TOURISMUS
Erneut mehr Übernachtungen. Doch Klima und Demografie schaffen neue Herausforderungen
Für den Tourismus hat sich die Fußballweltmeisterschaft 2006 im eigenen Land als wahrer Segen erwiesen. Gab es in Deutschland 2006 bereits gut 351 Millionen Übernachtungen, so stieg diese Zahl im vergangenen Jahr auf mehr als 360 Millionen an. Zum vierten Mal in Folge konnten die Zahlen gesteigert werden, berichtete der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Ernst Hinsken (CSU), am 22. Februar im Bundestag. Vor der am 5. März in Berlin beginnenden größten Reisemesse der Welt, der Internationalen Tourismus-Börse (ITB), beschäftigte sich das Parlament mit dem tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung für diese Wahlperiode ( 16/8000), der nun zusammen mit einem Entschließungsantrag der FDP ( 16/8194), einem FDP-Antrag zur Tourismusförderung in Entwicklungsländern ( 16/8176) und einem Antrag der Linksfraktion zum Urlaub im ländlichen Raum ( 16/7614) im Tourismusausschuss beraten werden wird.
Eine weitere Zahl aus Hinskens Bericht: Geschäftsreisen sorgen in Deutschland für einen Umsatz von jährlich 63,3 Milliarden Euro und schaffen damit eine stabile Nachfrage nach Dienstleistungen. "Für Osteuropa ist Deutschland ein attraktiver Geschäfts- und Messestandort geworden", sagte der Tourismusbeauftragte, der sein Büro im Bundeswirtschaftsministerium hat.
Kritische Aspekte griffen die Tourismuspolitiker der Opposition auf. So forderte Ernst Burgbacher (FDP), die Mittel für die Tourismusförderung im Wirtschaftsministerium zu bündeln. Dort seien dafür 27 Millionen Euro vorgesehen, in den Etats anderer Ministerien zusammen rund 50 Millionen Euro. Burgbacher griff auch eine seit Langem erhobene Forderung des Hotel- und Gaststättengewerbes auf, das für seine Dienstleistungen den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent verlangt, was bislang an allen Finanzministern scheiterte. Die Nichtraucherschutzregelung nannte er ein "Umerziehungsprogramm für die Bevölkerung". Auch habe es die Regierung nicht geschafft, für die deutschen Kurorte vergleichbare Bedingungen zu schaffen, wie sie die konkurrierenden osteuropäischen Kurorte hätten. Das Gaststättengewerbe habe im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von 4,9 Prozent hinnehmen müssen, sagte Burgbacher, der dafür die Koalition verantwortlich machte. Mit der Mehrwertsteuererhöhung und der Erbschaftsteuerreform werde der Mittelstand immer mehr stranguliert.
Für Ilja Seifert von der Linksfraktion steht dagegen nicht die Tourismusbranche im Mittelpunkt, sondern der potenzielle Tourist, dem das Reisen mangels finanzieller Möglichkeiten versagt bleibt. Nicht die Bedürfnisse der wachsenden Gruppe gut situierter, reisefreudiger "Best Ager" zwischen 50 und 75 Jahren, sondern die der arbeitslosen Hartz-IV-Empfängerin mit vier Kindern sollten in den Blickpunkt rücken, sagte Seifert. Sein Leitbild sei das "Recht auf Reise" jedes Menschen. Kritisch äußerte sich Seifert zum Auslandsmarketing der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT). Diese werbe für 50 deutsche Städte, darunter nur acht aus Ostdeutschland. Städte wir Görlitz, Weimar oder Wismar seien nicht dabei.
Die Folgen des Tourismus für den Klimawandel stehen für Bündnis 90/Die Grünen im Vordergrund. In ihrem Antrag, den Tourismus zur Armutsbekämpfung in der Dritten Welt zu nutzen ( 16/4181), hatten sie unter anderem eine Flugbenzinsteuer gefordert. Nicht zuletzt deswegen hatten die Koalition und FDP dieser Initiative ihre Zustimmung versagt ( 16/8173). Bettina Herlitzius forderte in der Debatte, die touristische Infrastruktur klimaschonend zu entwickeln. Fünf Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen gingen auf das Konto des Tourismus. Die Grünen-Abgeordnete regte an, die Kohlendioxid-Belastung, die durch eine Pauschalreise entsteht, in deren Preis mit einzurechnen. Brunhilde Irber (SPD) räumte ein, dass sich der Kohlendioxidausstoß aufgrund von Flügen seit 1990 verdoppelt habe. Bundesumweltminister Gabriel (SPD) berücksichtige diese Entwicklung jedoch, indem die Haushaltsmittel für den Klimaschutz in diesem Jahr von 700 Millionen Euro auf 2,6 Milliarden Euro angehoben worden seien. "Der Klimawandel wird das touristische Angebot beeinflussen", sagte Irber. Um mit der Konkurrenz in Asien und Afrika mithalten zu können, müssten sich die deutschen Anbieter bei der Produktqualität, beim Preis und beim Service "weiterentwickeln". Ihre Fraktionskollegin Annette Faße wies auf den zunehmend wichtigen Aspekt des barrierefreien Reisens hin. "Barrierefreiheit kommt allen zugute", sagte sie. Der tourismuspolitische Sprecher der Union, Klaus Brähmig, wies auf die Impulse hin, die der Tourismus für den Einzelhandel, das Baugewerbe und für den Kultursektor auslöst.
Der Bundestag nahm bei Enthaltung der FDP Koalitionsanträge zum Ferntourismus ( 16/4603) und zum Kreuzfahrt- und Fährtourismus ( 16/5957) an. Er folgte dabei Empfehlungen des Tourismusausschusses ( 16/8173, 15/8172). Linke und Grüne enthielten sich. Jürgen Klimke (CDU/CSU) sagte, damit wolle man nicht nur zur Aufklärung von Reisenden in Entwicklungsländern beitragen, sondern sie auch für die anderen Kulturen interessieren und gegen Kinder-Sexourismus vorgehen. Auf Wunsch der Partnerländer sollte der Tourismus zu einem Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit werden können.
Kreuzfahrten und Flusskreuzfahrten sieht die Koalition als Wachstumsmärkte. Wichtig sei die gute Anbindung der Häfen von der Land- wie von der Seeseite sowie an das Netz der Deutschen Bahn. Linke und Grüne kritisierten, dass die negativen Aspekte des Kreuzfahrttourismus wie etwa die Umweltbelastung im Koalitionsantrag nicht zur Sprache kämen.