Bei der Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 3. März zeigten sich die zwölf Sachverständigen uneins über eine mögliche Änderung des Stammzellgesetzes ( 16/7981, 16/7982, 16/7983, 16/7984 und 16/7985). In erster Linie diskutierten sie kontrovers über den Rechtsstatus von Embryonen und Stammzelllinien. Die Experten waren sich außerdem nicht einig, ob eine Verschiebung oder Abschaffung des Stichtages für eine qualitativ hochwertige Forschung mit embryonalen Stammzellen in Deutschland notwendig ist. Strittig blieb auch, ob ein Kompromiss wie eine Verschiebung des Stichtages ethisch vertretbar wäre.
"Die Linien waren damals schon schlecht, wir wussten es nur nicht", sagte Professor Hans Schöler, Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Bio-Medizin und Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES), über die Stammzelllinien, die vor dem 1. Januar 2002 im Ausland gewonnen wurden und heute für die Forschung eingesetzt werden. Die Wissenschaft habe damals nicht gewusst, wie man die Zellen richtig kultiviert und einfriert. Deswegen seien sie teilweise unbrauchbar, so Schöler. "Alte Stammzellen sind eindeutig für die Grundlagenforschung zu verwenden", meinte dagegen Professorin Regine Kollek, Bioethik-Expertin und Mitglied des Deutschen Ethikrates. Selbst die neueste Forschung an adulten Stammzellen habe zum Vergleich embryonale Stammzellen herangezogen, die auch in Deutschland verwendet werden dürfen. "Das ist kein Einzelfall, die verwendeten Zellen gehören zu den international am besten erforschten, und es ist bisher nicht nachgewiesen, dass sie mit Viren kontaminiert sind", so Kollek. Auch genetische Veränderungen, wie sie von Forschern beklagt würden, seien nicht generell an den Zellen festzustellen.
Unter Juristen blieb strittig, ob durch die Forschung an Stammzellen die Menschenwürde der Embryonen verletzt werde. Reinhard Merkel, Jura-Professor aus Hamburg, betonte, dass eine Änderung des Stammzellgesetzes nicht den Embryonenschutz antaste. Es gehe um einen Teil von Embryonen, an denen geforscht werde, nachdem die Embryonen schon gestorben seien. Tote hätten aber nicht die gleichen Würderechte wie Lebende. Christian Hillgruber, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn, unterschied zwar ebenfalls zwischen Embroynen und Stammzelllinien. Er betonte jedoch das Lebensrecht der Embryonen, die für die Gewinnung von Stammzelllinien zerstört werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht habe anerkannt, dass auch die Würde der Toten gewahrt bleiben müsse. Also gelte diese Würde auch für Embryonen, was aus seiner Sicht jede Nutzung zur Forschungszwecken ausschließe. Die Rechte Kranker, die sich Therapien aus embryonalen Stammzellen erhofften, würden dadurch nicht verletzt.
Gegen einen Kompromiss in Form einer einmaligen Verschiebung des Stichtages sprach sich Professor Robert Spaemann aus München aus. Nach der Auffassung des Grundgesetzes seien die Embryonen Träger von Menschenrechten. "Wenn Embryonen Menschen sind, folgt daraus, dass man nicht von den Interessen anderer ausgehen darf, sondern von denen des Embryos." Embryonen dürften deswegen nie als Objekte betrachtet, sondern müssten als Subjekte wahrgenommen werden, weswegen sie nicht für Forschung oder Therapien zu instrumentalisieren seien. Aus diesem Grunde dürfe man keinen Kompromiss schließen. Peter Dabrock, Professor für Sozialethik aus Marburg, hielt einen Kompromiss dagegen für vertretbar, da noch nicht abschließend geklärt sei, ob es sich bei den Embryonen tatsächlich um Menschen handele. Die Intention des Gesetzes sei, Forschern in engen Grenzen die Arbeit mit embryonalen Stammzellen zu erlauben. Wenn diese Forschung nicht mehr durchführbar sei, weil die Linien nicht brauchbar seien, könne der Stichtag angepasst werden. Das stelle nicht den Sinn des Gesetzes in Frage.