Kinderrechte in der Verfassung
Die Parteien kommen sich kaum näher
Fast alles hat sie erreicht. Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes war sie, erfolgreiche Familienrechts-Anwältin, Justizsenatorin in Hamburg und Berlin, schließlich Trägerin des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse. Ein Lebenstraum jedoch blieb der SPD-Politikerin Lore-Maria Peschel-Gutzeit bisher versagt. Im Grundgesetz stehen noch immer keine Kinderrechte, obwohl sie es seit Jahrzehnten fordert. "Überfällig" sei das, sagt die kämpferische 75-Jährige. Sie ist sich sicher: Im Konzert der gesellschaftlichen Kräfte würden Kinder dann endlich "mehr und besser wahrgenommen."
Die Fälle von Kindesmisshandlungen haben das Thema wieder aktuell werden lassen. Doch so leidenschaftlich wie Peschel-Gutzeit für eine Verfassungsänderung spricht, streitet der CDU-Politiker Jürgen Gehb dagegen. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion sieht das Grundgesetz zu einem "Neckermann-Katalog" verkommen, in den nach den Tieren und den Kindern demnächst wohl noch der Schutz von "Dicken, Dünnen und Greisen" aufgenommen werden müsse. Für reine "Symbolpolitik" hält Gehb die Forderung aus der SPD. "Ich befürchte, dass mit zusätzlichen Kinderrechten im Grundgesetz nur Hoffnung gesät und stattdessen Frust, Enttäuschung und Politikverdrossenheit geerntet werden", sagt er.
In der Union herrscht vor allem die Sorge vor, ein Kindergrundrecht könnte gegen die eigenen Eltern in Stellung gebracht werden - mit der Folge einer größeren Einmischung der Jugendämter auch in das Leben intakter Familien. "Wir haben bisher keine staatliche Kinderpolizei, und ich will sie auch zukünftig nicht", sagt Jürgen Gehb. Diesen Einwand lässt Lore Maria Peschel-Gutzeit nicht gelten. Mit einem Grundrecht seien Eltern und Kinder gemeinsam stark, könnten sich gegenüber dem Staat zum Beispiel für einen neuen Spielplatz einsetzen.
Schlecht stehen die Chancen nicht, dass die SPD-Politikerin ihr größtes Ziel noch erreicht. Viele Bundesländer haben es bereits vorgemacht und Kinderrechte in ihre Verfassung aufgenommen. Der Widerstand in der Union beginnt zu bröckeln. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich positiv zu einer Grundgesetzänderung geäußert, ebenso Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU). Im Vergleich zu diesen Stimmen wirkt SPD-Justizministerin Brigitte Zypries geradezu verhalten. Sie unterstützt Peschel-Gutzeit, sieht aber ein "Dilemma". Der Staat habe beim Schutz vernachlässigter Kinder vor allem deshalb versagt, weil ihm das Personal fehlt. Gegen diesen Missstand helfe eine Grundgesetzänderung nicht. Im Gegenteil, so die Ministerin: Es könne der falsche Eindruck entstehen, man müsse konkret nichts mehr tun.
Der Autor ist Leiter des Parlamentsbüro des "Rheinischen Merkur" in Berlin.