BILDUNG
Grund- und Hauptschulen fehlt es an Rektoren
Wie eine Mission nahm Hans-Jürgen Watty seinen Doppeldienst an: Der Direktor der katholischen St.Cäcilia-Grundschule in Düsseldorf ist seit sechs Monaten Chef von zwei Schulen. "Ich bin Diener zweier Herren", sagt er. Er habe sich verpflichtet gefühlt, die Kollegien nicht im Stich zu lassen. Watty ist ein Glücksfall für die Stadt und Regierung: Allein in der Landeshauptstadt fehlen 17 Grundschulrektoren. Und mit jedem Schuljahr wird der Mangel schlimmer.
Im bevölkerungsreichsten Bundesland sind nach Angaben der Bezirksregierungen an fast 250 Grundschulen und rund 40 Hauptschulen die Rektorenstellen unbesetzt. Die Problematik treffe nicht alle Bundesländer gleich stark, berichtet der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Während in Bayern und im Saarland offene Stellen recht schnell wieder besetzt würden, seien die "Chefsessel" an Grund- und Hauptschulen in Sachsen-Anhalt, Berlin und Nordrhein-Westfalen sehr oft und lange verwaist.
"Die Tatsache, dass eine Schulleiterstelle nicht besetzt ist, heißt nicht, dass eine Schule nicht geleitet wird", sagt NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU). Ohne Leitung vielleicht nicht. Aber doch häufig ohne freiwillige und motivierte Leistung. In der Regel tritt der Konrektor oder die Konrektorin in die Fußstapfen ihres Vorgesetzten. Wenn aber auch die Stellvertreter fehlen, können die Dienstältesten zwangsverpflichtet werden, die Schulorganisation in die Hand zu nehmen. Eine beinahe unzumutbare Aufgabe für die meist weit über 50-jährigen Pädagogen, die möglicherweise noch nie eine Konferenz gehalten haben.
Die betroffenen Landesregierungen machen meist ihren Vorgängern Vorwürfe. "In den 1980er- und 1990er-Jahren gab es einen Einstellungsstopp", so Andrej Priboschek, Sprecher des NRW-Bildungsministeriums. Diese Lehrer wären jetzt in den besten Chefjahren und würden gravierend fehlen. Außerdem zeige die Stundenreduktion der Grundschullehrer, dass die Pädagogen wenig Interesse oder aus familiären Gründen wenig Möglichkeiten hätten, einen Leitungsjob zu übernehmen.
Hans-Jürgen Watty ist zum Büropendler mutiert. Zwei Tage in der Woche ist er in der einen, drei Tage in der anderen Schule. Er hat doppelte Elternabende, muss doppelt so viele Stundenpläne austüfteln, doppelt so viele Bücher bestellen, Schulausflüge genehmigen und Fragen von Eltern und Kollegen beantworten. "Nach ein paar Wochen war ich kurz davor aufzuhören", sagt Watty. "Ich dachte: Das schwappt alles über mich zusammen." Eine Kollegin, die ebenfalls zwei Schulen leitet, erlitt zu dieser Zeit einen Kreislaufzusammenbruch. Dann habe sich Watty aber doch an seinen überfrachteten Alltag gewöhnt und ein System entwickelt. Rote Ordner sind für die eine, grüne für die andere Schule reserviert. Erstmals hat er vom Schulamt einen Internetanschluss erhalten. Watty spricht begeistert wie von einem großen Geschenk.
Die Behörde will sich aber einiges mehr einfallen lassen als eine simple Online-Verbindung, um neue Rektoren zu finden. Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU) will die Werbetrommel rühren. "Wir müssen das ganze attraktiver machen", sagt er. Und Lehrer aus anderen Städten abwerben. So könne die Stadt bei der Wohnungssuche helfen und die Krippenplätze für die Kinder der Pädagogen organisieren.
Dabei legt die Bezirksregierung willigen Lehrern häufig selbst Steine in den Weg. Wattys Schule wurde zunächst erfolgreich von einer evangelischen Kollegin geleitet - bis das Amt plötzlich ihre Konfession bemängelte. "Alle waren zufrieden bis die Bezirksregierung plötzlich auf die Vorschriften pochte", so Watty. Auch Konrektoren können nicht einfach ihre langjährige Arbeitsschule leiten. Sie sind verpflichtet, für eine Leitung an eine andere Schule zu wechseln.
Lehrerverbände rechnen damit, dass sich der Mangel in den kommenden Jahren noch extrem verschärfen wird. "Der Job ist einfach unattraktiv", sagt Gitta Franke-Zöllmer, Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung in Niedersachsen. Nach Pisa sei den Schulen eine Fülle an neuen Aufgaben zugeschanzt worden, ohne sie dafür zu entlasten. "Die Leiter sind in eine Rolle gedrängt, zu der sie nie ausgebildet wurden und die ihnen unglaublich viel abverlangt", so Franke-Zöllmer.
Aber nur ein Teil des Systems leidet: An Gymnasien und Gesamtschulen finden sich häufig geeignete und willige Kandidaten. Die meist wesentlich größeren Schulen haben eine viel größere Auswahl an Führungspersonal und verspricht ihm auch eine wesentlich bessere Besoldung. "An den kleinen Grund- und Hauptschulen lastet die Arbeit auf viel weniger Schultern", so Franke-Zöllmer. In Niedersachsen beispielsweise hätten viele der nicht einmal eine Sekretärin oder einen Hausmeister.
Uwe Kanning, Leiter der Beratungsstelle für Organisationen an der psychologischen Fakultät der Universität Münster, rät den Ländern zur Weitsicht. "Sie müssen eine langfristige Strategie entwickeln", sagt er. Die fehle gerade im öffentlichen Dienst. "Führungswillige und begabte Lehrer sollten schon mit 35 Jahren aufgebaut werden, später mal die Schule zu leiten." Der Psychologe schlägt vor, das Personalmanagement der freien Wirtschaft zu imitieren.
Der Düsseldorfer Hans-Jürgen Watty möchte jedenfalls nach den Sommerferien seinen Leitungsjob abgeben. Eine Katastrophe für den Stadtteil. Ein Kollege hört dieses Jahr auf, zwei weitere gehen 2009 in Rente, an einer Schule sind es sogar die Rektorin und ihre Stellvertreterin. Trotzdem, so weit geht Wattys Mission dann auch nicht. "Ich will wieder mehr Zeit mit den Kindern verbringen", sagt er. Dafür sei er schließlich Lehrer geworden.