WELTRAUMTOURISMUS
Die »Betten« in der ISS sind bis 2009 ausgebucht, und bei Parabelflügen erleben Normalbürger schon heute Schwerelosigkeit
"Was bin ich denn gegen das All?", ließ Goethe resigniert seinen "Wilhelm Meister" fragen. Seit jeher träumt die Menschheit: zuerst vom Fliegen und schließlich vom Griff nach den Sternen. Als Juri Gagarin im April 1961 als erster Mensch in den Weltraum vorstieß, schien die Menschheit bis auf eine Daumenlänge an das Unbegreifliche herangerückt.
Doch fast auf den Tag genau 40 Jahre lang sollte es dauern, bis für den Privatmann Dennis Tito, einen Amerikaner, die Sternenreise wahr wurde. Der Multimillionär startete als erster Weltraumtourist in den Orbit. Vier weitere Hobby-Astronauten folgten ihm seitdem. Und längst haben Unternehmen wie "EADS Astrium" das kommerzielle Potenzial dieses menschlichen Traums erkannt: Sie basteln an reinen Touristenfliegern, die schon in wenigen Jahren wöchentlich ins All abheben könnten.
Die ersten fünf Weltraumtouristen beförderte eine Sojus-Rakete in höhere Sphären, denn derzeit nimmt nur Russland Touristen mit zur Internationalen Raumstation ISS. Wenige Tage verbrachten Dennis Tito, Mark Shuttleworth, Gregory Olsen, Anousheh Ansari und Charles Simonyi schwerelos im All. Kostenpunkt der Reise: 20 Millionen Dollar. Und der Preis steigt weiter.
Eine ebenso teure, wie beschwerliche Mission - und trotzdem sind die "Betten" im All bis ins Jahr 2009 ausgebucht. Was lockt die Weltraumtouristen? Die Erfahrung der Schwerelosigkeit und die Möglichkeit mit ihr zu experimentieren, die Betrachtung der Erde aus dem All, Neugierde aber auch Image- und Marketingzwecke für Unternehmer, so Robert A. Goehlich, der in Japan als Gastprofessor für Weltraumtourismus arbeitete.
Doch die Kapazitäten sind begrenzt. Nur zwei Weltraumtouristen kann die ISS jährlich beherbergen. Von einem echten Markt könne man nicht sprechen, meint auch Goehlich. Zwar bemüht sich die amerikanische Firma "Bigelow Aerospace" ein Weltraumhotel namens "Nautilus" zu entwickeln, doch angesichts der Tatsache, dass keine rein kommerziellen Raumschiffe existieren, ist das derzeit noch Zukunftsmusik.
Deswegen versuchen ehrgeizige Projekte den Traum von der Schwerelosigkeit im All anderweitig zu realisieren. Am 21. Juni 2004 startete mit "SpaceShipOne" der erste kommerzielle, bemannte Raumflug. Nachdem ein Trägerflugzeug das SpaceShip auf knapp 15 Kilometer Höhe befördert hatte, zündete der Pilot den Raketenmotor. In einem Parabelflug über der kalifornischen Wüste erreichte die Rakete eine Flughöhe von 102,9 Kilometern - und knackte damit die magische 100-Kilometer-Grenze, oberhalb derer das Weltall beginnt. Nach diesem Vorbild bastelt das us-amerikanische Unternehmen "Virgin Galactics" gerade am "SpaceShip-Two".
Für 200.000 Dollar sollen die Passagiere auf diesen so genannten Suborbital-Flügen fünf bis sieben Minuten Schwerelosigkeit erleben und einen Blick auf die gekrümmte Erdoberfläche erhaschen können. Schon im nächsten Jahr plant "Virgin Galactics" den ersten Testflug, bis 2010 sollen die fünf Raketen fertig sein. 60.000 Interessenten haben sich nach Angaben des Unternehmens bereits für die Suborbitalflüge registrieren lassen.
Der europäische Konzern EADS mit seiner Tochterfirma "EADS Astrium" geht noch einen Schritt weiter. Die Ingenieure arbeiten an einem Suborbitalflieger, der direkt von der Erde in den Weltraum starten kann - ohne den Zwischenschritt über ein Trägerflugzeug. Bisherige Tests mit einem Modell im Windkanal seien "sehr zufriedenstellend" abgelaufen, so EADS-Sprecher Mathias Spude. Das Flugticket soll auch hier zwischen 150.000 und 200.000 Euro kosten. Wenn sich ausreichend Geldgeber für das Projekt finden, rechnet "EADS Astrium" 2012 mit den ersten Flügen. Langfristig kann man sich im Unternehmen auch vorstellen, kleinere Forschungssatelliten mit an Bord der Suborbitalflieger zu nehmen. Die staatliche, wissenschaftliche Raumfahrt ließe sich so mit dem kommerziellen Weltraumtourismus verbinden.
Egal, ob "Virgin Galactics" oder "EADS Astrium" die ersten Suborbitalflieger starten lässt, Thomas Kraus hat sein Reisebüro bereits dafür vormerken lassen. "European Space Tourist" bietet heute schon Weltraumtourismus an - allerdings nicht in den Orbit, sondern nur in die Schwerelosigkeit. Im Sternenstädtchen bei Moskau, genauer im Juri-Gagarin-Kosmonautentrainingszentrum, starten die Flüge. Eine halbe Minute Schwerelosigkeit erleben die Passagiere im steilen Sturzflug. Bei zehn Parabeln, die die Flieger absolvieren, sind das fünf Minuten.
Rund 50 Abenteuerlustige pro Jahr buchen bei Thomas Kraus die Pauschalreise in die Schwerelosigkeit: Der Flug nach Russland, die Übernachtung im Hotel und Besichtigungsausflüge sind für 6.000 Euro zu haben. "Das Interesse nimmt ganz klar zu", resümiert Kraus sein Geschäft. Er hat auch Flüge in die Stratosphäre im Angebot. In einer Höhe von mindestens 26 Kilometern sieht der Tourist unter sich die gekrümmte Erde, über sich den Mond und die Sterne. "Schwerelos ist man nicht, man fühlt sich aber wie im All", beschreibt Kraus die Gefühle beim Stratosphärenflug.
Raumfahrt im direkten Sinn ist das jedoch alles noch nicht, meint zumindest Bernhard Fuhrmann, Pressesprecher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Verglichen mit einem Flug zur ISS kratzen die Suborbitalflieger bei 100 Kilometern Höhe - nominell also im All - den Weltraum gerade einmal an.