Hessen
SPD, Grüne und Linke in Hessen wollen die Studiengebühren kippen. Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben hingegen alternative Modelle entwickelt
Während das schwarz-grüne Bündnis in Hamburg mit nachgelagerten Studiengebühren gerade einen Kompromiss eingegangen ist, wollen SPD und Grüne in Hessen mit Hilfe der Linkspartei die Gebühren gegen die Stimmen von FDP und CDU in dieser Woche wieder abschaffen.
Sieben Bundesländer haben nach Angaben des Internetportals "Studis Online" mittlerweile Studiengebühren für das Erststudium eingeführt. Doch die Beiträge bleiben weiter umstritten. Unerlässlich für den Wettbewerb, sagen die Befürworter, ein Angriff auf die Chancengleichheit, die Gegner.
"Der Zugang zu hessischen Hochschulen darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen", erklären die Hochschuleexperten von SPD und Grünen, Michael Siebel und Sarah Sorge. Studiengebühren erschwerten nicht nur einen chancengerechten Hochschulzugang. Sie seien zudem verfassungswidrig. So verweisen die Gebührenkritiker in Hessen auf Artikel 59 der Landesverfassung, nach dem der Unterricht an Hochschulen unentgeltlich ist und ein "angemessenes Schulgeld" nur dann angeordnet werden kann, wenn es die wirtschaftliche Lage des Betroffenen erlaubt.
Mehr als 70.000 Bürger haben auf dieser Grundlage Verfassungsklage gegen das im Herbst 2006 von der damaligen CDU-Landesregierung verabschiedete Gesetz eingelegt, über die der Hessische Staatsgerichtshof am 11. Juni entscheiden will. Doch mit der Abschaffung der Gebühren wollen SPD, Grüne und Linkspartei eines ihrer wichtigsten Wahlversprechen noch vor dem Urteil einlösen.
500 Euro kostet ein Semester im Erststudium derzeit in Hessen. So genannte Langzeitstudenten können mit 500 bis 900 Euro zur Kasse gebeten werden. Beides soll mit dem Gesetz "zur Sicherstellung von Chancengleichheit an hessischen Hochschulen" zum kommenden Wintersemester abgeschafft werden. Der Entwurf sieht vor, dass den Hochschulen die ausfallenden Gebühren zweckgebunden vom Land ersetzt werden sollen. 92 Millionen Euro pro Jahr nehmen Hessens Hochschulen derzeit an Gebühren ein. Kalkuliert hatte die Landesregierung ursprünglich mit 120 Millionen Euro.
Um einen effizienten Ablauf des Studiums sicher zu stellen, sollen Hochschulen mit Studenten, die zwei Semester nach Ende der Regelstudienzeit noch keinen Abschluss haben, Beratungsgespräche führen. Solche Gespräche und Zielvereinbarungen sind auch für Studierende vorgesehen, die am Ende des zweiten Semesters noch keinen Leistungsnachweis erbracht haben. "Wir sind uns sicher, dass wir das Gesetz am fünften Juni im hessischen Landtag verabschieden können", betont Siebel. Während Gewerkschaften, Asten und Hochschulleitungen den Vorstoß - trotz Korrekturvorschlägen im Detail - begrüßen, wollen FDP und CDU an den Studienbeiträgen festhalten.
"Lassen Sie uns über Hamburg reden", schlägt die hochschulpolitische Sprecherin der FDP, Nicola Beer vor. Zum kommenden Wintersemester sollen dort die Studiengebühren von 500 auf 375 Euro pro Semester gesenkt und erst nach Beendigung des Studiums ab einem Bruttoverdienst von 30.000 Euro binnen zehn Jahren nach Studienende gezahlt werden.
Timo Friedrichs, Sprecher der Hamburger Wissenschaftsbehörde, verweist auf die positiven Effekte der Gebühren. Rund 37 Millionen Euro zusätzlich habe den Hamburger Hochschulen im vergangenen Jahr zur Verfügung gestanden, um die Studienbedingungen und damit die Attraktivität der Hamburger Hochschulen zu verbessern.
Die nachgelagerte Zahlung nach australischem Vorbild könne, so Christdemokraten und Liberale, auch in Hessen den Kampf um die Studiengebühren beenden. Für Michael Siebel jedoch ist die Einigung, die CDU und Grüne an der Elbe erzielt haben, ein schlechter Kompromiss. "Das kann nicht unser Ziel für Hessen sein." Im Prinzip sei es egal, ob Studiengebühren sofort oder später gezahlt würden, meint auch Ulrich Müller vom Zentrum für Hochschulentwicklung (CHE): "Das Hamburger Modell hat den Charme, dass es optisch ein bisschen besser aussieht."
Generell hält das CHE Studiengebühren jedoch für einen sinnvollen Weg um den Wettbewerb der Universitäten um die Studierenden zu steigern, die als "zahlende Nachfrager" auf diesem Weg besser "gute Leistungen von den Hochschulen" einfordern könnten. Anders als Stefan Hormuth, Sprecher der Konferenz der Hessischen Universitätspräsidien, der Studiengebühren als "gesellschaftliche Grundsatzentscheidung" auffasst, findet Müller auch den Vorschlag der hessischen Liberalen überzeugend, die Entscheidung über die Erhebung von Studiengebühren den Hochschulen selbst zu überlassen. "Eine Hochschule, die keine Gebühren einführen will, soll es lassen", betont Müller. Nach diesem Grundsatz verfährt als einziges Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die dortige gesetzliche Regelung aus dem Frühjahr 2006, die es jeder einzelnen Hochschule überlässt, ob und wie sie Studienbeiträge bis zu 500 Euro erheben will, hat nach Müllers Auffassung "Vorbildcharakter". 29 von 33 Hochschulen haben nach Angaben des Innovationsministeriums allgemeine Beiträge eingeführt. Die Einnahmen im Sommersemester 2007 und Wintersemester 2007/2008 betrugen rund 260 Millionen Euro.
Das nordrhein-westfälische Studienbeitragsmodell zeichnet nach den Worten von Ministeriumssprecher André Zimmermann zudem eine besondere Sozialverträglichkeit aus. Mit 5,9 Prozent bietet NRW die bundesweit niedrigsten Zinsen für Darlehen zur nachgelagerten Zahlung der Studienbeiträge an. Die Deckelungsgrenze für die Rückzahlung liegt bei 10.000 Euro, rund zwei Drittel aller BaföG-Empfänger sind über einen Ausgleichsfonds beitragsfrei gestellt.
Dieser soziale Ansatz sowie intensive Dialoge mit den Studierenden und eine größtmögliche Transparenz bei der Verwendung der Gelder hätten in Nordrhein-Westfalen dazu geführt, dass an den meisten Hochschulstandorten unter den Studierenden nur noch das Wie und nicht mehr das Ob von Studiengebühren diskutiert würde, so Zimmermann. Dass Studiengebühren zumindest in Nordrhein-Westfalen keine nennenswerte Abschreckungseffekte haben belege auch die Entwicklung der Studierendenzahlen. 7,6 Prozent mehr Studienanfänger als im Vorjahr haben nach seinen Angaben zum vergangenen Wintersemester ihr Studium in NRW aufgenommen.
Eine ähnlich positive Bilanz zieht das Land Bayern, wo zum Sommersemester 2007 Studiengebühren - an Universitäten und Kunsthochschulen 300 bis 500 Euro und an Fachhochschulen 100 bis 500 Euro - eingeführt wurden.
Die Gebühren würden von den Studierenden mittlerweile "weitgehend akzeptiert" und sorgten für einen "echten Mehrwert", erklärt Bayerns Wissenschaftsminister Thomas Goppel. Mit Blick auf die Studierendenzahlen bestätige die Statistik eine abschreckende Wirkung der Studienbeiträge nicht, so der CSU-Politiker.
Dass gute Studienbedingungen auch ohne Studiengebühren ermöglicht werden können, beweist indes das Land Rheinland-Pfalz, wo über ein Studienkontenmodell ein freies Erststudium bis zur 1,75 fachen Regelstudienzeit möglich ist. "Wir brauchen alle Talente und Begabungen und können es nicht zulassen, dass junge Menschen aus finanziellen Gründen vom Studium abgehalten werden", lautet die klare Botschaft von Ministerpräsident Kurt Beck.
Derzeit finanzieren die Rheinland-Pfälzer die Qualitätssteigerungen an ihren Hochschulen aus dem Landeshaushalt - vor allem aus Steuermehreinnahmen. Mit dem Doppelhaushalt 2009/2010 soll zum einen das Hochschulprogramm "Wissen schafft Zukunft" von 37,5 Millionen auf 40 Millionen Euro aufgestockt werden. Zum anderen soll in diesem Jahr ein Sondervermögen in Höhe von 200 Millionen Euro eingerichtet werden, aus dem von 2009 bis 2013 40 Millionen Euro pro Jahr in Hochschulen und Wissenschaft investiert werden sollen.
"Dies ist eine großartige Schwerpunktsetzung zugunsten der Hochschulen und Forschungseinrichtungen", findet die rheinland-pfälzische Wissenschaftsministerin Doris Ahnen. Die SPD-Politikerin sieht sich einerseits durch die positive Entwicklung der Studierendenzahlen in ihrem Konzept bestätigt. Andererseits verweist die Ministerin auf die Ergebnisse der OECD-Studie "Bildung auf einen Blick" aus dem September 2007. Im innerstaatlichen Vergleich habe Rheinland-Pfalz sowohl bei der Studienanfänger- als auch bei der Hochschulabsolventenquote eine Spitzenposition unter den Flächenländern.