alfred horn
Der HELP-Vertreter fordert eine klare Trennung von Militär und zivilen Hilfsdiensten beim Wiederaufbau in Afghanistan
Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der Pariser Afghanistan-Konferenz?
Leider bewegen sich solche Konferenzen meist fernab der Realität. Allein der Umstand, dass die afghanische Seite um rund 50 Milliarden Dollar geworben hat, die Geber aber nur rund 20 Milliarden geben wollen, zeigt, dass hier vor allem Sandburgen gebaut werden - nur mit unterschiedlich großen Eimerchen.
Auf beiden Seiten gibt es große Erwartungen an das Tempo des Wiederaufbaus und der Demokratisierung. Wie sieht ein realistisches Zeitfenster aus?
Wenn wir intensiver damit fortfahren, zivile Strukturen in den Bereichen Soziales, Wirtschaft und Verwaltung aufzubauen, und dazu auch noch genügend junge Afghaninnen und Afghanen darin ausbilden, ihren Verstand und ihr Engagement für ihr eigenes Land nutzbar zu machen, dann kann sich die auswärtige Hilfe in etwa zehn Jahren ehrenvoll verabschieden.
Wie ist die Stimmung im Land und die Akzeptanz der ausländischen Helfer?
Alle Menschen, die uns und unsere Arbeit kennen, sind rundweg positiv eingestellt. Es bedarf freilich viel Feingefühl im Umgang mit den traditionellen Strukturen. Das braucht Zeit. Man muss auch klar sagen, was man von den afghanischen Partnern erwartet und welche Art von Hilfe man leisten kann. Ich arbeite jetzt vier Jahre in Afghanistan. Mittlerweile vermag ich Einfluss auf Veränderungen zu nehmen, etwa auf die Zustimmung für den Schulbesuch und die berufliche Ausbildung von Mädchen.
Welche Gründe gibt es denn für die Afghanen, in den bewaffneten Widerstand zu gehen?
Nehmen wir einmal die gescheiterte Politik der afghanischen Regierung und der USA in der Opium-Frage. Das Anbauverbot hat dazu geführt, dass Afghanistan heute gut 90 Prozent der Weltmarktproduktion deckt. Mit den ungeheuren Profiten aus diesem Geschäft ist praktisch jeder und alles in Afghanistan käuflich. Besser wäre es, den Anbau zu legalisieren und die Ernte zu fairen Preisen durch eine nationale Opium-Agentur aufkaufen zu lassen. Damit wäre der Dealer-Sumpf trockengelegt und der Korruption eine zentrale Finanzquelle entzogen. Schließlich sind die Kleinbauern, deren Ernten von nationalen und US-amerikanischen Truppen immer wieder vernichtet werden, in die Arme der Taliban, Schmugglern und Warlords getrieben worden.
Kann man diese Menschen zurückgewinnen?
Die Leute wollen vor allem ein gesichertes Grundeinkommen für ihre Familien. Wenn wir das erreichen - durch Ausbildung und Schaffung von neuen Arbeitsplätzen - sind die Menschen zufrieden und Extremisten haben keine Chance mehr. Freilich ist das ist eine langfristige, zivilgesellschaftliche Aufgabe - jenseits von kurzfristigen militärischen Überlegungen. Nur wenn die "Hegemonie des Zivilen" in der Aufbauhilfe wieder hergestellt wird, kann unser Engagement erfolgreich und Afghanistan wieder friedlich sein.
Wie sind Ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Militär und seinen PRTs (Provincial Reconstruction Team) in Herat, im Westen des Landes?
Das Konzept der PRTs ist eine Sackgasse. Die Verwischung von Zuständigkeiten zwischen militärischem Kommando und zivilen Hilfsdiensten lähmt beide Seiten. Tatsächlich werden lokale wie internationale Nichtregierungsorganisationen in die Zange genommen, nur noch das zu planen, was in ein militärisch definiertes Konzept passt. Auch bei der Bevölkerung führt dies zu Verunsicherung.
Ist aber die Sicherheit der Helfer ohne den militärischen Schutz überhaupt möglich?
Ein Rundumschutz ist ohnehin nicht möglich. Auch durch sporadische Patrouillen kann die Sicherheit ziviler Helfer hier nicht grundsätzlich gewährleistet werden. Im Gegenteil. Wenn - wie in einem unserer Schulbau-Projekte - plötzlich amerikanisches Militär zur Besichtigung des Bauvorhabens auftaucht - martialisch bewaffnet, dann gelten wir Helfer ab dem Moment als verlängerter Arm des Militärs. In der täglichen Arbeit sind dann Afghanen und internationale Hilfsarbeiter gebrandmarkt und möglichen Angriffen von Taliban ausgesetzt.
Wieso haben Sie in diesem Fall mitgemacht?
Wir waren über das Kommen des amerikanischen PRTs nicht eingeweiht. Ich habe danach eine Protestnote geschrieben. Ein zweites Mal würde ich das sicher nicht mitmachen.
Geht die Bundeswehr mit ihren PRTs im Norden genauso vor?
Das weiß ich nicht aus eigener Anschauung. Sicher ist, dass die Bundeswehr im Norden internationale Hilfsprojekte militärisch absichert und sich aktiv in Hilfsprojekten engagiert. Damit verschwimmen natürlich die Grenzen, wer was ist und wer was macht. Mittlerweile haben sich viele deutsche Hilfsorganisationen auch aus diesem Grund aus dem Norden zurückgezogen.
Das ist auch das Bild der Bundeswehr in Deutschland: Sie baut Schulen und Brunnen und hilft beim Aufbau demokratischer Strukturen...
Die Frage ist, ob Soldaten wirklich Brunnen und Schulen bauen sollten. Das können Ingenieure und zivile Fachkräfte ohne Uniform viel besser und billiger. Ich finde es auch unerträglich, dass Gelder deutscher und europäischer Steuerzahler für zivile Hilfsprojekte mehr und mehr direkt über die PRTs verwaltet werden. Auch deutsche Nichtregierungsorganisationen werden zunehmend gedrängt, sich diesem Muster anzuschließen. Wir mussten zum Beispiel einigen Druck aushalten, um unsere Arbeit hier in Herat weiterzuführen. Einige Verantwortliche in Deutschland wollten uns lieber im Norden sehen, unter einem Dach mit der Bundeswehr.
Wie sah dieser Druck aus?
Subtil. Mittlerweile ist klar, dass die Entscheidung hier im Westen des Landes zu bleiben, und nicht dem Tross der Bundeswehr zu folgen, richtig war. Unsere langjährige Netzwerkarbeit und das Vertrauensverhältnis zu unseren afghanischen Partnern zahlen sich jetzt aus.
Sie sind für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan?
Die Rückkehr der Taliban will keiner. Aber nach Parlaments- und Präsidentenwahl im kommenden Jahr hier in Afghanistan wird wahrscheinlich die Forderung nach Abzug der ausländischen Truppen lauter werden. Es wäre sinnvoll, sich darauf einzustellen, das militärische Engagement, sobald als möglich aufzugeben und die zivilen Anstrengungen zu verstärken.
Wo liegt zurzeit der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Wir sind vor allem in der Wiedereingliederung von Flüchtlingen, die aus dem Iran zurückkommen, aktiv. Dabei werden wir mit Mitteln aus dem Bundesentwicklungsministeriums und der EU unterstützt. Wir bilden die Rückkehrer in marktfähigen Berufen aus, damit sie eine echte Chance haben, in ihrem Heimatland wieder Fuß zu fassen und für sich und ihre Familien eine sichere Existenz aufzubauen. Wichtig dabei ist, dass qualifizierte Menschen sehr wohl Arbeit in Afghanistan finden. Gerade die Rückkehrer mit ihrem erweiterten Horizont können einen wertvollen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes leisten.
Fühlen Sie sich persönlich sicher?
Nein. Aber schlussfolgern Sie daraus bitte nicht, dass ich militärischen Schutz bei der Arbeit möchte. Wie meine internationalen Kollegen mache ich einen großen Bogen um alle PRTs und Konvois. Wir versuchen vor allem mit ,low profile' aufzutreten, den Ball flach zu halten und unsere Arbeit gut zu machen.
Das Interview führte Martin Gerner
Alfred Horn ist Ethnologe und seit 20 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. 2004 hat er das Amt des Landesrepräsentanten für die Hilfsorganisation HELP in Afghanistan und im Iran übernommen.