018 regelt, am 21. September in erster Lesung zur Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen. In der Debatte stellte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) klar, dass das Ende des subventionierten Steinkohlebergbaus nicht zwangsläufig auch das Ende des Steinkohlebergbaus überhaupt bedeuten muss.
Die Regierung beziffert den gesamten Finanzierungsbedarf auf bis zu 38 Milliarden Euro. Der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und das Saarland hatten sich im Februar darauf verständigt, die subventionierte Förderung der Steinkohle Ende 2018 "sozialverträglich" zu beenden. Im Jahr 2012 soll der Bundestag die Vereinbarung zum Auslaufen der Kohleförderung überprüfen. Laut Regierung steht der Beitrag, den der deutsche Steinkohlebergbau zur Versorgung der deutschen Wirtschaft leistet, in keinem angemessenen Verhältnis zum Subventionsaufwand. 2006 habe die deutsche Steinkohle den deutschen Primärenergieverbrauch nur noch zu 4,4 Prozent gedeckt. Die nach dem Ende der subventionierten Kohleförderung weiterbestehenden Verpflichtungen des Energiekonzerns Evonik Industries, vormals RAG AG, die so genannten Ewigkeitslasten, sollen nicht über Beihilfen finanziert werden. Diese Lasten umfassen die Grubenwasserhaltung, die Dauerbergschäden und die Grundwasserreinigung. Sie sollen von der neugegründeten Kohle-Stiftung im Rahmen eines Erblastenvertrages zwischen der Stiftung und den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland aus dem Stiftungsvermögen finanziert werden. Das dafür notwendige Finanzvolumen beträgt laut Regierung bezogen auf das Jahr 2018 bis zu 6,87 Milliarden Euro. Die beiden Bundesländer sichern die Finanzierung dieser Ewigkeitslasten für den Fall zu, dass das Stiftungsvermögen nicht ausreicht. In diesem Fall müsste sich auch der Bund mit einem Drittel beteiligen.
Zudem soll das Anpassungsgeld für die Bergarbeiter weitergezahlt werden. Wer wegen einer Stilllegung oder einer Rationalisierung bis Ende 2022 seinen Arbeitsplatz verliert, kann dem Entwurf zufolge nach der Entlassung bis zu fünf Jahre lang Anpassungsgeld erhalten. Für die anteilige Finanzierung durch den Bund sind aus dem Bundeshaushalt in den Jahren 2009 bis 2027 bis zu rund 1,4 Milliarden Euro vorgesehen. Das Anpassungsgeld erhalten Bergleute, die unter Tage arbeiten, wenn sie zum Zeitpunkt der Entlassung mindestens 50 Jahre alt sind. Die über Tage Beschäftigten müssen mindestens 57 Jahre alt sein.
Das gesamte ab 2009 für das Auslaufen des Steinkohlenbergbaus nötige Subventionsvolumen einschließlich der zu erwartenden Zahlungen für das Anpassungsgeld beziffert die Bundesregierung auf bis zu 21,6 Milliarden Euro. Der Anteil des Bundes daran beläuft sich danach auf 15,58 Milliarden Euro und der Nordrhein-Westfalens auf bis zu 3,92 Milliarden Euro. Das Saarland beteiligt sich an diesen Kohlehilfen nicht. Hinzu kommen Eigenbeiträge der Evonik in Höhe von 965 Millionen Euro, von denen 285 Millionen Euro auf den Ausgleich des fehlenden Saarland-Anteils entfallen. Bis zu rund 2 Milliarden Euro entfallen auf das Anpassungsgeld.
Kritik an der Vorlage äußerte im Bundestag die Opposition. Gudrun Kopp (FDP) klagte, dass fast 40 Milliarden Euro in "dunkle Schächte statt in helle Köpfe" investiert würden. Dem hielt Rolf Hempelmann (SPD) entgegen, dass sich gelohnt habe, in die Kumpels zu investieren, denn das seien "helle Köpfe". Hans-Josef Fell (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von "hochsubventionierter Klimazerstörung und Geldverschwendung". Für Ulla Lötzer (Die Linke) stellen die Pläne ein "dreistes Kapitel der Umverteilung von öffentlichem Vermögen in die Hände privater Aktionäre" dar.
Auf Empfehlung des Wirtschaftsausschusses ( 16/5947 ) lehnte der Bundestag einen Antrag der Linken ( 16/3695 ) ab, auf den Evonik-Börsengang zu verzichten und beim künftigen Kohlebergbau "soziale und ökologische Aspekte" zu berücksichtigen. Anträge der FDP, den Börsengang marktwirtschaftlich auszurichten ( 16/5422 ) und der Linken, Evonik statt eines Börsenganges in eine Stiftung des öffentlichen Rechts zu überführen ( 16/6392 ), will der Bundestag mit dem Gesetzentwurf zusammen beraten.
Das blaue Logo der RAG ist inzwischen dem Purpur von Evonik gewichen, und zur Begrüßung heißt es auch nicht mehr "Glückauf". Evonik sei ein Kunstname, räumte Konzernchef Werner Müller ein, als er das Geheimnis um die neue Firmierung lüftete. Evonik steht auf den drei Säulen Chemie, Energie und Immobilien und setzt mit 43.000 Mitarbeitern knapp 15 Milliarden Euro um. Zu dem neuen Konzern war die RAG in den vergangenen drei Jahren unter Müllers Ägide radikal umgebaut worden. 480 Unternehmen mit gut 8 Milliarden Euro Umsatz und rund 35.000 Mitarbeitern wurden abgegeben. Zuletzt erfolgte die Trennung vom Bergbau, der in Deutschland im Jahre 2018 auslaufen soll. Mit der Taufe auf Evonik gehen auch die bisherigen Traditionsnamen der Töchter Degussa (Chemie) und Steag (Stromwirtschaft) unter. Der Namen RAG ist künftig der Bergbaugesellschaft vorbehalten.
Evonik soll künftig der Kohle-Stiftung gehören, die den Gang des Unternehmens an den Kapitalmarkt realisieren und mit den erhofften Erlösen in Milliardenhöhe die Abwicklung des Bergbaus bezahlen soll. Zur Finanzierung benötigt die neue Stiftung so schnell wie möglich Geld. Überlegt wird deswegen, vor dem Börsengang eine Aktientranche an einen Investor zu verkaufen. Die Satzung der RAG-Stiftung schreibe den Börsengang verbindlich vor. Die Alternative eines vorherigen Aktienverkaufs sei vom Willen der Stiftungsgründer aber gedeckt, um die Attraktivität von Evonik vor einem Börsengang steigern zu können, sagte Müller. Denn es werde nur dann ein Investor als neuer Anteilseigner aufgenommen, wenn dieser einen deutlich höheren Preis böte als die erste Tranche an der Börse erlösen würde. "Entschieden ist aber noch nichts", versicherte Müller.
Die RAG in der alten Konstellation hatte keinen Zugang zum Kapitalmarkt. Das sei heute anders, und das liege an dem Stiftungsmodell, sagte Müller. Der Industriekonzern werde in wenigen Wochen aus dem Haftungsverbund mit dem Bergbau entlassen. Dann habe er endlich Chancengleichheit im Wettbewerb mit anderen Konzernen. Dem Bergbaubereich ermögliche das Modell Planungssicherheit und den Bergleuten biete es garantierten Schutz vor Kündigungen. Der Steuerzahler würde um die Kosten für die Ewigkeitslasten von rund 8,4 Milliarden Euro befreit. Die Stiftung soll Eigentümerin der Evonik werden, sobald das Gesetz verabschiedet ist.