Das grüne Gold
Pharmakonzerne machen Milliardengewinne mit der Natur und fremdem Wissen
Das Autorenduo Michael Frein und Hartmut Meyer erzählt ein weiteres Kapitel jener traurigen Geschichte, die mit den Entdeckungsfahrten der europäischen Seemächte und der folgenden Kolonialisierung Afrikas, Asiens, Australiens und des amerikanischen Doppelkontinents begann, und sich seit diesen Tagen in unzähligen Varianten wiederholt hat. Es ist die Geschichte der Ausbeutung von Menschen und Ländern - eine Ausbeutung, die auch nach der Entlassung dieser Staaten in die Unabhängigkeit kein Ende nehmen will.
Standen in vergangenen Zeiten etwa Bodenschätze und Sklaven ganz oben auf der Liste der "Kolonialwaren", so entwickeln die Industrieländer heute verstärkt Appetit auf ganz andere Schätze - Frein und Meyer nennen sie das "grüne Gold". Ihr Buch "Die Biopiraten" ist eine engagierte Anklage gegen die unkontrollierte Nutzung der biologischen Artenvielfalt und - viel gravierender - gegen eine bislang zu wenig beachtete und bekämpfte Form des geistigen Diebstahls.
Die Geschichte, die der Biologe Meyer und der Politikwissenschaftler Frein zu erzählen haben, ist zunächst denkbar einfach: Pharma- und Kosmetikkonzerne durchstreifen die Pflanzenwelt von Urwäldern, Steppen und Wüsten nach neuen Wirkstoffen zur Erweiterung und Verbesserung ihrer Produktpaletten. Das erinnert im Ablauf an jene Zeiten, als die Entwicklungsländer vorwiegend als Rohstofflieferanten für die Industrieländer dienten, die über das technische Know-How verfügten, um aus diesen Rohstoffen Fertigprodukte zu verarbeiten. Im Prinzip hat sich daran bis heute wenig geändert. Mit einer entscheidenden Ausnahme: Beim Aufspüren "neuer" pflanzlicher Wirkstoffe, greifen die Forscher gerne auf das alte Wissen indigener Völker zurück, die jene Pflanzen bereits seit Jahrhunderten für ihre Zwecke nutzen.
Michael Frein und Hartmut Meyer haben mehrere solcher Fälle in ihrem Buch dokumentiert. Beispiel Südafrika: In den 1960er-Jahren durchstreifen Botaniker des Zentrums für wissenschaftliche und industrielle Forschung CSIR im Regierungsauftrag das Land, um alle Pflanzen und ihre potenziellen Nutzungsmöglichkeiten zu erfassen. Unter anderem stoßen sie dabei auf ein kaktusähnliches Gewächs namens Hoodia. Die stachelige Pflanze ist ein erfolgversprechender Anwärter für die Labors. Die Botaniker wissen, dass die San - in Deutschland unter der Bezeichnung "Buschleute" bekannt - die Pflanze bei ihren Wanderungen durch die Kalahari als Mittel gegen den Hunger nutzen. Rund 30 Jahre dauert es, dann ist es den Forschern gelungen, aus der Hoodia einen Wirkstoff zu isolieren, der ein lukratives Geschäft verspricht - als Appetitzügler. Das CSIR lässt sich den Wirkstoff mit dem Namen P 57 als Patent schützen und verkauft 1997 eine Lizenz an das britische Unternehmen Phytopharm. Im gleichen Jahr verkauft das Unternehmen die Lizenz an den Pharmakonzern Pfizer für 25 Milliarden US-Dollar. Inzwischen liegt die Lizenz bei Unilever, dem größten Konsumgüterkonzern der Welt.
Aufgedeckt wurde der Fall durch die britische Presse: ein Glücksfall für die San. Nach wütenden Protesten gelingt es ihnen im Jahr 2003, einen Vertrag mit der CSIR auszuhandeln, der ihnen eine sechsprozentige Beteiligung aus den Lizenzeinnahmen sichert. Geld, dass die verarmten San gut gebrauchen können. Im Falle einer anderen Pflanze, der Teufelskralle, hatten sie weniger Glück. Aus ihr werden unter anderem Schmerzmittel gewonnen.
Der Fall der Hoodia stellt sich noch vergleichweise einfach dar. Die San konnten sich an ihre eigene südafrikanische Regierung wenden, denn das CSIR ist eine halbstaatliche Einrichtung. Nach der Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity), die auf der Konferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wurde, liegen die Nutzungsrechte über Pflanzen allein bei jenen Staaten, in denen sie vorkommen.
Doch das Wissen der indigenen Völker über die Wirkungen bestimmter Pflanzen sind durch die Konvention eben nicht, oder zumindest nur sehr unzureichend gewahrt. Dies lässt sich derzeit meist nur über das internationale Patentrecht bewerkstelligen. Doch dieses bevorzugt jene Nationen und Konzerne, die auch in der Lage sind, der Natur die begehrten Wirkstoffe zu entlocken. Indigene Völker bleiben meist gänzlich auf der Strecke, werden auch von ihren Regierungen missachtet.
Es ist eine mitunter verworrene juristische Materie, durch die die Autoren ihre Leser führen müssen. Einzelne internationale Abkommen widersprechen sich oder werden schlicht unterlaufen, da sie nur schwer umsetzbar oder einklagbar sind. Auch wenn Frein und Meyer stellenweise zu weitschweifig vorgehen, gelingt es ihnen doch meist, die komplexe Sachlage verständlich zu vermitteln. Unparteiisch gehen die Autoren dabei nicht vor: Sie plädieren eindrücklich für die Rechte der indigenen Völker und für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur. Trotzdem wahren sie die gebotene seriöse Argumentation, den moralischen Zeigefinger erheben sie nur dort, wo es auch geboten ist.
Econ Verlag, Berlin 2008; 251 S., 16,90 ¤