Roger Schawinski
Der ehemalige SAT 1-Chef über den Kampf um Quoten und die öffentlich-rechtliche Konkurrenz
Herr Schawinski, Sie beschreiben in Ihrem Buch "Die TV-Falle" am Beispiel von SAT 1 sehr ausführlich und mit Namennennung, wie das Privatfernsehen funktioniert. Sind Sie ein Nestbeschmutzer?
Nein, ich bin kein Nestbeschmutzer. Ich versuche, die Innensicht zu zeigen, denn ich glaube, es ist wichtig, dass man auf diese Art Erkenntnisse bekommt so wie man Erkenntnisse über die Politik erhält, wenn Helmut Kohl oder Joschka Fischer ein Buch schreiben. Bei den Medienleuten war das bisher nicht Gang und Gäbe, dass man sich so geäußert hat. Da besteht ein riesiger Nachholbedarf, und ich versuche, die Lücke etwas zu schließen.
Sie waren Chef von Sat 1. Ihr Buch liest sich so, als wären Sie vor allem auch eine Art Therapeut für die Stars und deren Allüren gewesen. Hatten Sie sich das so vorgestellt?
Das ist nur ein Teil meines Geschäfts gewesen, und ich habe diesen Teil etwas ausführlicher beschrieben, weil darüber kaum etwas bekannt war.
Nein, ich habe mir das nicht so vorgestellt. In der Schweiz, wo ich auch im Fernsehgeschäft als Inhaber, Geschäftsführer einer Fernsehanstalt und als Talkmaster tätig war, hat es das in dieser Form nicht gegeben. Es hat mich schon etwas überrascht und ich habe das mit Erstaunen zur Kenntnis genommen und versucht, eine Balance zwischen den Bedürfnissen der Stars und meiner Selbstachtung zu erreichen.
Sie gehen auf die geringen Produktionsbudgets für Programme, aber auch auf persönliche Netzwerke kritisch ein, die Sie bei Sat 1 vorfanden. Empfanden Sie diese Netzwerke als nützlich oder hinderlich bei Ihrer Arbeit?
Ich habe mich bemüht, nicht ganz so intensive Netzwerke zu knüpfen, weil ich bemerkt habe, wenn da zu enge Freundschaften entstehen, dann müssen die geschäftlichen Kriterien hinten anstehen. Dass man also die Freunde befriedigen und die Feinde bestrafen muss. Ich habe immer versucht, eine Distanz zu wahren, um dann auch rationale Entscheidungen treffen zu können.
Wo genau liegt die "TV-Falle"?
Die Fallen stehen überall. Die Konkurrenten stellen einem Fallen, denn auf jedem Sendeplatz, an jedem Tag herrscht ein erbitterter Kampf. Kaum hat man einen Erfolg, wird von der Konkurrenz alles versucht, diesen Erfolg zunichte zu machen. Es sind Fallen, die man sich selbst stellt, nach dem Motto: da ist ein Trend, dem muss ich nachhecheln und dann merkt man, dass man es nicht so gut oder im richtigen Timing gemacht hat. Es gibt keine Pause in diesem Kampf.
Gibt es da einen Unterschied zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen?
Bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt es keine Konsequenzen für Fehlentscheidungen. Die haben Verträge, die laufen sechs, acht Jahre, so dass man die Sache sehr relaxed angehen kann. Herr Schächter vom ZDF hat eine Arbeitssicherheit, die viel größer ist als die von Angela Merkel. Beim Privatfernsehen fliegt der Geschäftsführer, wenn es nicht klappt.
Wen meinen Sie mit Konkurrenz?
Vor allem die Öfffentlich-Rechtlichen, denn die haben viel mehr Mittel und Möglichkeiten. Das zeigt sich besonders im Sportbereich, wo sie eigentlich alles wegkaufen können, wenn sie es wollen. Sie müssen nicht wie wir einzelne Sendungen refinanzieren. Sie kaufen die Stars weg, und zwar solche, die beinahe die Quintessenz des privaten Fernsehens sind, wie zum Beispiel Oliver Pocher. Da gibt es keine Schamgrenze mehr bei den Öffentlich-Rechtlichen. Die versuchen gar nicht zu rechtfertigen, dass sie sieben Milliarden Euro an Gebührengeldern jährlich kassieren. Und sie kopieren die Privaten mit nicht selbst verdientem Geld.
Sie schreiben, dass die Zuschauer nicht nur von Beginn an wissen wollen, wer gut oder böse sei. Der Zuschauer fühle sich vor allem bei einfachen Charaktermustern geborgen. Das hat Adorno der Kulturindustrie schon 1947 vorgeworfen. Bei Ihnen sieht es so aus, als wäre der Zuschauer der Dumme. Ist er das?
Er wurde einfach konditioniert, solche Produkte abzufragen. Es wäre eigentlich Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen, etwas komplexere Erzählstrukturen anzubieten. Das tun sie leider nicht. Und wenn dies ein Privater versucht, wie wir es mit der Serie "Blackout" probiert haben, die ja überall gelobt wurde, dann hat der Zuschauer keinen Zugang mehr und es wird ein Flop.
Also liegt die Schuld bei den Öffentlich-Rechtlichen?
Ich glaube schon, denn die haben eine besondere Verantwortung und die nehmen sie immer weniger wahr.
Der Leser erfährt auch, dass die Welt der Fernsehmarktforschung viel weiter geht als es die GfK-Zahlen erahnen lassen. Das sieht dann doch so aus, als wollten die Sender perfekte Kontrolle über die Zuschauer haben, und zwar nur um des Profits willen.
Es geht nicht nur um den Profit, denn wenn man Fernsehen macht, will man gesehen werden. Man möchte schon im Voraus wissen, was ankommt und was nicht. Zudem geht es um sehr viel Geld, das investiert wird. Millionen von Geldern werden etwa freigegeben, um eine Serie zu starten. Da ist es schon richtig, wenn man sich ein bisschen absichert. Nur, und das beschreibe ich in meinem Buch, sind die Resultate wenig gültig. Man tappt dann immer noch im Dunkeln. Aus diesem Grund sind das oft nur Versuche, die in die Irre führen.
Sie hatten - zugespitzt - den Traum, Qualität zu Sat 1 zu bringen. Sie sind dann aber nach drei Jahren trotz Gewinnsprungs wieder gegangen. War die Qualitätsoffensive ein Fehler?
Nein. Ich glaube, das war schon die richtige Richtung, wobei Sat 1 andere Bereiche etwas vernachlässigt hat, die heute ja so erfolgreich zu sein scheinen, wie etwa dieses Helptelevision, die "Super-Nanny" und ähnliches. Man hätte vielleicht aggressiver auch in diesen Bereich vorstoßen können. Qualität war schon richtig, vielleicht haben wir es ein bisschen übertrieben. Dass ich weggegangen bin, hat aber nichts damit zu tun. Ich hatte mir vorgenommen, zunächst für zwei Jahre zu Sat 1 zu gehen, habe dann verlängert. Als dann die zweite Verlängerung anstand, und ich erkannte, dass der Sender oder die Sender-Gruppe wieder verkauft werden sollte, wollte ich das nicht mehr mitragen und sah dies als optimalen Moment für meinen Ausstieg.
Sie werfen den Kapitalgebern vor, mit ihrem Blick auf den Profit die Kreativität im Privatfernsehen zu gefährden. War das nicht schon immer so, schließlich wollten die Anteilseigner schon früher hohe Gewinne einfahren?
Das werfe ich so eigentlich nicht vor, denn dasselbe könnte man ja den Öffentlich-Rechtlichen vorwerfen, die der Quote nachhecheln, obwohl sie nicht einmal auf Profit angewiesen sind. Ich beschreibe auch diesen unsinnigen Wettstreit zwischen ARD und ZDF, bei denen Ende des Jahres die besten Filme hintereinander abgefeuert werden, nur um in der Bilanz dann Quoten- sieger zu sein.
Ich glaube, dass wenn die Private-Equity-Firmen einziehen, wie das jetzt bei Pro Sieben/Sat 1 geschehen ist, die Schraube etwas überdreht werden könnte. Denn Anfang des Jahres steht immer eine Zahl fest: der erzielbare oder zu erzielende Gewinn. Und wenn dann die Einnahmen wegbrechen, fällt denen meistens nichts anderes ein, als die Kosten zu drücken. Das geht nur bis zu einem gewissen Grad. Danach kann sich das Ganze ins Gegenteil drehen. Und davor habe ich Angst.
Würden Sie noch mal so einen Sender leiten oder reizt Sie nicht vielleicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk?
Ich bin 62. An dieser Stelle meines Lebens stellt sich weder die eine noch die andere Frage. Ich habe das mit großer Begeisterung gemacht, aber dieses Kapitel ist abgeschlossen. Ich werde für niemanden mehr arbeiten. Ich bin Unternehmer und gehe nach 25 Jahren zurück zu meiner ersten Liebe, zum Radio, und gründe gerade in der Schweiz einige Radiostationen. Vor allem deswegen, weil das Radio dort ziemlich stark aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist. Dieses will ich gegen die Konkurrenz mit seinen gepuschten Formaten wiederbeleben.
Das Interview führte Maik Forberger
Die TV-Falle. Vom Sendungs- bewusstsein zum Fernsehgeschäft.
Verlag Kein & Aber, Zürich 2007; 254 S., 16,90 ¤