MYTHOS ZWEITE ERDE
Planetenforscher Ralf Jaumann bezweifelt, dass es ein komplexes System wie die Erde noch einmal gibt
Herr Jaumann, jüngst haben Forscher einen Staubgürtel gefunden, von dem sie glauben, er könnte einmal eine "zweite Erde" werden. Eine wissenschaftliche Sensation oder nichts als Schall und Staub?
Das Problem bei diesen Meldungen ist immer: Die Astronomen machen eine komplizierte wissenschaftliche Entdeckung, die aber in der Öffentlichkeit niemand versteht. Also wird sie verkürzt auf die Aussage: "Zweite Erde gefunden". Nur weil wir etwas finden, das Ähnlichkeiten mit der Erde aufweist, heißt das noch lange nicht, dass wir tatsächlich eine zweite Erde vor uns haben.
Wie muss ein solcher Planet aussehen?
Wir wissen es nicht genau. Sicher muss er einen bestimmten Abstand zu seiner Sonne haben, außerdem eine bestimmte Größe, damit er die Atmosphäre um sich herum festhalten kann. Der Planet braucht auch ein Magnetfeld, um Protonen und andere geladene Teilchen, die mit hoher Energie von der Sonne kommen, abzuhalten.
Wie suchen Sie nach diesen Planeten?
Wir forschen mit unseren Teleskopen außerhalb unseres Sonnensystems nach Planeten, die in einer bestimmten Entfernung um einen Stern kreisen, also genau dort, wo Wasser flüssig sein kann. Bisher erfüllt nur ein einziger Planet, den wir kennen, diese Bedingung: unsere Erde.
Die Erde ist also tatsächlich einzigartig?
Eigentlich ist es unwahrscheinlich, dass es so etwas wie die Erde nur einmal geben soll. Nur direkt vor unserer Haustür haben wir Ähnliches noch nicht entdeckt - und wir haben bis auf Pluto alle Planeten unseres Sonnensystems besucht. Wir wissen heute: Die Erde ist der komplexeste Körper in diesem Sonnensystem, sie erfüllt alle Voraussetzungen für das Leben. Das perfekte Raumschiff.
Warum suchen wir dann überhaupt nach einer zweiten Erde, wenn unsere so vollkommen ist?
Zum einen können wir auf der Erde bestimmte Prozesse nicht nachvollziehen. Dieser Planet ist sehr dynamisch, geologische Prozesse und das Leben verändern ihn ständig. Wie eine Aufzeichnung, die ab einem bestimmten Punkt immer wieder gelöscht wird. Wir suchen also Körper, die der Erde ähnlich sind, die sich aber in unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden. Mit ihnen wollen wir die Erdentstehung nachvollziehen. Aber natürlich geht es auch um die ganz großen Fragen: Sind wir wirklich allein im Universum? Sind wir einzigartig? Oder gibt es irgendwo noch anderes, intelligentes Leben? Entsteht Leben vielleicht überall, wo die Bedingungen gerade günstig sind?
Fragen, die auch eine philosophische Dimension haben.
Ja, überlegen Sie doch mal, was passiert, wenn wir feststellen müssen: Wir sind nicht die Krone der Schöpfung. Es braucht ein bisschen Wasser, ein bisschen Atmosphäre, ein paar Elemente und zack! ist das Leben da. Das würde ein völliges Umdenken in grundlegenden philosophischen Fragen bedeuten. Die Auswirkungen auf die Religion und das Selbstverständnis der Menschheit wären gar nicht abzuschätzen. Ich würde sogar sagen, diese Entdeckung hätte die Dimension einer kopernikanischen Weltbildveränderung.
Halten Sie einen solchen Fund für wahrscheinlich?
Seit ich Planetenforschung betreibe, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob es eine zweite Erde gibt. Die Erde und das Leben darauf kann auch das Produkt unendlich vieler Zufälle sein. Zum Beispiel hat von allen inneren Planeten unseres Sonnensystems nur die Erde einen Mond. Der stabilisiert die Erdachse und sorgt dafür, dass sie nicht ununterbrochen hin- und herschwankt - andernfalls würden mal die Pole zur Sonne schauen und mal der Äquator, das Eis an den Polen würde schmelzen, am Äquator ausfrieren, bei der nächsten Schwankung wieder schmelzen, zurückkippen und so weiter. Unvorstellbare Klimakatastrophen wären die Folge. Soweit wir wissen, ist die Existenz des Mondes aber ein rein zufälliges Produkt - entstanden bei der Kollision der frühen Erde mit einem anderen, kleineren Planeten. Die Chance, dass so etwas passiert, ist extrem gering.
Wenn wir sie aber doch finden, diese zweite Erde: Können Sie sich vorstellen, dass wir dort einmal leben werden? Hier wird es bald eng, das Klima spielt verrückt…
Nein, zu anderen Sonnensystemen können wir nicht gelangen, dafür sind die Entfernungen zu groß. Aber wir werden sicherlich Außenposten in unserem Planetensystem haben, Forschungsstationen, wie heute auf der Antarktis.
Aber dort leben? Warum sollten wir einen Lebensraum verlassen, der seit einer Milliarde Jahren die perfekte Umgebung für das Leben ist? Der Aufwand wäre enorm groß. Zu groß, um zu sagen, wir machen mal unsere Erde kaputt und bauen uns danach woanders eine neue.
Aber Weltraumtourismus halten Sie für denkbar?
Ja, der wird bestimmt bald kommen. Schauen Sie mal, wer heute alles in den Himalaya pilgert, um auf Berge zu steigen. Der Mars hat Berge, die sind zehn Mal so hoch wie auf der Erde. Kein Mensch hat sie bisher erklommen. Im Normalfall schwanken die Temperaturen zwischen Null und Minus hundert Grad, an schönen Tagen gibt es sogar 20, 30 Grad am Äquator. Man könnte Baden gehen, wenn Wasser da wäre.
Wie kann man sich eine Bettenburg auf dem Mars vorstellen?
Wie ein kleines Bergwerk. Um die Gäste vor der Strahlung zu schützen, würde man die Hotels in den Untergrund bauen. Ab und zu könnten die Besucher nach draußen gehen, die Strahlung ist ein paar Stunden auszuhalten. Bisher weiß die Medizin aber noch viel zu wenig darüber, wie sich "normale" Menschen unter diesen Bedingungen verhalten. Bisher sind es noch astronautische Spitzenleistungen, wenn wir von Aufenthalten außerhalb der Erdatmosphäre sprechen.
Ein anderes Problem ist der Transport.
Ja, uns fehlen ausreichend große Raumschiffe. Und schon auf der Reise, etwa auf einem sechsmonatigen Flug zum Mars, sind wir der Strahlung frei ausgesetzt. Ohne Schutzmechanismen geht es nicht, die Sonne kann urplötzlich extrem hohe gefährliche Strahlung erzeugen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Wir müssen also auch über sie viel mehr wissen als heute, um solche Reisen machen zu können.
Wann wird es soweit sein?
Schwer zu sagen. Kolumbus ist auch sehr mühsam nach Amerika gefahren, kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass wir irgendwann mit riesigen Schiffen riesige Ladungen zwischen Amerika und Europa hin- und hertransportieren. Fakt ist: Wenn der Mensch ein wirtschaftliches Interesse an solchen Flügen hat, wird er sie machen. Es kann ja sein, dass wir irgendwann Rohstoffe von anderen Planeten holen, wenn die Ressourcen auf der Erde zur Neige gehen.
Also Bergwerke im All?
Durchaus. Aber auch Fabriken sind denkbar. Auf dem Mond herrscht ein perfektes Vakuum - in Zukunft vielleicht ideal für die Herstellung bestimmter Produkte.
Können Sie Beispiele nennen?
Möglicherweise könnte das einmal für Medikamente bedeutsam sein. Wenn es sich um ein Medikament handelt, das entsprechenden Absatz garantiert, wäre ein solches Szenario für die Pharmaindustrie sofort interessant. Man kann in der Schwerelosigkeit auch bestimmte Kristalle züchten, die wichtig sind für die Mikroelektronik.
Wer würde in diesen Mondfabriken unter so unwirtlichen Bedingungen arbeiten wollen?
Eine interessante Frage. Ich glaube, es werden nicht die reichen, gut ausgebildeten Leute sein, die sich in Zukunft auf einem fernen Planeten ein exotisches Plätzchen suchen. Vielmehr werden dort diejenigen leben und arbeiten, die woanders hoffen, ihr Glück zu finden oder - wie zu allen Zeiten - Abenteurer. Das halte ich für viel wahrscheinlicher als die Vorstellung, andere Planeten könnten irgendwann zu den Bahamas des Sonnensystems werden.
Das Gespräch führte Johanna Metz.
Professor Ralf Jaumann arbeitet im Institut für Planetenforschung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin.