Als Kind war ich ein Rebell", sagt Waltraud Wolff. Heute ist die 51-Jährige Sprecherin der SPD-Fraktion für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Eigentlich ein Job für jemanden mit Verhandlungsbereitschaft. Waltraud Wolff, schmal, mit offenen Haaren und hellem Blazer, lächelt amüsiert: "Es stimmt, als Abgeordnete bin ich wohl inzwischen kompromissbereiter geworden", gibt sie zu. "Der Rebell ist zwar noch da, aber ich habe gelernt, nicht nur schwarz-weiß zu sehen, sondern auch die Grautöne wahrzunehmen." Die Politikerin aus dem Elbe-Havel-Gebiet ist Idealistin - aber eine mit Bodenhaftung. Gerechtigkeit ist ihr besonders wichtig. Vielleicht auch, weil sie selbst in ihrem Leben dafür kämpfen musste: 1956 im sachsen-anhaltinischen Weißandt Gölzau als Kind "erzkatholischer" Eltern geboren, lernt sie früh, was es heißt, für die eigene Überzeugung einstehen zu müssen - und Opfer zu bringen.
Eigentlich möchte Waltraud Wolff Abitur machen, Dolmetscherin werden. Doch wer in der DDR studieren will, muss ein loyaler Staatsbürger sein. Für sie heißt das konkret: FDJ-Mitglied sein, zur Jugendweihe gehen. Doch das will Waltraud Wolff partout nicht: "Ich wurde anders erzogen, weshalb sollte ich dann einknicken?" Mit 16 entscheidet sie sich, Grundschullehrerin zu werden - per Fachschulstudium, das sie auch ohne Abitur absolvieren kann. Doch auch hier eckt Waltraud Wolff an, wird beinahe exmatrikuliert. Der Grund: Sie will weder Mitglied sein in der Einheitsgewerkschaft FDGB noch in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft: "Mir gefiel nicht, wie sich die DDR in mein Leben einmischt."
Als sie schließlich Lehrerin für Mathematik, Deutsch und Kunst ist, werden die Differenzen zum Staat unübersehbar. Wolff quittiert schließlich den Dienst. Die damals 24-Jährige muss ihre Anerkennungsurkunde zurückgeben und auf alle Rentenansprüche verzichten. Angst vor der Zukunft kennt sie trotzdem nicht: "Ich hatte den Rückhalt der Familie und ich dachte wirklich: Ihr könnt mich mal, ich finde schon, was mir gefällt."
Doch das ist schwerer als gedacht. Sieben Jahre bemüht sich Waltraud Wolff um einen neuen Job. Sie hofft auf eine Stelle als Erzieherin, schreibt Bewerbungen, stellt sich vor. Doch ein Blick in ihre Kaderakte und das Gespräch ist beendet. Einschüchtern lässt sie sich nicht. Auch nicht, als eines Tages Leute aus ihrem Ort an der Haustür klingeln und fragen, wann denn die Familie gedenkt, in den Westen auszureisen: "Da habe ich eine Karte der DDR an die Tür geheftet und ,Wir bleiben hier!' darauf geschrieben".
Schließlich erfüllt sich Wolffs Traum: 1987 findet sie Arbeit als Erzieherin in einer Einrichtung für geistig Behinderte. Es ist die Chance: Denn als zwei Jahre später die Wende kommt, soll die Einrichtung in eine Sonderschule umgewandelt werden - mit der "unehrenhaft" aus der DDR-Volksbildung Entlassenen als Schulleiterin. "Erst behandelt man einen wie Dreck - und dann bekommt man so etwas angeboten." Noch heute schüttelt Waltraud Wolff ungläubig den Kopf.
Die Jahre nach der Wende werden zum Neustart: Waltraud Wolff studiert noch einmal, diesmal Behindertenpädagogik. Sie übernimmt die Leitung der Sonderschule in Wolmirstedt und beginnt, sich politisch zu engagieren: 1991 Eintritt in die SPD, 1998 wird sie zum ersten Mal in den Bundestag gewählt. Doch zum Erstaunen vieler Freunde und Parteigenossen wendet sie sich nicht der Jugend- oder Bildungspolitik zu. Ihr Engagement gilt nun der Landwirtschaft und dem Verbraucherschutz. Sie nimmt Stellung zu den gestiegenen Milchpreisen und spricht sich gegen "Verwässerungen" des Gentechnikgesetzes aus - für Waltraud Wolff eine logische Entscheidung: "Ich wollte etwas für meinen Landkreis und mein Bundesland tun", erklärt sie, "und Sachsen-Anhalt ist eben sehr agrarisch geprägt - und in dieser Hinsicht im Bundestag noch nicht genügend vertreten." Dass sie einmal Repräsentantin im Parlament werden würde, hätte Waltraud Wolff niemals für möglich gehalten: "Im Plenum muss ich mich manchmal kneifen: Ich, Waltraud Wolff, in der DDR ungeliebt, sitze nun als Abgeordnete im Bundestag. Unglaublich!"