JUGENDBEGEGNUNG
Zeitzeuginnen berichten über den Alltag im Konzentrationslager
"Er stand da mit einem Stäbchen in der Hand wie ein Dirigent. Er sah gut aus. Dass er der 'Herr Tod' war, wusste ich nicht", sagt Helga Kinsky über den KZ-Arzt Josef Mengele. Es sind Sätze wie diese, die am Morgen des 23. Januar im Paul-Löbe-Haus ins Mark treffen. Helga Kinsky ist eine der Zeitzeuginnen, die zur Eröffnung der Ausstellung "Die Mädchen von Zimmer 28" in den Bundestag gekommen sind. Die ältere Dame sitzt vor Jugendlichen aus vier Nationen am Kopf einer Tafel. Einer, der sich später trauen wird, eine Frage an sie zu stellen, ist der 22-jährige Sergej Sitnikov. Gemeinsam mit 68 anderen jungen Menschen aus Deutschland, Polen, Frankreich und Tschechien nimmt er - anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus - eine Woche lang am Programm der diesjährigen Jugendbegegnung des Bundestages teil. In Arbeitsgruppen haben sie sich mit dem Thema "Kinder als Opfer des Nationalsozialismus" beschäftigt, besuchen auch das ehemalige Konzentrationslager Theresienstadt. Die Jugendlichen kehren an den Ort zurück, über den Helga Kinsky spricht: Sie hat mit 15 anderen Mädchen aus Theresienstadt den Holocaust überlebt. 45 ihrer Kameradinnen, die im Alter von 12 bis 14 Jahren im Mädchenheim gelebt haben, wurden ermordet - auch Helga Kinsky stand kurz vor den Toren der Gaskammern von Auschwitz. "Haben Sie sich überhaupt als Kind gefühlt?", fragt Sergej mit ruhiger Stimme. Helga, wie Frau Kinsky von den Jugendlichen genannt werden möchte, lächelt. "Was ich erzähle, sind die hellen Momente, die wir hatten", sagt Kinsky . Sie berichtet von einem Alltag, der so kindlich normal gewesen zu sein scheint. "Wir haben uns auf den Kunstunterricht gefreut und unsere Lehrerin geliebt", so Kinsky und ein Schmunzeln huscht über ihr Gesicht. Aus heutiger Sicht bewertet sie die Zeichenstunde, die von einer anderen Inhaftierten organisiert wurde, gänzlich anders: "Das waren die Anfänge des therapeutischen Malens." 4.000 Bilder von den Mädchen aus Theresienstadt konnten gerettet werden und dokumentieren den kindlichen Blick auf das dunkelste Stück deutscher Geschichte. Trotz aller Unbeschwertheit schweifen die Gedanken an diesem 23. Januar oft ins Düstere ab: Helga Kinsky berichtet von Hunger und Tod. Freundinnen aus dem Mädchenheim verschwanden und kamen nie mehr zurück. Heute weiß Helga Kinsky, dass sie ermordet wurden. Umsorgende Mithäftlinge wollten den Kindern diese Welt nicht zumuten: "Sie wollten nicht, dass wir sehen", formuliert Kinsky. Sergej beschreibt ihre Erzählung nach dem Gespräch als "ehrlich" und bedankt sich für ganz nahe Einblicke in den Alltag von NS-Opfern.
Die Ausstellung "Die Mädchen von Zimmer 28" ist noch bis zum 15. Februar 2008 im Paul-Löbe-Haus zu sehen.