australien
Die Konservativen verlieren die Macht. Wahlsieger Kevin Rudd verspricht mehr Umweltschutz.
Bemerkenswert deutlich verlor Premierminister John Howard die Wahl in Australien: Auf mindestens 82 von 150 Stühlen im Parlament werden künftig Labor-Politiker sitzen. Mehr als 30 Wahlbezirke gibt die konservative Koalition aus Liberal und National Party an die Opposition ab - an Kevin Rudd, der am 24. November 53 Prozent der Stimmen holte. Denkwürdig ist außer der Klarheit des Ergebnisses vor allem die Tatsache, dass John Howard - als erster Regierungschef in 78 Jahren - seinen eigenen Wahlkreis in Sydney verlor.
Dabei, so das konservative Lager während der Nachlese verkatert, könne man dem 68-Jährigen doch wenig vorwerfen: Down Unders Wirtschaft blüht, vor allem dank des Rohstoffbooms im Westen; die Arbeitslosenquote ist niedrig, die Staatsverschuldung kein Thema, die Inflation gering. Australien entschied sich dennoch gegen Altvertrautes und für den fast 20 Jahre jüngeren Rudd. Auch, weil der mit "frischen Ideen" lockte, aber gewiss nicht nur.
Gründe für den Einbruch der Konservativen fanden die Analytiker in der Woche nach der Wahl genug. Besonders unbeliebt waren Howards neue Arbeitsgesetze: Gelockerter Kündigungsschutz, Wegfall von Überstunden- und Wochenendzuschlägen, weitere Schwächung der Gewerkschaften. Diese Maßnahmen zudem als "Work Choices" zu propagieren, erinnerte nicht nur Zyniker an George Orwell. In liberalen Kreisen murrte man enttäuscht, Howard habe schlicht zu lange an seinem Posten geklebt, er hätte früher merken müssen, wann Schluss sei. Diesen "Es-reicht-Faktor" sahen viele Beobachter als einen wichtigen - wenn auch schwer belegbaren - Anlass für die Pleite. Doch man war den Ministerpräsidenten nach elf Amtsjahren mehr als nur einfach leid, war Kommentator Ross Gittins im "Sydney Morning Herald" überzeugt: Australien habe sich darauf besonnen, dass es nicht nur um die Wirtschaft gehe, dass außer Wachstum und Wohlstand noch andere Werte einen Staat definieren. Die Regierungspartei, so Gittins, "entdeckte zu ihrer Überraschung, dass wir uns sehr wohl für Fairness gegenüber uns und anderen interessieren, dass wir uns durchaus eine akzeptable Balance zwischen Arbeit und Leben wünschen und dass wir von unserer Regierung zudem ein gewisses Maß an Ehrlichkeit und Anstand erwarten".
Mit letzterem spielte er vor allem auf Howards aggressive Asylpolitik an, auf das umstrittene Festhalten von Flüchtlingskindern in Internierungslagern, auf die Behandlung von vermeintlichen Terroristen sowie auf Skandale und Fehlinformationen, die Australiens Einsatz im Irak-Krieg begleiteten.
Ein ebenso wichtiges und wahlentscheidendes Thema war die Umwelt. Die unter einer Jahrhundertdürre leidenden Australier nehmen den Klimawandel schon lange ernster als ihr Ex-Premier. Der sprach das Wort "climate change" erstmals Anfang 2007 aus. Zögernd, und auch dies erst, nachdem eine Umfrage ergab, dass 87 Prozent der Bevölkerung Treibhauseffekte für bedrohlicher als Terrorismus halten.
Das Klima wird daher auch das erste Stichwort sein, für das Kevin Rudd internationalen Applaus hören dürfte. Noch Anfang Dezember reist er zum UN-Klimagipfel nach Bali und hat bereits angekündigt, sein Wahlversprechen einzulösen und das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren. Australien ist nach wie vor der größte Pro-Kopf-Verursacher von CO2 und neben den USA letzter Nichtunterzeichner des Abkommens.
Überrascht haben Labors Gewinne besonders im Bundesstaat Queensland, wo die Koalition am heftigsten verlor. Denn nicht die Metropolen entschieden letztlich den Umschwung, vor allem ländliche Regionen im so genannten "Sonnenstaat" Queensland waren es, die Nein zu Howard und seinem Slogan "go for growth" sagten. Die Labor Partei heimste nördlich von Brisbane stattliche acht Prozent mehr ein als 2004. Lokalpatriotismus halten Analytiker jedoch kaum für den größten Wahlhelfer. Zwar stellt der heiße Nordosten zum ersten Mal in der Geschichte des Kontinents einen Premierminister. Doch Kevin Rudd ist ein Queenslander, der sich kaum in gängige Klischees der Crocodile-Hunter-Heimat pressen lässt.
Rudd ist kein Abenteurer, sondern Denker und Stratege: Ein Bauernsohn, der früh seinen Vater verlor, ein Intellektueller und einstiger Diplomat, der fließend Mandarin spricht und dessen Ehefrau und Mutter dreier Kinder nebenbei auch eine erfolgreiche Geschäftsfrau ist. Wirtschaftspolitisch steht Rudd kaum für radikalen Wandel. Im Gegenteil: während des Wahlkampfs betonte er immer wieder, auch er wolle eine stabile Wirtschaft. Howards restriktive Arbeitsplatz-Reform sei dafür jedoch kaum nötig, dessen "Work Choice" Programm lehnt er ab.
Zur Marionette der Gewerkschaften dürfte er dennoch kaum werden. Das signalisiert sein in der Labor-Tradition eher ungewöhnlicher Schritt, die Ministerjobs allein zu vergeben, statt sie zwischen linkem und rechtem Flügel auspokern zu lassen. Seine Kabinettsliste legte der designierte Premier bereits am 29. November vor. Als Umweltminister berief er den früheren Rockstar Peter Garrett, der bislang umweltpolitischer Sprecher der Arbeitspartei war. Speziell für den Klimaschutz soll die Politikerin Penny Wong zeichnen. Außenminister wird der Anwalt Stephen Smith, das Amt des stellvertretenden Regierungschefs wird zum ersten Mal eine Frau inne haben: Julia Gillard.
Kritiker, die John Howard vorwarfen, er habe zwar verstanden, Geld zu machen, aber - außer als Steuergeschenke - nicht gewusst, es sinnvoll auszugeben, stimmen Rudds Pläne optimistisch: Er will deutlich mehr Gelder für das Erziehungs- und Gesundheitssystem bereitstellen. Erleichterung herrscht in Australien ebenfalls über dessen Ankündigung, sich bei den Ureinwohnern für das ihnen angetane Unrecht zu entschuldigen. Vor diesem "sorry" hatte sich Howard jahrelang gedrückt.
In der Außenpolitik setzt sich der Neue nicht nur in Sachen Klima von seinem Vorgänger ab. Rudd will schon Anfang des Jahres mit den USA über den schrittweisen Abzug der australischen Truppen im Irak sprechen. Die Beteiligung am Krieg im Nahen Osten war 2004 nicht wirklich ein Wahlthema gewesen. Drei Jahre später indes war vielen die Beharrlichkeit, mit der Howard den Schritten George W. Bushs folgte, offenbar nicht mehr geheuer. Man fühlte sich durch nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen in die Irre geführt, dann starben die ersten australischen Soldaten - je länger der Konflikt währte, umso kritischer verfolgte man die Stationierung von 550 Soldaten in der Krisenregion.
Dass der alte Premierminister seinen eigenen und seit 1974 sicheren Wahlkreis verlor, lag nach Ansicht vieler auch daran, dass die Liberalen seine Kontrahentin unterschätzten: Maxine McKew ist blond, leutselig und natürlich: eine ehemalige TV-Reporterin, von der ihrer Gegner annahmen, sie würde mit kaum mehr als ein paar Show-Auftritten ins Rennen gehen. Stattdessen lief sich Maxine in Bennelong, einem nach einem Aborigine benannten Wahlbezirk in Sydneys Norden, die Hacken wund, klopfte an Türen, redete, hörte zu, kämpfte und überzeugte.
Nachdem die Liberale Partei derart unerwartet ihren Chef verloren hatte, rechnete sie fest auf Tim Costello. Nicht nur war dem einstigen Finanzminister der Posten ohnehin seit Jahren versprochen, er hatte auch Howard 2009 als Premierminister ablösen sollen. Doch Costello verblüffte gleich am Tag nach der Wahl mit einem: "Danke, mir reicht's."Kurz darauf schnippte Umweltminister Malcolm Turnbull mit dem Finger. Der Geschäftsmann aus Sydneys Nobelstadtteil Vaucluse erklärte als erstes in wie Vielem er von Howards Positionen abweiche, als nächstes, dass er ihn beerben wolle. Seinen Parteikollegen war das zu forsch, sie zogen den früheren Verteidigungsminister Brendan Nelson vor. Turnbull hatte sich zuletzt bei Umweltschützern unbeliebt gemacht, weil er den Bau einer höchst umstrittenen Papierfabrik in Tasmanien unterstützte. Im Tamar Tal, wo die Holzverarbeitungsanlage gebaut werden soll, verdoppelten die Grünen ihren Stimmanteil und holten mehr als 15 Prozent.
Im Repräsentantenhaus haben Australiens Grüne jedoch auch künftig nichts zu sagen, obgleich sie landesweit auf 7,5 Prozent - in einigen Wahlbezirken sogar über 20 Prozent - kamen. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts (bzw. des Zwei-Parteien-Systems) fielen grüne Erststimmen flach und kamen Labor zugute, die von den meisten Grünwählern als zweite Präferenz angegeben wurden. In der parallelen Abstimmung für den Senat bauten "The Greens" mit fünf statt bisher vier Sitzen ihre Position aus. Dort haben sie die Chance, gemeinsam mit einem parteilosen Mitglied aus Südaustralien und einem "Family First"-Kandidaten die Entscheidungen der Laborpartei zu beeinflussen.