RENATE KÜNAST
Die Grünen-Fraktionschefin hält den Aktionsplan Ernährung ihres Nachfolgers als Verbraucherschutzminister für falsch.
Seit der Veröffentlichung Ihres Buches "Die Dickmacher" sind drei Jahre vergangen. 2006 wuchs der Bio-Markt nach Angaben des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft um 18 Prozent. Haben die Deutschen umgedacht?
Insgesamt kann man schon von einem Ökoboom sprechen. Der existiert sicher auch deshalb, weil wir den Anstoß und das Geld für etwas gegeben haben, das richtig ist. Und es ist erst der Anfang zur Ökologisierung der Lebensmittelproduktion.
Was verstehen Sie darunter?
Zunächst einen höheren Anteil an öko-zertifizierten Lebensmitteln, das Verbot von Pestiziden sowie eine Eingrenzung und keine Subventionierung von konventionellen und klimaschädlichen Anbaumethoden. Ökologisierung bedeutet aber auch etwas für die Verarbeitung. Wir müssen uns fragen, wieso wir Millionen Hektar in Südamerika für Fleisch-Weidehaltung und Sojaanbau abholzen anstatt einen Wald zu schützen, den wir unter C02-Gesichtspunkten dringend brauchen. Auch die Verarbeitung der Lebensmittel hat mit Ökologie zu tun, ebenso wie die so genannten Foodmiles, also die Kilometer, die ein Lebensmittel auf dem Weg zum Verbraucher zurücklegt.
Die Bio-Supermarktkette Basic stoppte kürzlich nach heftigen Protesten von Kunden und Lieferanten den Verkauf weiterer Aktien an den Discounter Lidl. Schaden die Discounter der Ökobewegung?
Bei Discountern und Bio habe ich eine gehörige Skepsis. Natürlich ist es richtig, dass in Supermärkten Bioprodukte vorhanden sind, denn wir wollen ja mit ökologischen Lebensmitteln in die Menge gehen. Meine Sorge ist allerdings, dass durch das Geld der Discounter die Philosophie verändert wird und die Idee hinter der Bio-Bewegung abhanden kommt. Damit meine ich, dass dann auch Ökoprodukte rund um den Globus transportiert werden, "regional" nicht mehr die erste Wahl ist und die Vielfalt der Sorten verloren geht. Und ich befürchte, dass die Discounter und ihr Geld mit einer großen Marktmacht die Preise drücken, so dass die Produzenten keine fairen Preise mehr für ihre Produkte bekommen.
Sind wir dann nicht auf dem Weg zu einer "Öko-Elite" vor den Supermarktregalen?
Es ist schon richtig, dass die Anbaufläche vergrößert wird und dass sich möglichst alle Kunden diese Produkte leisten können. Allerdings muss man bei dem Preisvergleich immer bedenken: Aktuell ist Bio teurer, aber mein Ziel ist mittelfristig, dass die Privilegien des konventionellen Anbaus nach und nach abgebaut werden. Das ändert dann auch die Preisdifferenz. Heute kriegt man ja für Raubbau noch Subventionen und Steuergelder hinterher geworfen. Außerdem, zieht man die Belastungen des konventionellen Anbaus für die Artenvielfalt, den Klimawandel und die Belastung der Gewässer in Betracht, dann bezweifle ich sehr, dass Bio teurer ist.
Halten Sie die jüngsten Preiserhöhungen bei Lebensmitteln für gerechtfertigt?
Die wachsende Weltbevölkerung und die Rohstoffknappheit bedingen eine stärkere Nachfrage nach Lebensmitteln. Abgesehen davon gibt es im Lebensmittelbereich immer Leute, die sich mit Knappheiten noch eine goldene Nase verdienen wollen. Vielleicht muss man die Frage nach den Preisen auch umkehren, eventuell sind die Lebensmittel beispielsweise in Frankreich nicht teurer, sondern die Menschen geben einfach mehr dafür aus. In Deutschland frage ich mich manchmal, welchen Wert eigentlich Genuss oder Geschmack noch haben.
Das von Ihnen eingeführte deutsche Biosiegel genießt laut jüngsten Umfragen die höchste Glaubwürdigkeit bei den Verbrauchern. Macht das geplante neue europäische Siegel trotzdem Sinn?
Ich habe die Entscheidung für den Zwang eines einheitlichen europäischen Siegels nicht verstanden, weil es sowieso kein Mensch kennt. Warum verdrängt man etwas, das sich sehr gut etabliert hat? Man muss nun abwarten, wie sich das entwickelt, denn zahlreiche Nachbarländer haben ebenfalls eigene Siegel, die ja weiterhin auch zusätzlich auf die Lebensmittel gedruckt werden können.
Stichwort Kennzeichnung von Gammelfleisch. Behindert die EU-Politik die nationale Lebensmittelsicherheit?
Das farbliche Markieren von Ekelfleisch macht nur europaweit Sinn. Das wäre eine Aufgabe der deutschen EU-Präsidentschaft gewesen. Grundsätzlich aber bietet der europäische Binnenmarkt nur Vorteile.
Wird die geplante Gentechnikgesetzesnovelle verhindern, dass gentechnisch veränderte Nahrung in den Handel kommt?
Mit nationalen Gesetzen können die Länder selbst wichtige Schutzregeln im Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen erlassen. So wurden in meiner Amtszeit zum Beispiel die wichtigen Vorschriften zur Haftung, zum transparenten Standortregister oder zum Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft in das Gesetz reingeschrieben. Diese Regelungen will die Bundesregierung mit der geplanten Novelle nun drastisch verschlechtern. So sollen Schutzziele wieder aus dem Gesetz gestrichen werden, wie etwa, dass der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen grundsätzlich nicht die gentechnikfreie Landwirtschaft gefährden darf. Darum protestieren zu Recht zahlreiche Umwelt- und Verbraucherverbände, die Biobauern und natürlich auch wir gegen diese Verschlechterungen.
Wie beurteilen Sie den Aktionsplan Ernährung von Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) gegen das Übergewicht der Deutschen?
Seehofers Pläne helfen der Wirtschaft, aber nicht den Verbrauchern. Freiwillige Maßnahmen sind zum Scheitern verurteilt. Was wir brauchen, ist eine verbindliche und klare Ampelkennzeichnung. Ich habe in Brüssel erkämpft, dass eine solche Kennzeichnung auf Lebensmittel erlaubt ist. Jeder muss auf den ersten Blick sehen und verstehen können, was ist Grundnahrung, was ist Süßigkeit. Seehofer nutzt diese Möglichkeiten nicht, mit dem Hinweis, die Wirtschaft werde dies schon alleine machen. Das halte ich für krass falsch, denn gerade diese Freiwilligkeit hat bislang zu gar nichts geführt. Es gibt zwar einzelne Kennzeichnungen, allerdings mit verwirrenden Angaben, die keiner versteht.
Was ist mit einem kostenlosen Mittagessen an Schulen?
Ich hoffe, dass sich in dieser Frage etwas tut. Wie wollen wir denn die Vielzahl der kleinen Ingenieure ausbilden, wenn die Kinder mit knurrendem Magen dasitzen?
Wie kann man Kinder an gesundes Essen heranführen?
Ich fordere nach wie vor ein Werbeverbot für Süßigkeiten in dem Zeitraum, in dem Kinder fernsehen. Wie können wir angesichts steigender Diabeteszahlen bei 13-jährigen zulassen, dass etwas beworben wird, von dem erwiesen ist, mehr als ein Stück am Tag ist schlecht. In der Werbung werden haarsträubende Geschichten erzählt. Es wird ja auch nicht das gute alte Butterbrot beworben, sondern jedes Piratenspiel wird mit hochgezuckertem Joghurt oder mit Süßigkeiten belohnt. Die Plastikfiguren in den Schokoladen werden speziell von Psychologen für ein bestimmtes Alter entwickelt. Zusammen mit den Internetangeboten der Firmen für diese Produkte kann man schon von "Kinderfängern" sprechen. Die Fettleibigkeit ist auf dem besten Weg, Rauchen bei den Todesursachen zu überholen und aus dicken Jugendliche werden dicke Erwachsene. Adipositas wirkt weltweit wie eine Seuche. Schon im Kindergarten sollten Kinder lernen, was Genuss und Geschmack sind.
Was ist für Sie persönlich ein "richtig gutes Essen"?
Ich möchte immer die Region schmecken, in der ich esse, zum Beispiel brauche ich an der Ostsee zum Genießen nicht mehr als einen eingelegten Hering mit Bratkartoffeln. Ein richtig gutes Essen muss auch richtig gut hergestellt sein. Und: Eine alte Apfelsorte oder eine reife, in Deutschland geerntete Erdbeere mit einem Tropfen altem Balsamico-Essig - das ist ein Gedicht.