DAHLMANN
Erinnerungen im Bundesrat
Es ist mehr oder minder guter Brauch, sich zu offiziellen Festlichkeiten einen Festredner einzuladen. Gerne genommen werden für solche Anlässe prominente Unterstützer, die loben, bestärken, die zu feiernde Angelegenheit positiv darstellen. So auch im Bundesrat, dessen Präsidentschaft jüngst von Mecklenburg-Vorpommern auf Hamburg wechselte. Mit dem kleinen Unterschied, dass der Prominente, der für die eigene Sache, in diesem Fall den Förderalismus, wirbt, schon fast 150 Jahre tot ist: Der Bochumer Politologe Wilhelm Bleek erinnerte bei der Präsidentschaftübergabe an einen der bedeutendsten politischen Professoren des 19. Jahrhunderts, Friedrich Christoph Dahlmann - einen überzeugten Föderalisten. Er ist exemplarischer Beweis dafür, dass der Föderalismus das Überleben sichert - manchmal im wahrsten Sinn des Wortes. Selbst Vorkämpfer für die Einheit Deutschlands, war es die deutsche Kleinstaaterei, die Dahlmann das Überleben sicherte: Als einer der so genannten "Göttinger Sieben", Professoren, die 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung im Köngreich Hannover protestierten, wurden er und seine Kollegen von der hannoverschen Landesuniversität Göttingen entlassen. Mit Preußens Hilfe fand Dahlmann eine Anstellung als Professor an der Reformuniversität Bonn. Während die Gebrüder Grimm, die auch zu den "Göttinger Sieben" gehörten, heute weltbekannt sind, ist der Initiator des Professorenprotests, Friedrich Christoph Dahlmann, in Vergessenheit geraten.
Dahlmann wurde 1785 in Wismar geboren. Nach dem Studium der Altertumswissenschaft wurde er 1812 Professor für Geschichte an der Universität Kiel. Im Kampf für die verfassungsrechtliche Einheit von Holstein und Schleswig legitimierte Dahlmann, der im Dienst der dänischen Krone stand, die Einheit der beiden Herzogtümer. Doch vor allem wegen seiner Forderung einer nationalstaatlichen Einheit Deutschlands zog er den Unwillen der dänischen Krone auf sich.
Auch deshalb wechselte er 1829 auf einen Lehrstuhl an die Universität Göttingen und wirkte an der Ausarbeitung des hannoverschen Staatsgrundgesetzes mit. Als diese Verfassung 1837 vom neuen König von Hannover aufgehoben wurde, protestierten mit Dahlmann sechs weitere Göttinger Professoren. Die Sieben verloren ihre Ämter. Alexander von Humboldt überlieferte den Ausspruch des hannoverschen Königs Ernst August: "Professoren kann ich mir jederzeit wie Tänzerinnen und Huren kaufen."
Fünf Jahre dauerte es, bis Dahlmann 1842 durch die Vermittlung Bettina von Arnims vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. einen Lehrstuhl für Geschichte und Staatswissenschaft in Preußen erhielt - an der Uni Bonn. Bei seiner Ankunft wurde Dahlmann mit Kanonendonner begrüßt: Ein echter Promi! Dieser Kanonendonner war mehr wert als jeder Große Zapfenstreich zum Abschied!
An der Bonner Universität unterrichtete Dahlmann Prinzen und Kronprinzen und zahlreiche spätere bürgerliche Gelehrten aus allen deutschen Staaten. Sein noch in Göttingen verfasstes Werk "Politik" wurde zur "politischen Bibel" des liberalen Bürgertums. Konsequent war seine Wahl in die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49, wo er einer der einflussreichsten Abgeordneten wurde: Er hatte maßgeblichen Anteil an der Ausarbeitung der Reichsverfassung und schon 1848 Chancen, Reichsministerpräsident zu werden.
Nach dem Scheitern Dahlmanns und seiner Freunde, eine auf den Prinzipien von staatsbürgerlicher Freiheit und verfassungsmäßiger Ordnung beruhende Einheit Deutschlands zu erreichen, kämpfte er im preußischen Herrenhaus für diese Ziele weiter. Friedrich Christoph Dahlmann starb 1860 in Bonn.
Er hat mit seinen Schriften ein reiches Erbe hinterlassen. Als Anhänger des schon von Aristoteles formulierten Prinzips der "Einheit in Vielfalt", der Einheit aus Vielfalt und der vielfältigen Einheit folgerte Dahlmann das Konzept eines nationalen Bundesstaates. So war für ihn das Eintreten für einen nationalen Zentralstaat und die Bewahrung der föderalen Gliedstaaten kein Gegensatz, bedingten beide vielmehr einander: Nur ein Bund, der auf Ländern beruht, kann seine Aufgaben erfüllen. Länder können nur im Bund miteinander ihre Eigenart bewahren.
Dahlmann entwickelte ein alles übergreifendes Konzept zu einer "guten Politik". Darunter verstand er nicht eine erfolgreiche Politik, die den Herrscher oder die regierende Partei und ihre Elite an der Macht hält. Als "gute Politik" definierte Dahlmann 1853: 1. Dem Staate geht ein Naturzustand des Menschen voran, der Vernunft besitzt und sehr wohl ein Über und ein Unter sich zu unterscheiden weiß. 2. Der Staat ist also keine Erfindung, keine Aktiengesellschaft, keine Maschine, kein notwendiges Übel und auch kein heilbares Gebrechen der Menschheit. Er ist ein Vermögen der Menschheit. 3. Der Staat ist uranfänglich - "Der Mensch ist von Natur ein Staatswesen" (Aristoteles).
Gute Politik verstand Dahlmann im Anschluss an Aristoteles als einen verfassten Staat, der auf dem Ausgleich von Freiheit und Ordnung, auf der Mäßigung zwischen den Gewalten und auf staatsbürgerlicher Beteiligung sowie verantwortlicher politischer Führung beruht. Politisches Handeln sowohl der Staatsbürger als auch ihrer Repräsentanten muss nach der Auffassung dieses deutschen Geschichts- und Politikklassikers des 19. Jahrhunderts auf politischen Grundwerten und Überzeugungen basieren und darf nicht auf bloßen politischen Machterhalt reduziert werden. Besser könnte auch kein lebender Festredner für den Föderalismus werben.