Das EU-Parlament hat letzte Woche eine Entschließung zur Türkei verabschiedet. Wieso die Eile? Die Kommission legt ihren Fortschrittsbericht erst im November vor.
Der Zeitpunkt des Berichtes ist nach meiner Auffassung ungünstig gewählt. Das Parlament in der Türkei hatte noch keine Zeit, um seien Arbeit intensiv aufzunehmen. Außerdem ist seit dem letzten Fortschrittsbericht der Kommission und seit dem letzten Bericht des EU-Parlaments nichts Spannendes passiert.
Die Entschließung fordert, dass die "Kommission alle geeigneten Mittel ausschöpft, um den Reformprozess effizient zu unterstützen". Welche Mittel könnten das sein?
Die Zickzackpolitik der Union muss beendet werden. Sarkozy sagt das eine, Merkel etwas anderes ... Die Türkei muss ein deutliches Signal bekommen, dass die Europäische Union den Reformprozess unterstützt und dann auch gewillt ist, die Türkei aufzunehmen. Die Europabegeisterung meiner Landsleute ist in den letzten vier Jahren von über 70 Prozent auf unter 50 Prozent zurückgegangen, weil solche positiven Signale fehlten. Die Türkei kann aber nur aufgenommen werden, wenn auch die europäischen Völker einverstanden sind.
Es gibt Stimmen, die behaupten, die Türkei solle nur bei Laune gehalten werden, weil sie gebraucht wird?
Die Menschen in der Türkei fühlen sich gekränkt und in ihrem Stolz verletzt, weil sie bei vielen europäischen Politikern nur Lippenbekenntnisse hören, wenn es um den EU-Beitritt ihres Landes geht. Auch in ihren Problemen fühlen sie sich unverstanden und im Stich gelassen.
Die Rolle des Militärs, die PKK und der Nordirak werden auch im Parlamentsbericht erwähnt. Könnten die Beitrittsverhandlungen fortgesetzt werden, wenn die Türkei in den Nordirak einmarschiert?
Das wäre ein gefundenes Fressen für Türkeigegner. Sie würden sagen: Wie kann man mit einem Land verhandeln, das die territorialen Grenzen eines Nachbarlandes verletzt? Die Türken sollten also sehr vorsichtig sein. Aber man muss auch offen sagen, dass die terroristischen Aktivitäten der PKK-Kämpfer aus dem Irak kommen. Aber wenn die türkische Armee tatsächlich in den Irak einmarschiert, sehe ich große Probleme.
Der deutsche Schüler Marco sitzt noch immer in Untersuchungshaft. Ist sein Fall ein Beispiel für die Defizite des türkischen Rechtsstaats?
Deutsche Rechtswissenschaftler sagen, das wäre in Deutschland genau so gehandhabt worden. Wenn ein 17-jähriger Türke wegen eines ähnlichen Vergehens angezeigt worden wäre, hätte man ihn auch in Untersuchungshaft genommen - wegen Fluchtgefahr.
Die Fragen stellte
Daniela Weingärtner