RENTENREFORM
Die Streiks im öffentlichen Dienst sind ein Test für Sarkozys Durchsetzungsvermögen
Durchhalten, nicht einknicken - mit kaltem Blut und entschlossen will Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy seine erste große Kraftprobe mit den streikenden Gewerkschaften nach gerade sechs Monaten im Amt gewinnen. Für das Präsidentenlager ist ein Sieg in dieser Auseinandersetzung, die schon zum Auftakt Mitte vergangener Woche das Land weithin lahm legte, Pflicht. In Sarkozys Augen geht es um persönliche Glaubwürdigkeit und den Beweis, dass Frankreichs verkrustete Strukturen durchaus aufzubrechen sind. "Wenn wir diese Reform nicht durchsetzen, können wir bis zum Ende des Mandats einpacken", sagt einer der engsten Präsidentenberater. Viel steht auf dem Spiel - für beide Seiten.
Stein des Anstosses sind die régimes spéciaux, Sonderrenten für Eisenbahner und einige andere Branchen des öffentlichen Dienstes. Seit zwölf Jahren sind sie der Albtraum der französischen Konservativen. Schon 1995 hatte der damalige Premier Alain Juppé sie abschaffen wollen und die Kraftprobe mit den Gewerkschaften nach dreiwöchigem Dauerstreik verloren. Bei der anschließenden Parlamentsneuwahl gewann die Linke und zwang Sarkozys Vorgänger Chirac zur Zusammenarbeit mit den Sozialisten. Bei der Rentenreform 2003, die den öffentlichen Dienst bei den Beitragszeiten mit der Privatwirtschaft gleichstellte, waren die Bahn-Renten angesichts dieser Erfahrungen noch vorsorglich ausgespart worden. Sarkozy will jetzt aber nicht mehr zurückweichen. "Ich werde das durchhalten", erklärte er. Eine gewisse Wesensverwandtschaft entdecken Frankreichs Leitartikler angesichts solch markiger Sätze seither mit Britanniens einstiger "Ei
serner Lady", Margret Thatcher.
Die Mehrheit der Franzosen weiß der Präsident dabei hinter sich. Anders als in früheren Jahren sind die meisten Franzosen heute nicht mehr reflexhaft bereit, den ohnehin mitgliederschwachen Gewerkschaften - nur acht Prozent der französischen Arbeitnehmer sind überhaupt gewerkschaftlich organisiert - Prokura für jede Art von Arbeitskampf auszustellen. Aus Furcht, in der öffentlichen Meinung als Buhmann dazustehen, der ungerühert Millionen Pendler in Geiselhaft nimmt, um Partikularinteressen zu verteidigen, überhöhten die Gewerkschaften die Verteidigung der Renten-Sonderregeln als "letztes Bollwerk" gegen drohende längere Beitragszeiten für alle. Auch in Frankreich hat sich im Laufe der Jahre herumgesprochen, wie bevorzugt bestimmte Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes seit ewigen Zeiten sind.
Die meisten "regimes speciaux" stammen aus dem 19. Jahrhundert, aus einer Zeit, als der Job auf der Lok oder hinter den Bühnen-Kulissen noch tatsächlich körperliche Schwerstarbeit war. Die Renten-Privilegien der Berufsfischer etwa gehen bereits auf 1709 zurück und die Renten-Sonderregeln der Pariser Oper hat 1698 noch Sonnenkönig Ludwig XIV. abgesegnet. Seither gilt: Tänzer dürfen mit 40 die Schuhe an den Nagel hängen und Chorsänger mit 50 die Blätter aus der Hand legen.
Finanziell ins Gewicht freilich fallen vor allem die Beschäftigten der Bahn, die bislang mit 55 Jahren in Ruhestand gehen. Lokführer können sogar mit 50 die Rente einreichen. Für ihre Mitglieder hat die autonome Lokführergewerkschaft FGAAC, die ein Drittel der 17.000 Zugführer vertritt, schon im Oktober während des damaligen 24-stündigen Ausstands diskret mit der Bahn-Direktion vereinbart, das Privileg der Frührente auch weiterhin zu erhalten. Am Streik nehmen die FGAAC-Lokführer seither nicht mehr teil, was ihnen den Unmut der anderen Bahnangestellten einträgt.
Die anderen 168.000 Bahn-Kollegen indes sollen Federn lassen. Alle sollen länger arbeiten, verlangt die Regierung, die die Beitragszeiten von bislang 37,5 Jahren auf 40 Jahre wie im übrigen öffentlichen Dienst anheben will. Wer weiterhin dennoch vorzeitig in Rente gehen will, muss dann kräftige Abschläge hinnehmen. Mit 2,7 Milliarden Euro bezuschußt der Staat allein in diesem Jahr die Pensionskasse der SNCF. Auf einen aktiven Arbeitnehmer kommen bei der Bahn inzwischen zwei Rentner. Und die Pariser Verkehrsbetriebe RATP mit ihren 43.000 Beschäftigten und 44.000 Rentnern konnte pro Jahr 500 Millionen Euro einsparen, wenn die teuren Frühverrentungen gekappt werden. Nicht alle sieben am Streik beteiligten Gewerkschaften freilich stemmen sich per se gegen dieses Vorhaben, das 2008 beginnen und bis 2012 vollständig umgesetzt sein soll.
Die Spitze der eher gemäßigten CFDT ist durchaus bereit, die Beitragszeiten auf 40 Jahre für alle anzugleichen, hat freilich Rücksicht zu nehmen auf die Hardliner in den eigenen Reihen. Die Zustimmung der CFDT-Führung zur Rentenreform von 2003 hat die Organisation mit dem Verlust von Tausenden von Mitgliedern bezahlt, die zur radikaleren, den Kommunisten nahen CGT abwanderten. Aber auch dort will Gewerkschaftschef Bernard Thibault mit Blick auf die öffentliche Meinung den Bogen nicht überspannen. Dass Thibault sich schon am ersten Streiktag dialogbereit zeigte, schürte die Hoffnung auf ein rasches Streikende.
Der Regierung kommt das entgegen. Denn für Anfang der Woche hatten die Beamten bei Post und Telekom Streiks aus Protest gegen den geplanten Abbau von gut 20.000 Stellen im öffentlichen Dienst angekündigt. Auch unter Juristen, bei den Studenten und bei den Krankenschwestern gärt es. So fürchtet die Regierung, dass sich die Proteste bündeln und Frankreich über Wochen aufwühlen könnten. In diesem November bläst der Wind der Reformen im Nachbarland Regierung und Gewerkschaften kräftig um die Nase.