FEHMARNBELT
Der Staatsvertrag über den Bau einer Brücke ist unterzeichnet. Doch die Kritik am Mega-Projekt verstummt nicht
Zuweilen dauert es etwas länger, bis Träume Konturen bekommen. Wie bei der Brücke über den Fehmarnbelt. Schon Anfang der 1960er-Jahre gab es Pläne für eine feste Verbindung zwischen der dänischen Insel Lolland und der zu Schleswig-Holstein gehörenden Insel Fehmarn. Mit dem Staatsvertrag, den Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und seine dänische Kollegin Carina Christensen am 3. September in Kopenhagen unterzeichneten, soll das ehrgeizige Projekt nun Wirklichkeit werden. Geplanter Baubeginn ist 2012, sechs Jahre später soll der Verkehr über die Brücke rollen, und zwar auf einer verspurigen Straße und einer zweigleisigien elektrifizierten Eisenbahnstrecke. Kritiker des fast 20 Kilometer langen Mega-Bauwerks haben bereits angekündigt, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das Vorhaben zu verhindern.
Fast zehn Jahre ist es her, da berichtete der damalige Kieler Verkehrsminister Horst Bülck (parteilos) vollmundig von privaten Investoren, die angeblich "Schlange stehen", um das Milliarden-Projekt zu realisieren. 2002 schwärmte Bülck-Nachfolger Bernd Rohwer (SPD), der Brü-ckenschlag sei "nur noch eine Frage der Zeit". Ein Jahr später tauchten ernsthafte Zweifel auf, ob das Projekt tatsächlich zum wirtschaftlichen Erfolg werden kann. Zwischenzeitlich nämlich waren die veranschlagten Baukosten von 1,8 auf 4,1 Milliarden Euro gestiegen. Die Begeisterung hielt sich vor allem in der Bundesregierung in Grenzen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), einst selbst Verkehrsminister in Schleswig-Holstein, erklärte noch im Frühjahr 2006, private Investoren seien ihm unbekannt. Ein Finanzierungskonzept? Fehlanzeige. Geld für eine staatliche Anschubfinanzierung? Nicht vorhanden.
Hinweise auf leere Kassen erhielt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) auch immer wieder von Tiefensee. Allein auf deutscher Seite wären Kosten von gut 840 Millionen Euro fällig für den Ausbau der Verkehrsanbindungen auf Straße und Schiene. Im bis 2015 geltenden Bundesverkehrswegeplan indessen taucht die Belt-Querung lediglich im "weiteren Bedarf" auf. Der aus Schleswig-Holstein stammende FDP-Haushälter im Bundestag, Jürgen Koppelin, ist dennoch zuversichtlich, dass sich die Summe auftreiben lässt. Allein die Anhebung der Mautgebühren ab 2009 werde eine zusätzliche Milliarde Euro in die Kassen des Bundes bringen, sagte Koppelin - Geld, das nach Darstellung der Bundesregierung für Infrastrukturvorhaben zur Verfügung stehen soll. Koppelins Fraktionskollege Patrick Döring erwartet von Tiefensee einen "überzeugenden Projekt- und Finanzierungsplan, der nicht auf Kosten anderer Regionen in Deutschland gehen darf." Aus Sicht der Unionsabgeordneten Gero Storjohann, Ole Schröder und Dirk Fischer wird Schleswig-Holstein profitieren, wenn die Potenziale durch eine leistungsfähige Anbindung des Hinterlandes voll ausgeschöpft werden können. Auch dürfe der Brückenbau nicht in Konkurrenz zu anderen Verkehrsprojekten im Land wie dem Bau der Autobahnen A 20 und A 21 treten.
Noch im März 2007 schien das Projekt praktisch beerdigt. Da ließen sich Verkehrspolitiker des Kieler Landtags in Berlin den Stand der Verhandlungen mit Dänemark erläutern. Was Tiefensees Staatssekretär Jörg Hennerkes den Nordlichtern mit auf den Heimweg gab, löste bei Anhängern des Brückenplans Entsetzen aus. Der kalkulierte EU-Zuschuss von 1,5 Milliarden Euro aus Mitteln für die "Transeuropäischen Netze" (TEN) sei "höchst unsicher", bedeutete Hennerkes seinen Gästen. "Das Geld kommt nie", zitierte ein Teilnehmer den Staatssekretär. Selbst wenn Brüssel eine Milliarde Euro für Deutschland loseise, sei die Verteilung des Geldes "völlig offen". Schließlich gebe es in der Republik eine ganze Reihe konkurrierender Verkehrsprojekte. "Vom Hocker gehauen" haben die Kieler schließlich Hennerkes Befunde über die von Dänemark vorgelegten Verkehrsprognosen. Der Transitverkehr dort werde danach bis 2010 von derzeit 5.000 auf 10.000 Fahrzeuge täglich zunehmen: "Für 5.000 zusätzliche Fahrzeuge bauen wir nicht einmal eine Ortsumgehung bei Bad Oldesloe", bügelte der Staatssekretär die Brückenträume ab. Doch es kam anders: Als Tiefensee vergangenes Jahr mit seinem damaligen Amtskollegen Flemming Hansen über Finanzierungsfragen verhandelte, erklärte sich Dänemark bereit, 4,8 der insgesamt 5,6 Milliarden Euro bisher erwarteter Baukosten allein zu schultern. Privat vorfinanziert soll das eingesetzte Geld über Mauteinnahmen innrhalb von 25 Jahren wieder hereinkommen. Bleiben die Einnahmen hinter den Erwartungen zurück, weil weniger Verkehr als prognostiziert über die Brücke rollt, will das Königreich mit Staatsgarantien einspringen. Damit war der Widerstand der Deutschen gebrochen.
Tatsächlich übersteigt das Interesse der Dänen an dem Vorhaben jenes der Bundesrepublik um ein Vielfaches. Die Fahrzeit von Kopenhagen nach Hamburg würde sich um 60 Minuten auf dreieinhalb Stunden verkürzen. Auch Schweden verfolgt das Projekt mit besonderem Interesse. Die Brücke würde die letzte Lücke zwischen beiden Königreichen zum großen Exportmarkt Deutschland schließen. Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Werner Marnette (CDU) sieht die Querung als "Verkehrs-Aorta" für ganz Nordeuropa, die zusätzliches Wachstum in das nördlichste Bundesland bringen werde.
Dass Tiefensee und die Bundesregierung mit ihrem Ja zur Belt-Querung so lange zögerten, könnte mit Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Häfen zu tun haben. Die waren seit Anfang der 90er-Jahre mit rund einer Milliarde Euro aus Brüssel und Berlin fit gemacht worden. Deren Umschlag würde vermutlich sinken, wenn eine feste Querung zulasten des Fährverkehrs ginge. So nannte der Chef des Rostocker Hafens, Ulrich Baumeister, die Brückenpläne "ökonomischen und ökologischen Unsinn". Der Hafenmanager schloss sich damit den Kritikern im "Aktionsbündnis gegen eine feste Fehmarnbelt-Querung" an. Das Bündnis aus Umweltschützern und Gewerkschaftern kämpft seit 1994 gegen die Pläne, die bestehende Fährlinien gefährden und in der Bauphase negative Auswirkungen auf den Tourismus auf Fehmarn haben könnten. Verbündete haben die Kritiker dabei im Nordosten. "Wir brauchen die Querung nicht und wir wollen sie auch nicht", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Otto Ebnet (SPD), der damit die Linie der großen Koalition in seinem Land skizzierte. Zurückhaltender äußerte sich der Schweriner SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Hacker: Er verlangt, dass die Einwände von Kommunen und Verbänden berücksichtigt und "im Hinblick auf die Umweltverträglichkeitsprüfung" untersucht werden.
Bis 2009 müssen der Bundestag und das dänische Folketing dem Staatsvertrag zustimmen. Lutz Heilmann, Bundestagsabgeordneter der Linken, forderte die Große Koalition auf, dieses "Projekt technischen Wunderglaubens" bei der Bundestagswahl zur Abstimmung zu stellen. 85 Prozent der Bewohner Fehmarns seien dagegen. "Augen zu und durch", umschreibt der grüne Bundestagsabgeordnete Rainder Steenblock das Vorgehen der Regierung, die nicht zur Kenntnis nehme, dass Naturschutzverbände vor den Folgen für das sensible Ökosystem der Ostsee warnten. Risiken bei Schiffskollisionen in der mit jährlich fast 60.000 Schiffsbewegungen "am dichtesten befahrenen Wasserstraße der Welt" sieht der Naturschutzbund Deutschland. Hinzu kämen Probleme beim Wasseraustausch in der Region durch den Einfluss von mehr als 70 Brückenpfeilern sowie negative Folgen für den Vogelzug.