VOLKSHOCHSCHULE
Bildung für kleine Leute - das war immer ihr Ziel. Doch auch die VHS erreicht nur schwer Lernunwillige
Und wie kann ich das jetzt ausdrucken?" Dozent Jürgen Schröder ist einen Moment verwirrt. Dann dämmert ihm, was die Kursteilnehmerin in der ersten Reihe meint. "Nein, das ist kein Bild zum Ausdrucken", erklärt er geduldig. "Das ist der Desktop-Hintergrund, den haben wir gerade gemeinsam eingerichtet."
Schröder wird heute noch viel zu erklären haben. Seit 8:30 Uhr läuft sein Kurs "EDV für aktive Senioren - Grundanwendungen Teil 2" in der Dresdner Volkshochschule (VHS), bis 12 Uhr wird er dauern. Insgesamt 24 Stunden lang, auf sechs Tage verteilt, bringt der freiberufliche Dozent den 14 Senioren im Raum die Bedienung eines Computers nahe. Gelassen wiederholt er zur Not auch ein drittes Mal, immer bemüht, dass auch wirklich jeder ihm folgen kann. "Den Button ,Abbrechen' nenne ich immer den Angstschalter, den benutzen Sie, wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie gerade das Richtige eingegeben haben. Am Besten ist es sowieso, wenn Sie sich eine Datei einrichten, in der Sie immer gleich aufschreiben, was Sie verändert und gespeichert haben. Und am Wichtigsten: Machen Sie immer nur eine Sache auf einmal. Wenn Sie vieles gleichzeitig ändern, wissen Sie am Ende nicht mehr genau, was Sie da eigentlich gemacht haben."
Jürgen Heymann nickt. Immer wieder macht sich der 73-Jährige Notizen und flüstert mit seiner Frau, wenn er irgendetwas nicht verstanden hat. Seit sechs Monaten haben sie einen Laptop, den wollen sie richtig bedienen. Dass sie das in der VHS lernen können, haben sie aus der Zeitung erfahren. "Wir sind hier in guten Händen", erzählt Heymann, "der Dozent ist kompetent und die Ausstattung hier im Computerlabor ist auch prima." Zum PC-Spezialisten werde er aber wohl dennoch nicht werden, da macht Heymann sich keine Illusionen. "Um ehrlich zu sein: 80 Prozent von dem, was erklärt wird, vergessen wir wieder. Aber wenn wir nachher ein bisschen besser mit dem Computer klarkommen, reicht es."
Heymanns Nachbarin ist ehrgeiziger: "Ich will das richtig lernen. Schließlich will ich auch irgendwann mit dem Internet klarkommen." Ihre Kinder leben weit entfernt und können ihr nicht helfen, wenn sie Probleme mit der Technik hat. Bei aller Entschlossenheit: Es ist der Rentnerin ein bisschen peinlich, dass sie dafür einen VHS-Kurs besucht. Ihren Namen mag sie deshalb genauso wenig nennen wie ihre Sitznachbarin. Die lacht, als sie verrät: "Ich mache das hier ehrlich gesagt, weil meine Kinder mir deutlich zu verstehen gegeben haben, dass ich sie nicht immer belästigen kann, wenn irgendwas am Computer nicht klappt."
Damit steht sie nicht allein: Fast neun Millionen Kursteilnehmer zählen die insgesamt 974 Volkshochschulen in Deutschland jährlich, die alle dem Leitbild verpflichtet sind, Bildung als Gemeingut gewährleisten - unabhängig von sozialer Herkunft und zu möglichst günstigen Konditionen. Sie sind Einrichtungen mit Tradition: Mit der Freien Hochschule Berlin wurde 1902 die erste deutsche VHS gegründet. Sie war inspiriert von den dänischen Heimvolkshochschulen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Berliner Humboldt-Akademie, die 1878 gegründet wurde und versuchte, "Personen, welche die Universität nicht besuchen können oder bereits verlassen haben, durch systematische Vortragszyklen und andere geeignete Mittel Gelegenheit zu einer harmonischen wissenschaftlichen Weiterbildung zu geben und sie in Zusammenhang mit den Fortschritten der sich entwickelnden Wissenschaft zu halten". Die Weimarer Reichsverfassung verankerte schließlich 1919 die Volkshochschulen auch gesetzlich.
Im selben Jahr wurde auch die Dresdner VHS gegründet. Ihr damaliger Leiter Karl Reuschel wollte damals Mittel und Wege suchen, "auf denen man die bisher von Fortbildungsmöglichkeiten fast ausgeschlossenen Schichten herankommen kann". 23 Vortragsreihen bot das erste Lehrprogramm an, darunter "Schlussrechnung mit Anwendung auf das Prozentrechnen" und "Kinderpflege in gesunden und kranken Tagen". Heute ist das Kursprogramm ein mehr als 300 Seiten dicker Band. Wer will, kann bei der Dresdner VHS ebenso Sonderführungen in der Semperoper belegen wie Pilates, Englisch-Unterricht und Rechnungswesen-Seminare. "Wir haben etwa 3.000 Kurse pro Jahr und beschäftigen 700 bis 800 Dozenten", resümiert Regina Molke, Pressereferentin der VHS Dresden. "Spitzenreiter sind immer noch Sprachkurse. Aber in den letzten Jahren werden die Angebote aus dem Bereich Gesundheit immer häufiger nachgefragt."
Diesen Trend beobachtet auch der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV), der die Zusammenarbeit aller Volkshochschulen koordiniert. Gundula Frieling, stellvertretende Direktorin des DVV, stellt fest, dass der Bereich der beruflichen Bildung, der etwa alle EDV-Kurse umfasst, nach einer "rasanten Entwicklung" in den vergangenen 15 Jahren derzeit stagniere. Deutlich zugelegt hätten stattdessen etwa die Alphabetisierungskurse. "Da hatten wir von 2006 bis 2007 einen 17-prozentigen Anstieg." Frieling führt das unter anderem auf das von der VHS entwickelte Lernportal "ich-will-schreiben-lernen.de" zurück. "Dass da ein anonymer Einstieg möglich war, hat viele Betroffene in die Kurse gelockt."
Zudem finde sowohl in Politik als auch Bevölkerung ein Umdenken statt, von dem die Volkshochschulen profitierten. "Mittlerweile ist den meisten Menschen klar, dass nach Schule und Berufsausbildung mit dem Lernen nicht Schluss ist. Die Einsicht, dass das Lernen lebenslang wichtig bleibt, hat sich ziemlich durchgesetzt." Dennoch gelte: "Die Weiterbildungsquote ist immer noch deutlich zu gering, außerdem sehen wir, dass die Schere immer weiter auseinander geht: Die, die beim Lernen keine Schwierigkeiten haben, nehmen die Weiterbildungsangebote wahr. Aber diejenigen, die in Sachen Grundbildung oder Schulausbildung Nachholbedarf haben, erreichen wir noch zu wenig." Auch wenn Bildungsministerin Schavan dazu aufgerufen habe, die Weiterbildungsquote zu erhöhen, spiegle sich dieses Engagement nicht unbedingt in größeren Mittelzuweisungen an die VHS. "Da sind wir, anders als Schulen oder Universitäten, noch zu wenig im Fokus."
Mehr finanzielle Mittel wünscht man sich auch in Dresden. Rund 3,5 Millionen Euro verwaltet die VHS hier pro Jahr; etwa 66 Prozent der Einnahmen stammen aus den Entgelten der Teilnehmer und der Rest aus Zuweisungen des Landes und der Stadt. In Sachsen zahlen die Volkshochschulen ihren Dozenten zwischen 13 und 18 Euro pro Unterrichtseinheit. "In den alten Bundesländern werden zwischen 18 und 23 Euro gezahlt", erzählt Regina Molke, "das können wir hier einfach nicht aufbringen."
Mit ihrer Arbeit wollen die VHS-Mitarbeiter nicht nur Bildung für alle ermöglichen, sondern auch gegen ein für sie ärgerliches Vorurteil ankämpfen. "Es ist immer so abfällig vom Volkshochschul-Niveau die Rede", erklärt Molke, "dabei sind wir immer um eine gute Qualität unserer Kurse bemüht. Wir bieten eine Vielfalt an Möglichkeiten, die man so woanders kaum findet." Auch für Computer-Dozent Schröder ist es nicht die Qualität, die die VHS von anderen Bildungseinrichtungen unterscheidet, sondern die Herangehensweise: "Ich mache im Unterricht erst weiter, wenn es alle verstanden haben. Das können wir uns leisten, weil wir eben nicht an einer Hochschule sind."
Kursteilnehmer Heymann kommt das sehr gelegen. Er muss nur noch schnell aufschreiben, wie er sich zu Hause auf seinem Computer das Bild seiner Enkel als Desktophintergrund einrichten kann. Dann kann er zuhause stolz berichten, dass er von der jungen Generation gar nicht so weit entfernt ist.