AUFBAUHILFE
Internationale Hilfsorganisationen versuchen das Vertrauen der Bevölkerung in Afghanistan zu gewinnen. Aber aufständische Gruppierungen machen ihnen das Leben schwer.
Enayat Ibrahimi verkörpert mit 30 Jahren die Zukunft Afghanistans. Zur Zeit plant der Jungunternehmer vor den Toren von Kabul einen grossen Schlachthof, in dem 150 Rinder und Kühe industriell verarbeitet werden sollen. Das Fleisch soll ab dem Frühjahr nicht mehr aus Pakistan, Tadschikistan oder dem fernen Ausland importiert werden. "Made in Afghanistan" soll zu einem Gütesiegel werden. Schon jetzt arbeitet Enayat mit Tiefkühltruhen. In seinem Geschäft hängt das Fleisch nicht - wie in Kabul sonst üblich - im Freien, den Abgasen und Fliegen ausgesetzt. Enayats Schlachthof könnte eine der Erfolgsgeschichten werden, nach denen Hilfsorganisationen und Geberländer immer dringlicher Ausschau halten - angesichts zunehmender Negativschlagzeilen. Dabei nimmt Enayat weder Geld von Hilfsorganisationen in Anspruch noch staatliche Anschubhilfe. "Wir jungen Afghanen müssen das Land selbst wieder aufbauen", sagt er ohne jegliche Illusionen.
Als Standort für den Schlachthof hat er die Shamali-Ebene gewählt, nahe der geteerten Strasse wenige Kilometer nördlich von Kabul. Hierher kann man in der Regel sicher gelangen. In der Hauptstadt selbst gehen Verkehrspolizisten und Armee-Angehörige bei Sicherheitskontrollen energischer zu Werk als noch vor Jahresfrist. Gegen das Eindringen potenzieller Selbstmörder, besonders aus dem Nachbarland, scheinen sie allerdings machtlos. Vom Grenzübergang in Torkham, an der Grenze zu Pakistan, berichten Ankömmlinge, die Menschen überquerten den Schlagbaum dort ohne Personenkontrolle. Die Sicherheit selbst in die Hand nehmen soll das neue afghanische Heer. Dass es tatsächlich schon 40.000 gut gerüstete Soldaten zählt und in Kürze 70.000 erreichen wird, halten Beobachter für eine optimistische Schätzung. Armee und Polizei, ohnehin schlecht bezahlt, sehen sich zudem neuen Allianzen gegenüber. So machen kriminelle Banden und mutmaßliche Taliban neuerdings gemeinsame Sache.
"Die Regierung verliert täglich an Boden in den Provinzen", sagt ein internationaler Helfer. Er arbeitet für das "Echo"-Programm der EU an einer Informationskampagne. Ziel ist das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Haupttenor einiger Kurzfilme wird sein: "Wir sind neutral und machen keine gemeinsame Sache mit der Regierung." Das ist natürlich gelogen. So wird aber mittlerweile vorgegangen, um afghanische wie ausländische Mitarbeiter in den Provinzen in Sicherheit zu wiegen. Denn aufständische Gruppen warnen die Bevölkerung unter Androhung und Anwendung von Gewalt davor, mit Ausländern und der Regierung zusammenzuarbeiten. Entsprechend schwierig ist die zivile Aufbauarbeit in den Provinzen geworden. Mehr gut ausgebildetes Personal wird gebraucht. Afghanische Experten sind dabei am ehesten willkommen, weil die Entfremdung zu Ausländern wächst. Allerdings scheint der Aufbau vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage zurzeit kaum möglich. Selbst viele Kabulis verlassen ungern die Hauptstadt. Von Gesprächen mit gemäßigten Taliban erwarten befragte Afghanen keine grundlegende Wende. "Es gibt keine gemäßigten Taliban", sagt ein Intellektueller, der Kandidat bei den letzten Parlamentswahlen war. Besonders tadschikische Afghanen befürchten, eine wie auch immer geartete Annäherung unter paschtunischen Vorzeichen könnte auf ihre Kosten gehen. "Gespräche der Regierung mit Taliban hinter den Kulissen über die letzten Jahre haben diese erst wieder stark gemacht", kritisiert ein Journalist in Kunduz. Als Mindestbedingungen für einen Dialog hat die Karsai-Regierung die Anerkennung der Verfassung, die Sicherung verbriefter Frauenrechte und die Fortdauer der internationalen Militärpräsenz genannt. Dies kollidiert mit Forderungen der Taliban.
Immer deutlicher wird das Fehlen einer abgestimmten Strategie auf Seiten des Westens. Mittlerweile ist von "failed aid" in Afghanistan anstatt vom "failed state" die Rede. Ein afghanischer Staatsbeamter bemüht ein Bonmot: "Wenn man den Esel falsch bepackt, dann wird er nicht laufen."