Nachhilfe
Immer mehr Eltern lernen in Kursen, was keine Selbstverständlichkeit mehr ist: die Fähigkeit zum Erziehen
"Auf den Anfang kommt es an". "Fit für den Alltag". Die Slogans unterscheiden sich im Detail, die Nachricht ist immer dieselbe: In Elternkursen können Mütter und Väter lernen, mit ihren Kindern angemessen und ohne ständigen Streit umzugehen. Der Andrang ist groß und auch das politische Interesse enorm. Von Rosenheim bis Rostock nehmen Eltern professionelle Erziehungshilfe in Anspruch. Mehr als 50.000 Mütter und Väter besuchten binnen drei Jahren das Elternkurs-Angebot des Deutschen Kinderschutzbundes "Starke Eltern - starke Kinder."
Warum tun sie das? Gerda Müller*, Mutter eines neunjährigen Sohnes und einer sechsjährigen Tochter im gutbürgerlichen Kleinmachnow bei Berlin, kann nicht von sich sagen, eine schwierige Familie zu haben. "Trotzdem bringen meine Kinder mich immer wieder an meine Grenzen," erzählt sie, "und irgendwann hatte ich das Bedürfnis, mich darüber auszutauschen - und zwar intensiver und professioneller als das im Bekanntenkreis geht."
Seither hat sie mehrere Erziehungskurse besucht, zuletzt den des Kinderschutzbundes. 20 Stunden hat sie bereits absolviert. Der Einsatz hat sich gelohnt: "In unserer Familie hat sich viel verändert", sagt sie, "unser Umgang ist akzeptierender und freundlicher geworden." Auch der der Kinder? "Ja", erklärt sie, "die haben sofort gemerkt, dass wir nicht an ihnen zerren, sondern sie ins Boot holen."
Was Gerda Müller in ihren vier Wänden erlebt, bestätigt die Begleitforschung: "Eltern und Kinder fühlen sich entlastet", sagt die Kölner Erziehungswissenschaftlerin Sigrid Tschöpe-Scheffler. Den Kindern fiele vor allem auf, dass ihre Eltern ruhiger blieben und einen längeren Atem hätten.
Angesichts der attestierten Wirkung kann kaum verwundern, dass auch die Kultus- und Familienminister der Bundesländer gern mehr Menschen mit offensichtlichen Defiziten in der Erziehung erreichen würden. Das klappt allerdings nicht wie geplant.
In Berlin müht man sich seit Jahren, Eltern von Hauptschülern in die Kurse zu locken. An längst nicht allen 30 Schulen, die dafür Personal fortgebildet haben, kommen die Elterntrainer zum Einsatz: "Bei uns ist noch kein Kurs zustande gekommen", sagt Daniela Tschiersch, "die Eltern kommen nicht." Gründe kann die stellvertretende Schulleiterin der Heinz-Brandt-Schule im Berliner Bezirk Weißensee eine Reihe aufzählen. Einer davon: Eltern von Hauptschülern hätten häufig nicht weniger Schulangst als ihre Kinder. "Die meisten haben eine frustrierende Bildungskarriere hinter sich", erklärt sie, "wer sich schon nicht zum Elternabend traut ohne sich vorher Mut anzutrinken, kommt kaum in einen Kurs." Schulleiter Helmut Dettmer-Besier wird noch deutlicher. "Viele Eltern kümmern sich einfach nicht. Sie kommen zum ersten Schultag, geben ihre Kinder ab - und das wars."
Sigrid Tschöpe-Schefflers Antwort auf die Frage, warum es so schwer ist, Eltern zu motivieren ist kurz: "Zu spät." Statt in der siebten Klasse, sagt sie, sollten Eltern in Kindergärten oder Grundschulen angesprochen werden. "Elternarbeit ist Beziehungsarbeit", erläutert die Erziehungswissenschaftlerin, "wer sie anbietet, muss Eltern wertschätzen und ernst nehmen. Welche Oberschule hat eine ernsthafte und gleichberechtigte Beziehung zu den Eltern ihrer Schüler?" Katrin Henze vom Deutschen Kinderschutzbund in Berlin bestätigt: "Erfolg haben wir, wo Eltern bereits sind: im Familienzentrum, der Suchtberatung oder der Kindertagesstätte."
"Je früher, desto besser," konstatiert auch Christian Pfeiffer. Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen hat mit dem Bundesfamilienministerium das erste vorgeburtliche Kursprogramm ins Leben gerufen. In Niedersachsen, Bremen und in Sachsen werden angehende Mütter vom vierten Monat der Schwangerschaft an bis zum zweiten Geburtstag des Kindes von Hebammen und Familienhelferinnen begleitet. Zielgruppe des Modellprojekts "Pro Kind" sind Empfängerinnen von Hartz IV mit mindestens einem weiteren Merkmal, das Sorgen bereitet und die jungen Frauen in Sachen Erziehungsfähigkeit behindert: minderjährig, ohne Ausbildung, drogenabhängig, sozial isoliert. Frauen bereits vor der Geburt zu treffen, bedeute nicht nur, die Weichen früh zu stellen. Es erhöhe auch die Erreichbarkeit. "Unter Schwangeren ist die Not groß", sagt Christian Pfeiffer, "größer als wenn Kinder in die Schule gehen."
An wissenschaftlicher Unterstützung mangelt es den Kursen nicht. Bei der Evaluation des Kinderschutzbund-Programms "Starke Eltern - starke Kinder" konnte Sigrid Tschöpe-Scheffler belegen, dass der Kurs hilft, die Entwicklung der Kinder zu fördern. Der Beweis der Nachhaltigkeit steht allerdings bisher noch aus. Denn: Bleibt es auch Jahre später noch ruhig?
*Name von der Redaktion geändert