EU-REFORM
Der Vertrag von Lissabon könnte auch in die Außenbeziehungen der Union Bewegung bringen
Für einen kurzen Moment gingen nochmals die Emotionen hoch her: "Lüge" und "Monströse Täuschung" schallte es durch den Plenarsaal in Straßburg. Bei der Abstimmung über den Vertrag von Lissabon am 20. Februar im Europaparlament forderten euroskeptische Parlamentarier erneut ein Referendum über den Vertrag, der die ursprüngliche europäische Verfassung ersetzt. In Richtung der Kritiker mahnte der Präsident des Europaparlaments, dass Lautstärke nicht über die Werte Europas dominieren würden und sagte: "Das ist der freie Wille der Völker, die Sie vertreten. Das sah die Mehrheit der Europaabgeordneten genauso und stimmte mit großer Mehrheit für den am 13. Dezember in Lissabon unterzeichneten Vertrag: 525 Abgeordnete sprachen sich dafür, 115 Parlamentarier dagegen aus. Zwei deutsche Europaparlamentarier konnten an der Abstimmung allerdings nicht teilnehmen.
Sie waren nach Berlin gekommen, um auf einer Sitzung des Europaausschusses mit ihren Kollegen aus Berlin an einem Expertengespräch im Vorfeld der deutschen Ratifizierung teilzunehmen. Im Mittelpunkt der Sitzung standen dabei zwei Themenbereiche, für die das Lissabonner Vertragswerk eine Reihe von Änderungen bedeuten könnten: Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union (ESVP). Denn auch wenn es nach dem neuen Vertragswerk keinen gemeinsamen EU-Außenminister mehr geben wird, sondern einen Hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik, wird derzeit gefragt, inwieweit Europa jetzt auch außenpolitisch stärker mit einer Stimme sprechen wird. Nach Meinung der Europaexperten, die zu dieser Sitzung eingeladen worden waren, könnte der Vertrag durchaus neue Chancen für eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. bieten. Bei der Ausgestaltung komme es aber in starkem Maße darauf an, welche zukünftige Rolle das Europaparlament (EP) und die nationalen Parlamente dabei spielen werden. "Alle Parlamente sind aufgefordert, sich einzumischen", sagte Joachim-Fritz Vannahme, Projektleiter Europa der Bertelsmann-Stiftung. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die neuen Regelungen zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik der Union führen können. "Die Wirklichkeit wird den Vertrag überholen und eher zu Vergemeinschaftung führen", prognostizierte Vannahme.
Einig waren sich die Experten darüber, dass in vielen Bereichen noch eine unklare Kompetenzverteilung besteht: "Der Konflikt ist, wer wann wofür zuständig sein wird. Das regelt der Reformvertrag überhaupt nicht", sagte Andreas Maurer von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Nach seiner Meinung stellt das Vertragswerk eine "Aufaddierung verschiedener Integrationsvorstellungen" dar. Neben der EU als Rechtspersönlichkeit könnten dabei aber auch das Europaparlament und die nationalen Parlamente eine mögliche Klammerfunktion übernehmen, so Maurer. Auch Wolfgang Wessels von der Universität Köln verwies darauf, dass der Nutzen des Reformvertrages davon abhänge, "was die Regierungen daraus machen wollen", so Wessels. Dabei hob er hervor, dass der Bundestag im Vergleich zu anderen Parlamenten ein großes Mitspracherecht in außenpolitischen Fragen habe.
Hinsichtlich des Einflusses des EP kritisierte Tobias Pflüger, Abgeordneter der Linkspartei im Europaparlament, dass es mit dem Vertrag von Lissabon zwar eine Verlagerung von Kompetenzen an die EU gegeben habe, aber keine Sicherung der parlamentarischen Kontrolle. Dies nannte er auch als einen der Gründe, sich gegen eine Ratifizierung des Vertragswerkes auszusprechen. Elfriede Regelsberger vom Institut für Europäische Politik sprach sich hingegen auf Nachfrage der Abgeordneten für eine Ratifizierung des Vertragswerkes aus. Im institutionellen Bereich bedeute er einen Fortschritt. Als positive Aspekte nannte sie das Ende der rotierenden Präsidentschaft sowie mehr Sichtbarkeit und Kontinuität. Sie gab zu bedenken, dass der neue Vertrag beispielsweise bezüglich der Rolle des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik in Abgrenzung zum neuen Präsidenten des Europäischen Rates noch viele "offene Fragen" beinhalte. Auch in Deutschland sollen vor der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon noch einige Fragen, auch verfassungsrechtlicher Art, geklärt werden. Bislang ist geplant, dass er am 23. Mai im Bundesrat auf der Tagesordnung stehen wird. Bis dahin muss das Ratifizierungsverfahren den Bundestag durchlaufen haben. Momentan haben neben Ungarn und Slowenien bereits Malta, Rumänien und Frankreich den Vertrag von Lissabon ratifiziert, der dann offiziell am 1. Januar 2009 in Kraft treten soll.