oleg panfilow
Der Vorsitzende des »Russischen Zentrums für Journalismus in Extremsituationen« im Gespräch
Herr Panfilow, was genau macht Ihre Organisation?
Wir überwachen Verletzungen der Rechte von Journalisten in Ländern der ehemaligen Sowjetunion und führen Statistiken darüber. Wir kämpfen nicht gezielt für irgendwen wie zum Beispiel die Organisation "Reporter ohne Grenzen". Unsere Aufgabe besteht darin, Journalisten beizubringen, für sich selbst zu kämpfen und unabhängig zu sein - frei nach einem japanischen Sprichwort: "Man reiche dem Hungrigen keinen Fisch, sondern man gebe ihm eine Angel."
"Unter Jelzin war ein kleiner Grad an Pressefreiheit aufgekommen, der von Putin zerstört wurde", werden Sie zitiert. Was wird sich unter Medwedew ändern?
Gar nichts. Putins Politik war für die jeweiligen Machthaber sehr gut, daher wird Medwedew auf keinen Fall die bestehenden Propagandasysteme zerstören, die Putin in den letzten acht Jahren errichtet hat. Ohnehin verfolgt Putin nur ein Ziel: Die Rückkehr ins Präsidentenamt in vier oder in acht Jahren, vielleicht sogar früher. Und die Propagandamaschinerie wird ihm diese Rückkehr ermöglichen. Nur mit gezielter Propaganda wird es möglich sein, der russischen Bevölkerung eine Rückkehr Putins anzukündigen und sie über die Gründe aufzuklären.
Wer ist Medwedew in ihren Augen?
Wenn Medwedew in den Spiegel guckt, erblickt er Wladimir Putin. Er ist eine exakte Kopie, ein Klon Putins.
"Das Internet hat die Funktionen der Institutionen einer demokratischen Gesellschaft übernommen", sagt der Moskauer Journalist Dimitri Winogradow.
Das stimmt sicherlich. Gerade deshalb fürchten die russischen Behörden das Internet, da zum Beispiel in der Ukraine die Orangene Revolution überhaupt erst durch das Internet ermöglicht wurde. Es war die einzige Informationsquelle der Revolutionäre. In der Realität sieht es jedoch so aus, dass es in Russland für eine derartige Revolu- tion überhaupt keine Basis gäbe.
Inwieweit ist die Lage der Medien in Russland mit der in China vergleichbar?
Es gibt in Russland natürlich kein kommunistisches System mehr. Auch der Staat hat trotz allem nicht die gleiche Kontrolle über das Mediensystem wie in China. Das einzige, was bei beiden Staaten gleich ist, ist die Tatsache, dass die Journalisten das Prinzip der Redefreiheit nicht richtig verstehen.
Viele Russen heißen laut Umfragen Zensur gut. Warum?
Um überhaupt beurteilen zu können, ob Zensur gut oder schlecht ist, benötigen die Bürger erstmal eine Meinung zur Redefreiheit. Das Wort "Zensur" taucht zum allerersten Mal in der russischen Verfassung von 1993 auf. Daher wissen die meisten Menschen in Russland gar nicht, was Zensur und Redefreiheit bedeuten. In Russland hat es de facto nie die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung gegeben, weder zu Zeiten des Russischen Reiches oder zu Sowjetzeiten noch heutzutage. Für einen Europäer ist das Recht der freien Meinungsäußerung ein fester Bestandteil des Grundgesetzes. Sie bedeutet für einen Europäer auch, dass man die Möglichkeit besitzt, Informationen von offiziellen Quellen zu erhalten. Für einen Russen bedeutet Redefreiheit, dass man als Bürger das Recht hat, die Dinge auszusprechen, die die Machthaber vertreten.
Die Moskauer Boulevardzeiteung "Moskowskij Korrespondent" gibt es nicht mehr, weil sie angeblich nicht rentabel war. Zuvor hatte die Zeitung ausführlich über eine bevorstehende Scheidung Wladimir Putins und eine mögliche Heirat mit einer Sportgymnastin berichtet.
Von 35.000 Zeitschriften und Zeitungen in Russland sind 34.900 unrentabel. In Russlands Presse dominieren Infotainment-Themen, und es gibt Boulevardmedien genau wie in Deutschland oder England, die gezielt und aggressiv solchen Themen nachgehen. Die Zeitung versuchte etwas bis dahin Ungewöhnliches: Sie versuchte, Details aus Putins Privatleben an die Öffentlichkeit zu bringen, da es solche Details bisher nicht gab. Im Endeffekt handelte es sich bei dem Artikel um eine Ente. Ich glaube jedoch nicht, dass es sich bei der plötzlichen Einstellung des "Moskowskij Korrespondent" um eine politische Entscheidung handelt.
Die Fragen stellte Ingmar Bertram.
Er arbeitet als freier Journalist in Berlin.