Im südamerikanischen Regenwald erforschte Toni Hofreiter für seine Doktorarbeit Inka-Lilien, und war kaum überrascht, wie viele unbekannte Unterarten er dabei fand. Als Taxonom - also Biologe, der sich mit der Artenvielfalt im Pflanzen- und Tierreich beschäftigt - weiß er schließlich, dass es weit mehr unbekannte als bekannte Arten gibt - und viele davon sogar aussterben, bevor sie überhaupt entdeckt werden. Auch der 38-Jährige ist - zumindest beruflich gesehen - eine aussterbende Spezies: "Sogar der Nationalplan zur Erhaltung der Biodiversität stellt fest, dass es kaum noch Taxonomen in Deutschland gibt." Toni Hofreiter, Vollbart und schulterlange, blonde Haare, hält kurz inne, wirkt aber ganz vergnügt, als er schließlich mit einem breiten Grinsen hinzufügt: "Einer dieser arbeitslosen Biologen sitzt heute hier im Bundestag!"
Seit 2005 ist Hofreiter Abgeordneter für Bündnis 90/ Die Grünen im deutschen Parlament und Obmann seiner Fraktion im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Hier kämpft er hartnäckig für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, aber auch gegen den so genannten Flächenfraß, die Bebauung von immer größeren Waldflächen, Wiesen und Äckern mit Straßen und Gewerbegebieten. Dass ein begeisterter Botaniker wie er sein Forschungslabor gegen ein Abgeordnetenmandat eintauscht, erscheint vielleicht verwunderlich. Doch nur auf den ersten Blick. Toni Hofreiter hat seit seiner Jugend zwei Leidenschaften: Die Natur und die Politik. Seine Kindheit im ländlich geprägten Sauerlach, einem 5000-Seelen-Ort im südlichen Teil des Münchner Speckgürtels, verbrachte Toni Hofreiter fast ausschließlich im Freien. Bei seinen Streifzügen durch die Natur sah er mit seinen eigenen Augen, was Umweltzerstörung bedeutet: Gerade das Waldsterben schockierte ihn. Als 14-Jähriger begann er, sich für die Grünen zu engagieren - und war damit in seiner Schule in der Minderheit: "Die meisten in meiner Klasse waren CSU-Anhänger", erinnert sich Hofreiter. Doch davon ließ er sich nicht irritieren, genauso wenig wie von den mitunter sperrigen Themen im Partei-Ortsverband: "Gemeinderatsthemen wie der Haushaltsplan bergen schon ein gewisses Abschreckungspotential", gibt Hofreiter schmunzelnd zu.
Doch er bleibt dabei. Er weiß schließlich wofür: Der Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 war für Toni Hofreiter eine bittere Bestätigung für sein Engagement. "Das war ein massiver Einschnitt", sagt Hofreiter. Sein Vater arbeitet zu dieser Zeit bei der damaligen Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung, zusammen gingen sie in den Garten und maßen die Radioaktivität des Regenwassers. "Die Nadel unseres Flächenzählers hat sich fast überschlagen!" Nach dem Abitur begann Toni Hofreiter 1991 Biologie in München zu studieren, blieb aber weiterhin bei den Grünen aktiv: Sieben Jahre wurde er Sprecher seines Ortsverbandes in Sauerlach, bis er 1996 dieselbe Funktion im Kreisverbandes München-Land übernahm. Zwei Jahre später begann er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der bayerischen Landtagsabgeordneten Susanna Tausendfreund, wechselte 2003 schließlich ins Abgeordnetenbüro ihres Parteikollegen Christian Magerl. Nebenbei promovierte er. Politische Arbeit und botanische Forschungen - wie lässt sich das vereinbaren? "Eigentlich gab mir erst die politische Arbeit die Chance, meine biologischen Studien zu finanzieren", sagt Toni Hofreiter, der es sich aber auch heute als Abgeordneter nicht nehmen lässt, Beiträge in Fachzeitschriften zu veröffentlichen.
Von seinen Studienaufenthalten in Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru hat Hofreiter weit mehr als die DNA seltener Pflanzen mitgenommen. Die Eindrücke, die er dort sammelte, öffneten dem Politiker die Augen: "Ich habe extremen Raubbau an der Natur gesehen, Armut und Ausbeutung", sagt Hofreiter. Mit kaum zu überhörender Schärfe in der Stimme erzählt er von Bananenplantagen in Ecuador, wo der Einsatz von Pestiziden das Wasser verseucht und die Menschen für einen Hungerlohn schuften. "Von wegen Freihandel, der allen Wohlstand bringt! Wenn man das gesehen hat, dann bekommt ‚Fair Trade' doch eine Bedeutung!", empört sich Hofreiter.