Medien
Ein Nachwuchsjournalist untersucht den »Kampagnen-Journalismus« der Bild-Zeitung
Rabauken", "Eiterbeulen", "geistige Halbstarke" - ach, was war das für eine Ära, als die Bild-Zeitung sich tatsächlich die Zeit nahm, sich für Studenten originelle Beschimpfungen auszudenken. Es waren die späten 1960er-Jahre, Hochzeit der Studenten-Demonstrationen. Quasi "Volksverhetzung" sei die Bild-Berichterstattung zu jener Zeit gewesen, kommentiert Axel Springer-Biograf Gerhard Naeher. "Bild hat mitgeschossen", skandierten die Studenten, nachdem ein Polizist in den Wirren der Anti-Schah-Demonstration Benno Ohnesorg erschossen hatte.
Damals wie heute: Bild ist und bleibt mit aktuell knapp 3,5 Millionen verkauften Exemplaren die auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands. Die meisten Rügen des Deutschen Presserats gehen auch an die Springeradresse, Jahr für Jahr. Und laut Ins-titut für Medieninhaltsanalyse ist sie auch die meistzitierte, im Jahr 2007 wieder einmal. Das gelingt besonders dann, wenn Bild Tag für Tag das gleiche Thema auf den Titel hievt, so lange, bis die anderen Medien über die Berichte berichten. Spätestens dann ist klar: Die Bild-Zeitung gibt den Ton an. Seien es Studentendemos, die Sache mit Florida-Rolf oder das "publizistische Trommelfeuer" gegen den Mindestlohn, wie es die IG-Metall nennt: lauter Kampagnen, so die Kritiker. Kampagne, das ist in diesen Zusammenhängen eindeutig ein Schimpfwort. Es wird immer dann ausgepackt, wenn die einen - etwa Politiker - vermuten, dass die anderen - etwa Bild - versuchen, Meinungen zu manipulieren. Und zwar im großen Stil.
Der Nachwuchsjournalist Vasco Boenisch, Jahrgang 1980, hatte offensichtlich die Nase voll von diesem Schimpfwort und schrieb kurzerhand seine Diplomarbeit über die "Strategie: Stimmungsmache". Boenisch, nicht verwandt mit dem Ex-Bild-Chef Peter Boenisch, präzisiert: "Ausgangspunkt ist der subjektive Eindruck, dass der Begriff 'Kampagne' oder 'Kampagnenjournalismus' im Zusammenhang mit journalistischer Berichterstattung oft und mitunter schnell gebraucht wird, ohne dass ein einheitliches Verständnis davon herrscht, was eigentlich Kampagnenjournalismus ist." Als Fallbeispiele zog er Geschichten heran, die noch dazu programmatisch mit der Historie des Blatts verbunden sind: Die Berichterstattung aus dem Jahr 2001 über die damaligen Bundesminister Joschka Fischer und Jürgen Trittin und deren angebliche Terroristenvergangenheit in den 60er-Jahren. Die Hauptrollen hatten zwei Fotos, das eine zeigte angeblich Fischer mit Helm, wie er auf einen Polizisten losgeht, das andere zeigte angeblich Trittin mit Schlagstock. Umstritten das eine, längst entlarvt das andere.
Aus Boenischs Diplomarbeit wurde nun ein Buch, und es ist, wie wohl kaum anders zu erwarten, sehr abschlussarbeitshaft geraten, gemäß des Untertitels: "Wie man Kampag-nenjournalismus definiert, analysiert - und wie ihn die Bild-Zeitung betreibt." Die Stringenz des Argumentationsaufbaus ist geradezu vorbildlich und daher, leider, ein wenig ermüdend für alle, die ihre Studienzeit hinter sich gelassen haben. Zumindest der erste Teil, in dem Boenisch eine wissenschaftlich fundierte Definition des Begriffs "Kampagnenjournalismus" wagt.
"Ich bin kein Feldherr. Ich bin kein Kampagnero", wird Bild-Chef Kai Diekmann 2001 zitiert. Drei Jahre später, zu Wahlkampfzeiten, befand er, nie sei eine Kampagne wichtiger gewesen als nun. Ja, was denn nun? Um das kaum überraschende Ergebnis der Fallstudien vorweg zu nehmen: Ja, Bild betreibt Kampagnenjournalismus. Ja, die Zeitung verstand sich "immer wieder als politischer Akteur respektive als Mittel zur Verwirklichung politischer Ziele". Und vor allem: Die "politische Kampagne" war im Falle von Fischer/Trittin "ganz offensichtlich nicht erfolgreich". Der schlagende Beweis für Boenisch ist, dass die beiden "schließlich auch vier Jahre später" noch im Amt gewesen seien. Die Folgen des geradezu fahrlässig-leichtsinnigen Umgangs mit Fakten in jener Phase bleiben im Dunkeln.
Trotzdem lohnt sich dieser zweite Teil des Buches, in dem die Fischer-Trittin-Kampag-nen ausgewertet werden, allemal. Abgesehen von der schlüssig aufbereiteten Ideologie-Tradition des Blattes: Nirgends sonst als in Boenischs Buch wird man wohl die gesammelten Ausschnitte aus jenen Kampag-nentagen auf einen Schlag finden. Und nirgends sonst erschlägt einen durch diese geballte Präsenz die ineinander verwobene Erzählstruktur der Bild-Stories: Sie verweisen ständig auf vergangene Artikel, eine Art bizarr-undurchsichtiger Fortsetzungsroman ("Bild berichtete ...") entsteht, und somit der "Eindruck einer systematischen Vermengung von Informationen, Emotionen und Meinungen". Für die Zeit ab 2004 gibt es für derlei Erkenntnisse zum Glück eine Hypertext-Variante, den Jungs von Bildblog.de sei dank.
Übrigens: Im Frühsommer 2007 startete das schwächelnde Boulevardblatt eine Marketingaktion unter dem Motto "Gestatten: Bild". In alarmroten Sprechblasen auf dem Titel der Sonderausgabe erfuhr man etwa, dass "die Buchstaben auf Seite 1 im Schnitt 5,5 Zentimeter hoch" seien. Links oben, über den vier großen Buchstaben prangte als Signet eine Hand, die eine Glocke schwingt. Als sei es die des Billigen Jakobs - ein Händler, der mit lautem Getöse und vollmundigen Behauptungen seine Ware minderer Qualität unter die Leute bringen will. Es gibt kaum ein passenderes Symbol für ein Blatt, das mit dem Slogan wirbt: "Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht."
Strategie: Stimmungsmache. Herbert von Halem Verlag, Köln 2007;
376 S., 29,50 ¤