TOURISMUSAUSSCHUSS IN BRÜSSEL
Verheugen wendet sich strikt gegen EU-weite Hotelklassifizierungen
Muss ein Drei-Sterne-Hotel in Rumänien die gleichen Standards bieten wie ein Drei-Sterne-Hotel in Luxemburg? Im Europäischen Parlament und in den Parlamenten südeuropäischer EU-Mitgliedstaaten wird diese Frage mit Ja beantwortet. Nein sagt dagegen der Viezpräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für Industrie und Unternehmen, Günter Verheugen.
Eine fundamentale Auseinandersetzung sieht Verheugen da kommen, verriet er dem Tourismusausschuss des Bundestages am 5. Mai in Brüssel. "Sie wollen europäische Standards schaffen für Beherbergung und Bewirtung", sagte der EU-Kommissar. "Mir graut's davor", fügte er hinzu. Verheugen sieht sich nach eigenen Worten in einem "Abwehrkampf". Er sieht dies eingebettet in eine allgemeine Tendenz zur "Lifestyle-Regulierung", wenn etwa vorgeschrieben werde, was man essen und trinken soll: "In der Gesamtheit führt dies zu einer Gesellschaft, in der der Einzelne mehr und mehr gegängelt wird." Er ziehe Anreize und Belohnungen einer "Politik des Verbietens" vor. "Ich habe mich dagegen gewehrt, darauf einzugehen", sagte er im Hinblick auf eine Entschließung des Europaparlaments vom vergangenen November. Darin wird die Kommission aufgefordert, mit den Verbänden eine Methodik für Mindestsicherheits- und -qualitätsstandards von "Beherbergungsleistungen" festzulegen.
"Wir sehen Tourismus stark unter Gesichtspunkten der Verbraucher und der kleinen und mittleren Unternehmen", sagte der Europaabgeordnete Georg Jarzembowski von der christdemokratischen EVP-ED-Fraktion und Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr.
Die deutschen Abgeordneten in diesem Ausschuss "puschen" zurzeit vor allem ein Thema, wie Jarzembowskis sozialdemokratischer Kollege Ulrich Stockmann sagte: Passagierrechte. Da geht es um die EU-weite Angleichung von Entschädigungen für verspätete Züge und überbuchte Flugzeuge. Diese europäisch geregelten Rechte sollten auch auf innerstaatlichen Fernverkehrsstrecken gelten, damit Frankreich nicht andere Entschädigungsregelungen hat als Deutschland. Michael Cramer, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, berichtete stolz, man habe die Fahrradmitnahme im Intercity durchgesetzt. "Hauptbremsklotz war die Deutsche Bahn", so Cramer. Der Kompromiss sehe nun so aus, dass die Mitnahme leicht zu handhaben sein müsse und den Betriebsablauf nicht stören dürfe.
Die Gäste aus Berlin hatten auch eigene Themen mitgebracht, etwa die Wiedereinführung der so genannten Zwölf-Tage-Regelung (siehe auch Seite 9). Sie besagt, das Busfahrer bei Omnibus-Rundreisen an zwölf Tagen hintereinander den Bus lenken dürfen und war im vergangenen Jahr abgeschafft worden. "Wir haben zwei Anträge eingebracht, die Regelung wieder einzuführen", sagte Georg Jarzembowski. Im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments habe es eine große Mehrheit dafür gegeben. "Wir hoffen, dass die Kommission eindeutig Stellung dazu bezieht." Überarbeitet wird derzeit die Timesharing-Richtlinie der EU aus dem Jahr 1994. Mit einem Timesharing-Vertrag kann man sich ein Teilzeitwohnrecht oder befristetes Eigentum an einer Ferienwohnanlage sichern. Deutschland sei an einer Klarstellung interessiert, dass die Richtlinie nicht für Hotelzimmer gilt und dass die Pflicht zur notariellen Beurkundung von Grundstücksverträgen beibehalten bleibt, wie Peter Witt, stellvertretender Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der EU, den Abgeordneten mitteilte.
Günter Verheugen beklagte, dass Deutschland sich nicht am EU-Tourismuswettbewerb "European Destination of Excellence", dessen Thema in diesem Jahr "Tourism and protected areas" lautet, beteiligt habe. Zwischen Regionen, die sich bisher daran teilgenommen hätten, sei es zu einem regen Erfahrungsaustausch gekommen. Aufgeschlossen zeigte sich der Industriekommissar für Ideen der Bundestagsabgeordneten. So schlug die tourismuspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Annette Faße, vor, europäische Flüsse zu vernetzen und dies touristisch zu nutzen. "Über Flüsse und Kanäle von Paris nach Berlin. Das finde ich eine großartige Idee. Ich werde meine Generaldirektion anweisen, sich damit zu befassen", versprach Verheugen.
Von Faße darauf angesprochen, dass "bezahlbare Mobilität erhalten" werden müsse, sagte Verheugen, ihm bereite die Tatsache Sorge, dass sich die europäischen Neufahrzeuge aufgrund der Klimaschutz- und Sicherheitsanforderungen stark verteuern werden. Ein Auto werde künftig 20 bis 25 Prozent mehr kosten. Die Verteuerung führe dazu, dass die Autos länger gefahren werden, schon jetzt liege das Durchschnittsalter bei zehn bis elf Jahren. Damit bewegten sich Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß länger auf der Straße. Über diese Autos, "die wir jetzt auf der Straße haben", müsse man sich Gedanken machen, so der Kommissar. Europa muss für ihn als Touristenziel gestärkt werden. Innerhalb der EU müsse eine Verbindung hergestellt werden zwischen Tourismus und Nachhaltigkeit. Der Tourismus habe eine Chance, wenn er ressourcenschonend ist und mit den ökologischen Zielen und Standards übereinstimmt.