FORTILDUNG
Auf dem aktuellen Stand zu sein, ist teilweise gesetzlich vorgeschrieben. Übersichtlicher wird es dadurch nicht
Schrill zerreißt die Schulglocke die Stille. Bis eben saßen die 26 Schüler und Schülerinnen konzentriert über ihren Matheaufgaben, doch jetzt herrscht helle Aufregung: Warum klingelt es mitten im Unterricht? Feueralarm!
Erschrocken springen die Drittklässler auf, reißen dabei ihre Stühle um. "Keine Hektik", ruft die Klassenlehrerin. "Stellt euch an der Tür auf und wir gehen alle gemeinsam und ganz ruhig in den Pausenhof." Nach nur einer halben Minute marschiert die Gruppe aus dem Klassenraum.
Im asphaltierten Hof warten zwischen Fahrrädern, Tischtennisplatten und einem Klettergerüst bereits die anderen Klassen der Gladbecker Uhlandschule. Die 160 Schüler innen und Schüler freuen sich über die Unterbrechung des Unterrichts an diesem warmen Sommertag, lachen und quasseln, doch Schulleiterin Renate Philipp und ihre Kollegen sorgen schnell für Ruhe. Schließlich hören die Schüler den Erklärungen der 60-Jährigen zum Thema korrektes Verhalten in Alarmsituationen zu.
Die kleine, resolute Frau aus dem Ruhrgebiet leitet die Grundschule seit elf Jahren und ist als Rektorin für die Sicherheit der Kinder verantwortlich - und dafür, dass ihr Kollegium immer auf dem neuesten Stand ist, was die Vorschriften und Erste-Hilfe-Maßnahmen angeht. Genau aus diesem Grund hat sie erst vor wenigen Wochen eine Fortbildung dazu organisiert, heute wenden sie das Gelernte zum ersten Mal an. "Es ist alles reibungslos gelaufen", sagt Renate Philipp. "Auch, weil die Sicherheitsfortbildung gut strukturiert war, und wir unsere Kenntnisse nur auffrischen mussten." Wenn es aber um neue Vermittlungsformen, pädagogische Konzepte oder etwa Anti-Aggressions-Training gehe, seien die Lehrerfortbildungen wiederum nicht so leicht. "Das Schulgesetz schreibt uns zwar Weiterbildungen vor. Doch auf welche Weise und in welchem Umfang sich eine Schule daran hält, bleibt im Prinzip jeder selbst überlassen", erläutert Philipp.
Der stete Ruf nach lebenslangem Lernen hat auch vor dem Lehrerberuf nicht halt gemacht. In Zeiten der Globalisierung hat sich mittlerweile überall die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine einzige Ausbildung zu Beginn des Erwerbslebens längst nicht mehr ausreicht, um bis zur Rente gut durch den Beruf zu kommen. Wo in Unternehmen etwa internationalisierte Märkte für ein verändertes Arbeitsumfeld sorgen, sind es in der Schule oft gesellschaftliche Prozesse, deretwegen Pädagogen sich weiterbilden müssen. Spätestens seit dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler in den Leis-tungsuntersuchungen von Pisa geriet die Lehreraus- und -fortbildung wieder in die gesellschaftliche Diskussion.
Deshalb fixierte die Kultusministerkonferenz (KMK) Ende 2001 die Professionalisierung des Lehrberufs als vorrangiges Ziel. Aufgrund des Föderalismus hat jedes Bundesland sein eigenes System. Mal versucht man es mit Druck: In Hamburg, Hessen und Bayern müssen Lehrer ihre Fortbildungen seit der Einigung der KMK nachweisen. Renate Philipp aus Nordrhein-Westfalen dagegen wird die Weiterbildung ihres Kollegiums weitgehend selbst überlassen.
Dass die Lehrer sich in Eigenverantwortung um ihre Weiterbildung kümmern müssen, hat für die Schulleiterin aus Gladbeck sowohl gute als auch auch schlechte Seiten: "Einerseits können wir uns die Angebote passgenau für unsere Schule und unseren eigenen Bedarf heraussuchen", sagt sie. "Andererseits werden wir mit der Organisation ziemlich allein gelassen: Woher sollen wir wissen, welche Schulungen gut und sinnvoll sind und welche nicht?"
Denn auf dem Markt für Lehrerweiterbildungen tummeln sich eine Vielzahl von Anbietern: Bis zu 60 Einrichtungen sind in den Bundesländern für die verschiedenen Aspekte der Lehrerfortbildung zuständig. Oftmals sind Lehrerbildung und Schulentwicklung in verschiedenen Instituten untergebracht. "Die einzige Möglichkeit ist, sich auf die Erfahrung von Kollegen zu verlassen", erzählt Philipp. "Nur wenn man sich umhört, findet man heraus, welche Angebote etwas taugen und welche nicht."
Eine gesetzliche Verpflichtung zur Weiterbildung ist längst nicht für alle Berufe selbstverständlich. Obwohl Weiterbildung nicht mehr als sinnlose Beschäftigungsmaßnahme für Arbeitslose gilt, sondern das lebenslange Lernen mittlerweile als Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufschwung gilt, lassen sich immer noch viel zu wenig Beschäftigte weiterbilden.
Zwar hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) im vergangenen Jahr etwa 200 Millionen Euro für Fortbildungen zur Verfügung gestellt. Davon haben Unternehmen nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes aber nur 41 Millionen genutzt. Nach der jüngsten Untersuchung des Forschungsministeriums haben sich im Jahr 2006 in Deutschland 43 Prozent der 25- bis 64-Jährigen in den letzten zwölf Monaten entweder privat oder betrieblich weitergebildet. Damit ist die Quote im Vergleich zum Jahr 2003 zwar um zwei Prozentpunkte gestiegen - in der Europäischen Union liegt Deutschland dennoch auf einem hinteren Platz. Skandinavier und Österreicher kommen auf Werte von 70 bis 90 Prozent. Deshalb fordern Bildungsexperten ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz, in dem die Weiterbildung fest verankert ist.
Vorbild könnten die Lehrer sein - oder Ärzte: Auch sie sind zur Fortbildung verpflichtet. So kann der Titel "Facharzt", der Voraussetzung für die Zulassung als Vertragsarzt der gesetzlichen Krankenversicherung ist, nur im Rahmen einer mehrjährigen Weiterbildung erlangt werden. Und es gibt noch eine Parallele zu den Lehrern: Wie bei Pädagogen das föderale System für Unübersichtlichkeit sorgt, gibt es auch für Ärzte keine einheitliche Weiterbildung in Deutschland. Je nach Landesärztekammer sind auch die Wege zum Facharzt verschieden.
In Deutschland gibt es etwa 32 verschiedene Facharztweiterbildungsmöglichkeiten, die alle zwischen vier und sechs Jahren dauern. Anna Borys musste die längere Variante wählen. Die 35-Jährige hat nach dem sechsjährigen Studium noch eine ebenso lange Ausbildung zur Orthopädin angehängt, denn ohne den Facharzt-Titel dürfte sie später nicht selbstständig tätig sein.
Um wirklich alle vorgeschriebenen Operationen, Untersuchungen und praktischen Erfahrungen für den Facharzt machen zu können, musste sie an drei verschiedenen Kliniken arbeiten, denn nicht jedes Haus bietet den jungen Ärzten auch alle die Fortbildungen an, die sie für den Facharzt brauchen. "Einerseits hat es mir in der Weiterbildung gut getan, verschiedene Krankenhäuser und Arbeitsstile kennenzulernen", sagt Anna Borys. "Auf der anderen Seite sind drei Umzüge einfach sehr anstrengend, denn das bedeutet auch, sich jedes Mal komplett umstellen zu müssen."
Heute hat sie ihre Ausbildung immer noch nicht vollständig abgeschlossen, denn nun bildet sie sich fort zur Handchirurgin. "Ohne eine solche Spezialisierung hat man es sehr schwer auf dem Markt. Man muss sich eine Nische schaffen, in der man praktizieren kann."
Borys wird 36 Jahre alt sein, wenn sie das im Alter von 20 Jahren gesteckte Berufsziel erreicht haben wird. Den Patienten vermittelt diese gründliche Ausbildung ein beruhigendes Gefühl, doch die Ärzte selbst sind nicht immer zufrieden damit. "Als Betriebswirt zum Beispiel kann man schon mit 30 Jahren an die Spitze kommen, etwa in einer Unternehmensberatung. Bei uns aber ist das System entsetzlich starr. Unabhängig vom Lerntempo brauchen wir alle so lang." Deshalb, findet Anna Borys, könnte die Ärzteausbildung ruhig gestrafft werden - und die Weiterbildungsvorschriften in anderen Berufen sollten ähnlich ausgebaut werden. "Genauso wie meine Patienten sich bei mir gut aufgehoben fühlen wollen, will ich mir umgekehrt sicher sein, dass mein Versicherungsvertreter auf dem neuesten Stand der Dinge ist. Oder dass der Lehrer meiner Kinder sie nach den neuesten pädagogischen Konzepten unterrichtet."