BERLINALE 2008
In Deutschland werden viele Filme produziert. Nur wenige schaffen es auf die Leinwand.
Der Doyen der Berlinale gibt sich betont bescheiden. "Es hat eigentlich ganz gut funktioniert in Sachen Eröffnung", sagt Dieter Kosslik schon fast beiläufig am 23. Januar vor dem Ausschuss für Kultur und Medien und nimmt noch einen Schluck Wasser. Dem Chef des größten deutschen Filmfestivals ist für den Eröffnungsabend ein Coup gelungen, um den ihn viele Konzertmanager beneiden dürften: die Rolling Stones und Regisseur Martin Scorsese werden am 7. Februar gemeinsam mit Kosslick über den roten Teppich gehen und die 58. Berlinale eröffnen. Mit dem Streifen "Shine a light", einem Film über zwei Konzerte der legendären Rockband, wird erstmals zum Auftakt ein Dokumentarfilm gezeigt. "Im Frankfurter Waldstadion waren es 90.000 Zuschauer, im Kino gibt es aber nur 1.700 Plätze - fehlen also noch 88.300", rechnet Kosslick vor und fügt auch hier mit einem zufriedenen Ausdruck und einem gewissen Understatement hinzu: "Wir haben gut zu tun". So gut wie die Aussichten auf die Berlinale, sind auch die Chancen des deutschen Films: "Der deutsche Film wird auf der Berlinale gut repräsentiert sein", sagt Kosslick: Während des Festivals werden 75 deutsche Filme gezeigt, davon zwei im Wettbewerb um den Goldenen Bären.
Neben dem Film "Feuerherz" - einer deutsch-österreichi-schen Koproduktion von Luigi Falorni wird auch der jüngste Film von Doris Dörrie "Kirschblüten - Hanami" von der Jury unter dem in Frankreich lebenden Regisseur Constantin Costa-Gavras bewertet werden. Auch wenn beide Filme eigentlich wenig verbindet, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie sind mit Mitteln aus deutschen Filmfonds finanziert. Mit insgesamt 270 Millionen Euro wurden im Jahr 2006 deutsche Filme gefördert. Der Löwenanteil daran wird mit 121 Millionen Euro durch die Förderanstalten der Länder abgedeckt. 62 Millionen Euro erhalten förderungswürdige Produktionen aus dem Topf der Filmförderungsanstalt (FFA) des Bundes und nochmals 87 Millionen Euro kommen aus dem Haushalt von Bundeskulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU).
In seinem Etat enthalten sind auch die neu bewilligten Mittel aus dem Filmförderfonds. Nachdem jahrelang deutsche Steuergelder aus Filmfonds in Hollywood versi-ckert waren, kommt das Geld aus dem erstmals 2007 aufgelegte Fonds jetzt vor allem Produktionen in Deutschland zugute. Seitdem können Produktionsorte in Deutschland wie beispielsweise die Studios in Babelsberg eine gute Auslastung vermelden.
Das freut vor allem auch einen der Väter dieser Idee, den cinephilen Kulturstaatsminister: "Der Deutsche Filmförderfonds hat sich im ersten Jahr seines Bestehens bereits als ein wahrer Renner erwiesen - knapp 60 Millionen Euro wurden 2007 für 99 Filmprojekte bewilligt, davon gingen ein Drittel an internationale Koproduktionen", erklärt Neumann. Er weiß, dass sich die Mittel in vielerlei Hinsicht amorti-sieren : "Die Auftragsbücher der deutschen Filmwirtschaft sind gut gefüllt, da die Folgeaufträge mehr als das sechsfache an Investitionen erbracht haben", so Neumann. Er möchte den Deutschen Filmförderfonds daher auch gerne über das Jahr 2009 hinaus verlängern.
Auch Philipp Mißfelder, Berichterstatter für Filmpolitik der CDU/CSU-Fraktion, sieht diese Entwicklung "äußerst positiv". Dennoch muss er auch Wasser in den Wein gießen: "Gerade ambitionierte Filme wie Martin Walsers "Ein fliehendes Pferd" hatten es an der Kinokasse schwer", sagt Mißfelder. Er verweist darauf, dass deutsche Produktionen 2006 immerhin einen Marktanteil von 25 Prozent ausmachten. Im vergangenen Jahr war diese Zahl weiter rückläufig, aufgrund des Filmfonds hofft die Branche aber, dass die Flaute 2008 überwunden wird.
Hauptinstrument, um auf neue Entwicklungen im Filmbereich zu reagieren, ist das Filmfördergesetz (FFG). 2003 wurde es zuletzt novelliert und soll im Jahr 2008 an die neuen Anforderungen der Branche angepasst werden. Neben der rasanten technischen Entwicklung der Filmindustrie sollen dabei auch die neuen Sehgewohnheiten berücksichtigt werden. Für die anstehende Novelle des Filmfördergesetzes (FFG) sieht Mißfelder an verschiedenen Punkten Änderungsbedarf und nennt ein konkretes Beispiel: "Es wird die Frage zu lösen sein, wie Autoren und Produzenten an neuen Verwertungsformen, wie beispielsweise den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender angemessen beteiligt werden können", so Mißfelder.
Trotz der "Konkurrenz im Wohnzimmer" möchte sich die FDP für das traditionelle Kino stark machen. Denn dieses, so Claudia Winterstein, stecke "angesichts der technischen Entwicklung von DVDs und Großbildschirmen seit einiger Zeit in einer harten Bewährungsprobe". Als eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung der traditionellen Filmtheater sieht sie die Digitalisierung. Denn sie biete die Chance, "dass auch das kleine Dorfkino in Zukunft das ,Erlebnis Kino' anbieten kann, ohne teure Filmkopien ausleihen zu müssen". In einem neuen FFG müsse daher nach praktikablen Lösungen für die Umrüstung von Kinos auf einen digitalen Standard gesucht werden. Ihre Kollegin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) warnt hingegen vor möglicher Einseitigkeit des Programms: "Die Digitalisierung des Kinos darf nicht dazu führen, dass es eine ganz mainstreamige Marktbereinigung gibt, in der der deutsche Film ganz an den Rand gedrückt wird". Roth plädiert außerdem dafür, im Filmjahr 2008 die Archivierung des nationalen Filmerbes voranzutreiben. Neben den technischen Fragen plädiert Roth aber auch für Unterstützung bei denen, ohne die es gar keine Filme geben kann: "Für vordringlich halte ich eine verbesserte Förderung der Kreativen, gerade auch der Drehbuchautoren". Denn, so Roth weiter: "Wir haben tolle Schauspieler und Autoren."
Gerade die haben es aber trotz guter Aufträge oftmals schwer, weiß Angelika Krüger-Leißner (SPD). Da viele von ihnen keine regelmäßigen Engagements haben, fallen sie durch das Raster der Arbeitslosenversicherung. Denn nur, wer in zwei Jahren mindestens 360 Tage beschäftigt war, erlangt Anspruch auf Arbeitslosengeld. "Das wird dem Alltag eines Filmschaffenden nicht gerecht", sagte Krüger-Leißner, die sich gerade bei dieser Berufsgruppe für die Einhaltung sozialer Mindeststandards stark macht. Fördern möchte sie aber auch an ganz anderer Stelle: bei den Stoffen. Aus ihrer eigenen Erfahrung aus der Vergabekommission der FFA kennt sie das Problem, dass manchmal "mehr Mittel und Möglichkeiten zur Förderung bestehen würden. "Nicht die Anzahl der Filme ist wichtig, sondern ihre Qualität muss stimmen, damit sie ihre Zuschauer finden", so die filmpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.
Wie in anderen Ländern auch, stimmen die Kinobesucher in Deutschland mit den Füßen ab. So ist die Zahl der Kinobesucher 2007 weiter zurückgegangen. Während im vergangenen Jahr insgesamt 122 Millionen Besucher in die Kinosäle kamen, waren es 2006 noch über 137 Millionen. "Ich sehe die Ursache darin, dass es zu viele Filme gibt, die sich untereinander Konkurrenz machen", glaubt Krüger-Leißner und verweist darauf, dass in Deutschland an 365 Tagen insgesamt 487 Filme an den Start gingen.
Mehr Qualität auf deutschen Leinwänden wünscht sich auch Lothar Bisky (Die Linke). Der frühere Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam- Babelsberg zieht ein eher ernüchterndes Resümee des deutschen Films: "Die Situation hat sich nicht verschlechtert, aber im Verhältnis zum großen Potential bin ich nicht zufrieden", sagt er und konstatiert "Scheu vor dem Risiko". Ihm fehlt "die Tendenz, den ästhetischen Olymp zu erstürmen".
An Möglichkeiten mangelt es seiner Meinung dabei allerdings nicht: "Ich glaube, wir haben gute Instrumente, aber es ist eben nicht nur eine Frage des Geldes", sagt Bisky. "Doch mit Gesetzen schafft man eben keine großen Filme - man muss das Potential nutzen, das wir im Lande haben." Als Kultursoziologen interessieren ihn aber noch andere Fragen: "Ich möchte wissen, wie sich die Filmkommunikation im Kino verändert. Die jungen Leute sind weg, aber wo sind sie?", fragt Bisky. Auch die Tatsache, warum es in Europa trotz einer großen gemeinsamen Kultur nicht mehr Stoffe gibt, die in mehreren Ländern gleichzeitigt erfolgreich sein können, treibt ihn dabei um, anders ausgedrückt: "Warum muss Hollywood eigentlich Rom-Filme machen?". Alles Fragen, die wohl auch wieder auf der Berlinale 2008 gestellt - aber nicht abschließend beantwortet werden dürften: Vom 7. Februar bis 17. Februar 2008 werden die 19.000 Fachbesucher und 4.000 Journalisten beim größten Kulturereignis der Stadt nicht nur über Filme, sondern auch über die ganze Welt des Films fachsimpeln. Und die 2007 insgesamt 220.000 verkauften Karten beweisen, dass das Medium Film und das Kino auch 2008 nichts von ihrer Faszina-tion eingebüßt haben.