Jürgen Basedow
Der Chef der Monopolkommission fordert den Staat als Gewährleister - auch bei der Teilprivatisierung der Bahn
Herr Basedow, die Monopolkommission hat unter Ihrem Vorsitz früh vor einer kompletten Privatisierung der Bahn und ihres Schienennetzes gewarnt. Nun soll nur der Fahrbetrieb an die Börse - und auch der, so hat die SPD vorgegeben, nur zu knapp einem Viertel. Ein Erfolg der Monopolkommission?
Uns geht es nicht um Erfolg oder Misserfolg der einen oder anderen Seite, sondern um funktionierenden Wettbewerb. Nun mag es paradox klingen, dass wir als Wettbewerbshüter bei der Bahn gegen die Komplettprivatisierung waren. Uns ging es aber darum, dass nicht Schienen und Fahrbetrieb in einer Hand sind, weil immer derjenige Vorteile hat, der im eigenen Netz Dienste anbietet. Da ist ein privates Monopol nicht besser als ein staatliches. Nicht jede Form der Privatisierung führt automatisch zu mehr Wettbewerb.
Ist das überhaupt noch eine Privatisierung, wenn nur ein Viertel des Fahrbetriebs an die Börse geht?
Es ist ein erster Schritt. Die Sozialdemokratie hat naturgemäß Probleme damit, einen Bereich der Daseinsvorsorge zu privatisieren. Ich selbst halte einen Verkauf des Fahrbetriebs für notwendig, weil die Bahn sonst ein Loch ohne Boden ist. Am Ende stehen für das Haushaltsrisiko Bahn, wenn sie in Bundesbesitz bleibt, die Steuerzahler gerade. Sozial ist das nicht. Absurd sind Vorstellungen in der SPD, auf alle Ewigkeiten festzuschreiben, dass nur ein Viertel des Fahrbetriebs privatisiert wird. Hier wäre eine Änderung des Grundgesetzes nötig, wofür es meiner Ansicht nach keinerlei Mehrheit gibt. Wenn in der Zukunft neue Mehrheiten im Parlament die Organisationsstruktur der Bahn nicht mehr antasten dürften, dann würde diese in der Verfassung in einen ähnlichen Rang erhoben wie etwa der Schutz der Menschenwürde. Das kann doch niemand wollen.
Strikte Privatisierungsgegner argumentieren, ein profitorientierter Privatbetreiber der Bahn würde nicht mehr allen Bürgern zu erschwinglichen Preisen Mobilität garantieren.
Seit sechs Jahrzehnten wird das Streckennetz der Deutschen Bahn verringert. Das hat also nichts mit privater oder staatlicher Eignerschaft zu tun. Es geht schlicht die Nachfrage zurück, weil immer mehr Menschen motorisiert sind. Zugleich steigen die Kosten der Bahn. Also verringert sie ihr Angebot.
Sie erwähnten die Daseinsvorsorge. Hierbei geht es doch darum, dass der Staat den Bürgern ein bestimmtes Niveau an Infrastruktur bereit stellt. Steht nicht dieser Anspruch immer im Konflikt zu Privatisierungsprojekten?
Es gibt da ein Spannungsfeld, das ist richtig. Aber der Begriff der Daseinsvorsorge ist unscharf und teils sogar irreführend. Beim öffentlichen Nahverkehr neigt jeder dazu, ihn zur Daseinsvorsorge zu zählen. Das hätte aber vor vierzig Jahren bei den Schwimmbädern auch jeder getan, und heute haben wir kein Problem damit, dass hier vieles privat ist. Bemerkenswert ist, dass gerade die Versorgung der Menschen mit so elementaren Gütern wie Nahrungsmitteln ohne Zögern dem privaten Handel überlassen wird. Ein wirkliches Problem aber ist, dass der Begriff der Daseinsvorsorge nahe legt, dass hier Wirtschaftlichkeit keine Rolle spielen soll. Das aber bedeutet Quersubventionierung. Und wieder muss der Steuerzahler für die Rechnung aufkommen.
Sie plädieren für den untätigen Staat?
Keineswegs. Der Staat muss aber nicht alles selbst machen, sondern nur schauen, dass die Märkte die entsprechenden Leistungen wirklich erbringen. Das ist dann der moderne Gewährleistungsstaat.
Auch ein Unionspolitiker wie Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust hat erklärt, der Verkauf etwa der Hamburgischen Elektriziätswerke HEW sei ein Fehler gewesen. Die Strompreise sind seit der Öffnung des Markts heftig gestiegen...
Die HEW sind nicht einfach privatisiert worden, sondern sie sind fusioniert mit dem Konzern Vattenfall. Wir haben im Strommarkt einen bedenklichen Konzentrationsprozess. Von neun Verbundunternehmen sind bloß vier übrig gebliegen, und die betreiben untereinander keinen effektiven Wettbewerb. Privatisierung ohne Wettbewerb aber ist ein Problem.
Ist die als Kontrollinstanz geschaffene Bundesnetzagentur ein taugliches Mittel im Kampf für mehr Wettbewerb?
Ja, auch wenn ihre Kompetenzen im Energiesektor zum Teil noch zu eng gefasst sind. Im Telekommunikationssektor waren die Befugnisse der Agentur dagegen sehr weit gefasst, und hier hatte die Privatisierung und Marktöffnung Erfolg. Heute herrscht ein reger Wettbewerb und die Telefonkosten der Verbraucher sind drastisch gesunken. Das liegt auch am technischen Fortschritt, aber eben nicht nur.
Privatisierung bedeutet also nicht weniger Staat, sondern erfordert im Gegenteil einen starken Staat - nur eben nicht mehr als Eigentümer oder Manager von Unternehmen, sondern als Regulierer?
Ja, bei natürlichen Monopolen wie in der Netzwirtschaft - Bahn, Strom, Wasser - unbedingt.
Beispiel Wasser: Rostock hat seine Wasserversorgung an den Konzern Eurawasser gegeben, dabei aber das Leitungsnetz nicht verkauft. Die private Seite investierte Unsummen, seit sechs Jahren sind nun die Wasserpreise nicht mehr gestiegen. Beleg dafür, dass man Netze grundsätzlich besser nicht veräußert?
Wettbewerbspolitisch ist die Trennung von staatlichem Netz und privater Nutzung ein Vorteil. Es gibt aber auch Nachteile. Bei einer Trennung von Netz und Betrieb haben die Netzeigner weniger Informationen über die nötigen Investitionen. Die Nutzer selbst haben diese Informationen und im übrigen ein großes Interesse an Pflege und Ausbau der Netze.
Was lässt sich sonst aus der Wasserprivatisierung in Rostock ableiten?
Vielleicht, dass die öffentliche Seite als Verkäufer lieber auf die möglichen Spätfolgen schauen sollte statt vor allem auf die Maximierung des Verkaufspreises. Es ist problematisch, wenn in der Politik kurzfristige finanzielle Kalküle langfristig wirkende Entscheidungen bestimmen.
Beispiel Krankenhäuser: In Hamburg hat der Konzern Asklepios viel Porzellan zerschlagen. Der Klinikkonzern Helios hingegen wird vielfach für sein Qualitätsmanagement gelobt. Zeigt dies, dass es bei Privatisierungen weniger auf das Ob ankommt als auf das Wie?
Aus Hamburg haben in der Tat viele Klagen zum Thema Asklepios die Monopolkommission erreicht. Niedergelassene Ärzte beschweren sich, weil - so heißt das bei den Medizinern - Patienten blutig aus den Kliniken entlassen wurden. Mit den Fallpauschalen gibt es im Gesundheitssystem einen Anreiz, lange Liegezeiten zu vermeiden, weil diese statt Geld nur Kosten bringen. Die privaten Konzerne gehen damit offenbar unterschiedlich um. Hier werden die Gerichte durch eine Verschärfung der Haftungsfolgen disziplinierend wirken müssen. Das könnte dann Mängel oder Fehler bei der Organisation oder der Behandlung von Patienten für die Kliniken finanziell sehr schmerzhaft machen.
Auch bei der Flugsicherung, bei Gefängnissen oder der Logistik der Bundeswehr gibt es konkrete Überlegungen, teilweise zu privatisieren. Bislang galt derlei in Deutschland als Tabu...
Beim Thema Sicherheit sollte man mit Privatisierungen sehr vorsichtig sein. Das ist wirklich ein Kernbereich von Staatlichkeit. Und, ganz pragmatisch, der Staat muss hier im Zweifel auch mal sehr schnell eingreifen können. In privatisierten Bereichen ist natürlich auch Steuerung möglich, aber die wirkt immer nur zeitverzögert. Hier handelt es sich also um eine staatspolitische Frage - nicht um eine ökonomische.
Das Interview führte Jonas Viering.
Jürgen Basedow ist Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Privatrecht in Hamburg und
Vorsitzender der Monopolkommission.