Russland
Unterschiedliche Einschätzungen zweier langjähriger Moskau-Korrespondenten
Zwei bekannte deutsche Fernsehjournalisten - Gabriele Krone-Schmalz und Dirk Sager - streiten über Russland und beide beanspruchen für sich, die Wahrheit über die politische Entwicklung des riesigen Landes zu verbreiten. Besonders häufig schreibt Gabriele Krone-Schmalz über die "Wahrheit". Vorgelegt hat sie mit ihrem Buch "Was passiert in Russland?"ein Pamphlet als Antwort an alle Russland-Kritiker, um sie eines Besseren zu belehren. Mitunter macht die Journalistin glauben, sie spreche im Namen "der Russen", zum Beispiel wenn wenn sie den Westen auffordert, Präsident Vladimir Putins Medienpolitik nicht länger zu kritisieren. Daneben neigt sie dazu, Tatsachen entweder zu verallgemeinern oder zu verdrängen und ihre Leser zu manipulieren. Zwar lässt die langjährige ARD-Korrespondentin, von 1987 bis 1991 berichtete sie aus Moskau, immer wieder einfließen, dass sie durchaus die eine oder andere Entwicklung des politischen Systems in Russland nicht gutheißt. Gleichzeitig jedoch macht sie alle nieder, die eine andere Meinung vertreten. Ihr Klagelied: über Russland werde nur negativ berichtet.
Als die Nachricht von der Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja Deutschland erreichte, hielt sich Präsident Putin zufälligerweise zu Regierungskonsultationen in Dresden auf. Am Rande der Konsultationen im Oktober 2006 tagte auch der "Petersburger Dialog", dessen Lenkungsausschuss Krone-Schmalz angehört. Die deutschen Medien beschäftigten sich jedoch vor allem mit dem Fall Politkowskaja - angesichts der Brisanz des Themas eine schiere Selbstverständlichkeit, die eine frühere Fernsehjournalistin nicht überraschen sollte. Dennoch beklagt sich die Autorin bitterlich darüber, dass sich die deutschen Medien nicht für den Aufbau der Zivilgesellschaft in Russland interessiert hätten.
Krone-Schmalz betont immer wieder, ihr gehe es nicht darum, die politische Entwicklung in Russland "schönzureden". Vielmehr wolle sie die Öffentlichkeit auffordern, sich konkreter, pragmatischer und toleranter gegenüber Moskau zu verhalten. Ausdrücklich lobt die Autorin das "potemkinsche Dorf" der russischen Demokratie - die "Gesellschaftskammer" -, deren Mitglieder vom Kreml ernannt werden. Krone-Schmalz versteht auch in diesem Fall nicht, warum diese Kammer kritisch betrachtet werden muss. Dafür kennt ihr Kollege Dirk Sager die Antwort: Solche demokratisch nicht legitimierten Institutionen hätten dazu geführt, dass es in Russland heute nur "eine Imitation der Demokratie" gebe, schreibt er in seinem "Pulverfass Russland". Seine indirekte Auseinandersetzung mit Krone-Schmalz zeigt, welch tiefe Gräben die Russland-Kenner in Deutschland voneinander trennen.
Man dürfe Russland weder Ratschläge erteilen noch Forderungen stellen, meint Gabriele Krone-Schmalz. Das gilt auch für den Fall, dass die politische Berichterstattung im Fernsehen vollständig unter staatliche Kontrolle geriete. Zudem habe nicht Präsident Putin, sondern der Reformer Boris Jelzin mit der Unterdrückung der Medien begonnen, als er die Berichterstattung über den Tschetschenien-Krieg manipuliert habe. Ein schönes Beispiel für einen der Manipulationsversuche der Autorin: Denn ausgerechnet in den Jahren 1994 bis 1996 während der Präsidentschaft Jelzins wurde im russischen Fernsehen die ganze schreckliche Wahrheit über diesen Krieg erzählt. Dies trug entscheidend dazu bei, dass der Krieg bei der Mehrheit der Bevölkerung so unpopulär wurde.
Gabriele Krone-Schmalz ärgert sich zu Recht darüber, dass die fehlende Medienfreiheit und die Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China im Westen kaum interessieren, während Russland unter ständiger Beobachtung steht. Dabei scheint sie jedoch die Vorstellung umzutreiben, sie sei die Einzige, die sich für Russlands Schicksal interessiert. Aber gerade weil Russland ein Teil Europas ist, liegt es den Europäern näher am Herzen als China. Und es war der Wunsch Präsident Putins, Russland am Maßstab der universellen Menschenrechte zu messen, selbst wenn sie nur über den Umweg einer "souveränen Demokratie" zu erreichen sein sollten.
Das ständige Zitieren aus ihren veralteten Vorträgen, ihre Kritik an der "pseudo-demokratischen Veralberei" in Deutschland und den USA sowie das ständige Vergleichen unvergleichbarer Ereignisse machen aus dem Buch einen Kandidaten für die Altpapiersammlung. Krone-Schmalz geriert sich als kritiklose Multiplikatorin der Politik Präsident Putins, die sie wiederum nur oberflächlich erklärt. Von einer promovierten Slawistin und Politikwissenschaftlerin, die jahrelang in Moskau gelebt und gearbeitet hat, hätte der Leser wahrlich Besseres erwarten dürfen.
Trotz aller Unterschiede verbindet die beiden Bücher von Krone-Schmalz und Dirk Sager eines: Beide Autoren üben häufig Kritik an der eigenen journalistischen Zunft, ohne dabei jedoch Ross und Reiter zu nennen. So moniert sich Krone-Schmalz zu Recht über eine "renommierte Wochenzeitung", "einen "Fernsehmoderator" und seine "Sendung" wegen dümmlicher Schlagzeilen und Bemerkungen über Russland. Aber keine Namen!
Dirk Sager wiederum, er leitet bis 2004 das ZDF-Studio in Moskau, will zeigen, mit welch harten Bandagen der Image-Krieg um Russland auch in Deutschland ausgetragen wird. Er führt "eine Fernsehdiskussion" vom Dezember 2006 an, in deren Verlauf der von der US-Regierung hofierte frühere Schachweltmeister Garry Kasparow aus Moskau zugeschaltet werden sollte. Sager unterstellt dem russischen Botschafter in Deutschland indirekt, er habe dafür gesorgt, dass der ungeliebte Gast ausgeladen wurde. "Die Leitung der Redaktion", notiert Sager, "bestritt, dass es eine Einflussnahme gegeben habe." So viel zum aufklärerisch wirkenden westlichen Journalisten, der zwar den russischen Botschafter attackiert, aber nicht einmal den Namen der einflussreichen Sendung und ihrer Moderatorin, Sabine Christiansen, nennen will.
Insgesamt ist Dirk Sager aber ein sehr informatives Buch gelungen, auch wenn er mit Blick auf die aktuelle Sicherheitspolitik Russlands einige alte Klischees aus der Mottenkiste des Kalten Krieges packt. Beinahe perfekt ist seine Analyse der politischen Entwicklung, insbesondere die Ausarbeitung des "Putin-Paradox": Der vom Volk bejubelte Präsident, der als einziger die Innenpolitik stabilisieren kann, ist gerade deshalb Auslöser der größten Verunsicherung über den weiteren Weg dieses riesigen, sich über elf Zeitzonen erstreckenden Reiches.
Sager zeichnet Russland als ein Pulverfass, sollte sich der vom Volk mit über 70 Prozent der Stimmen legitimierte Präsident-Stabilisator aus der Politik zurückziehen und die Diadochen-Kämpfe die Atom-Macht in eine Krise stürzen. Gestützt auf wissenschaftliche Analysen beschreibt der Autor die Entwicklung der Elite in Russland und betont, dass die regierende Klasse hinter Putins Rücken schwere Kämpfe austrägt, um den Nachfolger zu bestimmen. Schließlich geht es nicht nur um Macht, sondern auch um die Kontrolle über Konzerne im Wert von einigen Hunderten Milliarden Euro.
Sager, der die späte Entscheidung des Präsidenten über seine Nachfolge kritisiert, sollte gerade hier Putins Rolle als Stabilisator würdigen: Denn eine frühere Festlegung auf Dmitrij Medwedjew hätte die Anhänger der "siloviki", also der politisch-wirtschaftlichen Kreise um Verteidigungs- und Innenministerium, Geheimdienste und Rüstungsindustrie gegen diesen Kandidaten mobilisiert. Putins Ziel, Russland wirtschaftlich zu sanieren, wäre gescheitert. Ob Sagers Aussage, von Vladimir Putin sei "die Rückkehr auf den Weg der Demokratie kaum zu erwarten" zutrifft, ist heute noch nicht abschließend zu entscheiden. Die Mehrheit der Russen bezieht, seit Präsident Putin amtiert, regelmäßig ihre Rente, ihre Gehälter, auch die Lebensmittelversorgung ist besser geworden. Vor allem deshalb und nicht wegen der gezielten Staatspropaganda wird die Putin-Legende vom besten Zaren im Kreml weiter leben.
Was passiert in Russland?
Herbig Verlag, München 2007; 254 S., 19,90 ¤
Pulverfass Russland. Wohin steuert die Großmacht?
Rowohlt Berlin, Berlin 2008; 272 S., 19,90 ¤