Arbeitslos zu werden, ist für die meisten Menschen eine der einschneidendsten negativen Erfahrungen mit einer Vielzahl von Folgen für das subjektive Wohlbefinden. In der Arbeits- und Organisationspsychologie wurde dieses Phänomen intensiv untersucht; wir kennen die Folgen von Arbeitslosigkeit vergleichsweise genau. 1 Dessen ungeachtet sind die psychischen Kosten der Arbeitslosigkeit in der Politik kein Thema; die Arbeitsmarktpolitik nimmt die psychologischen Methoden zur Dämpfung der Folgen der Arbeitslosigkeit kaum zur Kenntnis.
Dies ist umso befremdlicher, als Arbeitslosigkeit aufgrund der erhöhten Elastizität der Arbeit im Zuge der Globalisierung mit zunehmender Häufigkeit immer größere Teile der Gesellschaft treffen wird. Die meisten jungen Menschen müssen sich heute darauf einstellen, irgendwann in ihrem Leben einmal oder mehrere Male arbeitslos zu werden.
Warum wirkt sich Arbeitslosigkeit so negativ aus? Die Arbeit hat viele Funktionen für den Menschen. Sie verleiht der Zeit - dem Tag, der Woche, den Monaten und Jahren - eine klare Struktur, lässt Menschen sinnvoll am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und erlaubt es ihnen, produktive Bedürfnisse zu befriedigen. Die Arbeit vermittelt berufliche wie außerberufliche Perspektiven, auch soziale Kontakte; durch Arbeit gelangen die Menschen in den Besitz finanzieller Mittel, um ihr Leben zu gestalten. Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes fällt nicht nur all dies weg, sondern es kommen auch noch andere negative Aspekte hinzu: die frustrierende Suche nach einer Arbeitsstelle, die schwierigen Gespräche mit dem Partner oder der Partnerin und vor allem mit den Kindern, denen man den Schulausflug nicht mehr finanzieren oder das gewünschte Geschenk nicht mehr kaufen kann; der Verlust sozialer Kontakte, der auch dann auftreten kann, wenn die ehemaligen Arbeitskollegen alles tun, um die betroffene Person aufzufangen. Arbeitslosigkeit ist also ein einschneidendes negatives Erlebnis, und es ist kein Wunder, dass sie Depressionen und psychosomatische Beschwerden verursacht.
Aber es lässt sich auch Positives berichten. Ein wichtiges, durch Längsschnittuntersuchungen eindeutig belegtes Forschungsergebnis lautet: Die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit verschwinden (zumindest weitgehend), sobald eine neue - gesellschaftlich anerkannte - Arbeit gefunden ist. Arbeit, mit der keine wirkliche oder dauerhafte Teilhabe an den positiven Aspekten von Arbeit einhergeht (wie das etwa bei ABM-Stellen der Fall ist), hat tendenziell dieselben negativen Auswirkungen wie Arbeitslosigkeit; zumindest stellen sich diese nach Auslaufen entsprechender Maßnahmen rasch wieder ein.
Worin bestehen die Folgen der Arbeitslosigkeit? Die Forschungslage ist eindeutig: Langanhaltende Arbeitslosigkeit führt zu Depressionen, zu psychosomatischen Beschwerden, zu Störungen des Wohlbefindens; sie hat insgesamt negativen Einfluss auf die Psyche. An Depressionen zu leiden, bedeutet von erhöhter Niedergeschlagenheit befallen zu sein; nicht selten steigen die Depressionen bei vorher unauffälligen Individuen sogar so stark an, dass diese psychiatrisch auffällig werden; oft werden sie sogar so groß, dass die Betroffenen an Selbstmord denken. Niedergeschlagenheit äußert sich in langsameren Bewegungen, langsamerer Gehgeschwindigkeit, verringertem Interesse am Leben usw. Die psychosomatischen Beschwerden schlagen sich häufig in Schmerzen (Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder andere Schmerzsyndrome), aber auch in der erhöhten Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, nieder. Es ist auch erwiesen, dass das Immunsystem des Menschen in Stresssituationen leidet, womit eine erhöhte Anfälligkeit für alle möglichen Infektionen verbunden ist. Arbeitslosigkeit verringert zudem die mit dem Wohlbefinden in Arbeit einhergehende längere Lebenserwartung, und sie führt dazu, dass sich negative Gewohnheiten, wie beispielsweise ein erhöhter Alkoholkonsum oder Tablettengebrauch, verstärken. Und wenn es in der Ehe eines Arbeitslosen ohnehin schon kriselte, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Krise in der Zeit der Arbeitslosigkeit verstärken, die Ehe zu Bruch gehen wird.
Arbeitslosigkeit führt allerdings nicht unweigerlich zu den beschriebenen negativen Effekten. Diese treten dann nicht ein, wenn Menschen davon ausgehen (können), dass sie bald wieder eine Arbeitsstelle finden werden. Auch sind die negativen Effekte in den ersten Monaten der Arbeitslosigkeit oft eher gering. Mitunter kommt es sogar zu paradoxen Effekten. So erleben manche Menschen die ersten Woche der Arbeitslosigkeit geradezu als Urlaub. Erst mit der Zunahme der Dauer der Arbeitslosigkeit kommt es zu den beschriebenen psychisch verheerenden Folgen. Bei Langzeitarbeitslosigkeit verdoppeln sich die negativen Effekte.
Die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit verringern sich auch dann, wenn ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Eine paradoxe Folge dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass etwa Arbeitslose, die gesetzeswidrig in der Schattenwirtschaft (Schwarzarbeit) "anheuern", wohl durchschnittlich gesünder sind als diejenigen, die sich gesetzestreu verhalten. Das gilt auch für jene, die unbezahlte Tätigkeiten übernehmen, etwa ehrenamtliche Tätigkeiten wie die Arbeit in Vereinen oder in einer Arbeitsloseninitiative. Je mehr arbeitsähnliche Aufgaben übernommen werden, desto geringer dürften die negativen Effekte des Verlustes des Arbeitsplatzes sein. Auch Menschen, denen es leicht fällt, eine andere gesellschaftlich wichtige Rolle einzunehmen, sei es weil diese in ihrer Umgebung geschätzt wird oder weil die Person eine solche Rolle als positiv empfindet, leiden weniger: Das gilt beispielsweise für Frauen, die gerne wieder als Hausfrau und Mutter agieren. Für Frauen, die diese Rolle nicht einnehmen können, etwa Alleinstehende mit Kindern, oder wollen, trifft dies nicht zu. Natürlich gilt auch, dass heute mehr Frauen eine Arbeitsstelle wünschen und sich nicht als Hausfrau definieren lassen wollen.
Ein andere paradoxe Wirkung der Arbeitslosigkeit besteht darin, dass gerade diejenigen, die besonders motiviert sind, wieder eine Arbeitsstelle zu finden, für die die Arbeit einen zentralen Stellenwert hat, am stärksten unter der Arbeitslosigkeit leiden. Das ist zunächst einmal nicht überraschend, denn was man sehr schätzt, fehlt einem auch mehr, wenn es nicht zur Verfügung steht. Es ist aber insofern ein paradoxes Resultat, als die Gesellschaft von Arbeitslosen verlangt, motiviert nach einer Arbeit zu suchen. Diejenigen, die sich an diese "gesellschaftliche Vorschrift" halten, leiden besonders stark.
Problematisch ist, dass das Interesse an einer Arbeitsstelle mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit abnimmt - die zentrale Bedeutung Arbeit reduziert sich (notgedrungen). Dies ist nur einer der vielen Gründe dafür, der Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken.
Je weniger Geld Arbeitslosen zur Verfügung steht und je belastender sich dieser Mangel auswirkt, desto negativer sind die Wirkungen der Arbeitslosigkeit. Auch hier gibt es wieder einen paradoxen Effekt: Einerseits führen finanzielle Probleme dazu, dass aktiver nach einer Arbeit gesucht wird. Andererseits sind diejenigen, die unter finanziellen Problemen leiden, psychisch oft besonders gefährdet. Die finanzielle Situation ist vielfach auch als vermittelndes Glied zu Depressivität und zu psychosomatischen Beschwerden genannt worden. Der Mangel an Geld führt also einerseits zu erhöhter Aktivität bei der Suche nach einer Arbeitsstelle, andererseits tragen finanzielle Probleme zu den oben beschriebenen negativen Effekten auf das Wohlbefinden bei. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den Zeitrahmen zu betrachten: Kurzfristig erhöht Geldmangel die Motivation, eine Stelle zu suchen; langfristig tragen finanzielle Probleme allerdings dazu bei, dass sich die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit erhöhen. Die psychologischen Forschungsergebnisse legen folglich eine Änderung der Konfiguration des bestehenden Systems der Unterstützung von Arbeitslosen nahe: Unmittelbar nach dem Verlust der Arbeitsstelle erhalten Arbeitslose in der Regel eine relativ hohe Arbeitslosenunterstützung; mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit wird das Einkommen im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung finanziell abgesenkt. Aus psychologischer Sicht wäre möglicherweise das Gegenteil vorzuschlagen. (Hier ist es allerdings notwendig, Alternativmodelle auch sorgfältig empirisch zu überprüfen.) Die vergleichsweise hohe finanzielle Unterstützung, die Arbeitslose in Staaten wie Deutschland erhalten, führt nur marginal zu geringeren psychischen Beschwerden, wenn man dies mit Staaten vergleicht (wie den USA), die den Arbeitslosen nur eine geringere finanzielle Unterstützung gewähren.
Ein weiteres Paradoxon der Arbeitslosigkeit besteht in der Frage der Hoffnung. Es hat zwar einen positiven Effekt auf die psychische Gesundheit, wenn Arbeitslose hoffen, schnell wieder eine Arbeit zu finden. Dieser verkehrt sich aber in das genaue Gegenteil, wenn die Arbeitslosigkeit dann doch länger anhält als erwartet. Arbeitslose, die Hoffnungen auf eine Wiedereinstellung haben, werden durch die sich wiederholende Ablehnung ihrer Bewerbungen noch mehr geschädigt als jene, die von vornherein eher geringe Hoffnungen auf eine Wiederanstellung haben. Dies ist insofern wichtig, als die meisten Menschen dazu tendieren, Arbeitslosen "Mut zu machen", indem sie ihnen etwa sagen: "Das wird schon wieder. Du findest doch sicher einen Job mit deinen Qualifikationen." Dies kann sich kontraproduktiv auswirken, wenn dann doch keine Arbeit gefunden wird.
Erstens: Eine dringliche Aufgabe der Politik besteht darin, die Langzeitarbeitslosigkeit zu verringern. Dies ist in Deutschland, das im Vergleich zu manchen Nachbarländern einen höheren Sockel an Langzeitarbeitslosen vor sich herschiebt, ein besonderes Problem. Hier ist mit allen gesellschaftlich akzeptablen Mitteln zu versuchen, die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verringern, weil gerade durch lange Arbeitslosigkeit negative Effekte entstehen.
Zweitens: Bei den Kosten der Arbeitslosigkeit ist mit zu bedenken, welche Kostenteile durch die negativen gesundheitlichen Effekte der Arbeitslosigkeit entstehen. Hinzuzufügen ist, dass sich durch die Arbeitslosigkeit die Lebenserwartung der Arbeitslosen verringern kann.
Drittens: Alternative Rollen, die Arbeitslose einnehmen können, haben positive Effekte. Deshalb ist es sinnvoll, entsprechende Unterstützung zu gewähren. In diesem Zusammenhang ist es besonders beschämend, dass manchen Menschen die Möglichkeit der Arbeit und sogar die Möglichkeit ehrenamtlicher Tätigkeit versagt bleibt, etwa Asylsuchenden. Diesen Menschen, die bereits aufgrund der teils schrecklichen Erlebnisse in ihrem Heimatland und der oft belastenden Reise nach Europa traumatisiert sind, sollte nicht noch zusätzlich Schaden zugefügt werden, indem ihnen per Gesetz jede Form der Arbeit verwehrt wird. Hinzu kommt, dass das Arbeitsverbot auch zu einer Erhöhung der gesellschaftlichen Kosten für die Asylbewerber führt, die oft sehr stark motiviert sind, eine Arbeit zu finden.
Viertens: Jede alternativ zu einer Arbeit im ersten Arbeitsmarkt übernommene Arbeit, einschließlich der Schwarzarbeit, erfüllt eine psychohygienisch positive Funktion. Andererseits muss natürlich sichergestellt werden, dass Arbeitslose motiviert werden, eine Arbeitsstelle im ersten Arbeitsmarkt zu übernehmen.
Fünftens: Da negative Effekte der Langzeitarbeitslosigkeit bei finanziellen Problemen verstärkt werden, ist zu überlegen, die Arbeitslosen selbst darüber entscheiden zu lassen, ob sie zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit eine geringere Arbeitslosenunterstützung zugunsten einer später - bei länger anhaltender Arbeitslosigkeit - erhöhten Unterstützung wählen möchten.
Sowohl für die Arbeitslosen als auch für die Gesellschaft ist es in der Regel sinnvoll, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Deshalb sollte der Druck, dies durch Maßnahmen des "Förderns und Forderns" zu realisieren, aufrecht erhalten bleiben. Die Betroffenen benötigen dabei allerdings die entsprechende psychologische Unterstützung.
Abschließend soll die Frage beantwortet werden, ob psychologisches Training eine positive Rolle spielen kann. Psychologisch ausgereifte Trainings haben zweifellos einen positiven Effekt. Die Effektivität entsprechender Maßnahmen ist dann gut, wenn sie die Selbstwirksamkeit der Teilnehmer erhöhen, wenn diese also die notwendigen Handlungen selbst gut durchführen können. Es besteht kein Zweifel daran, dass die aktive Suche nach einer neuen Arbeitsstelle für die Betroffenen von Vorteil ist, weshalb es sinnvoll ist, Arbeitslose dabei gezielt zu unterstützen. Häufig wirkt sich die Arbeitslosigkeit lähmend auf die Betroffenen aus. Diejenigen aber, die es fertig bringen, eigeninitiativ nach einer neuen Arbeitsstelle zu suchen, werden leichter eine Arbeit finden. Es ist zwar wissenschaftlich nicht bewiesen, aber gut vorstellbar, dass eine kontinuierliche Unterstützung im Sinne eines Coaching Arbeitslosen dabei helfen könnte. Psychologische Maßnahme sollten zugleich damit verbunden werden, die Qualifikation Arbeitssuchender zu erhöhen, um deren Chancen, eine Arbeit zu finden, zu verbessern. Allerdings ist davor zu warnen, dem Arbeitsmarkt mit entsprechenden Maßnahmen hinterherzuhinken. Es sollte vielmehr darum gehen, Arbeitslosen zukunftsträchtige Qualifikationsmaßnahmen für neue Berufe anzubieten.
In der öffentlichen Meinung haben psychologische Trainings keinen guten Ruf. Tatsächlich gibt es gute und schlechte Trainings. Daher sollte nur einem gut evaluierten Trainingsprogramm finanzielle Unterstützung gewährt werden. Ganz auf effektive psychologische Trainingsprogramme und Coachings zu verzichten, bedeutet jedoch, die Anzahl der Arbeitslosen zu erhöhen und deren Leiden zu verschlimmern.
Insgesamt haben psychologische Untersuchungen die empirische Evidenz für einen besseren Umgang mit der Arbeitslosigkeit und für ein verbessertes Verständnis von Arbeitslosigkeit geschaffen. Es ist Zeit, diese Erkenntnis auch politisch umzusetzen. &linie78;
1 Die
wissenschaftlichen Literaturhinweise zu diesem Text können
unter www.frese.org heruntergeladen werden. Anmerkung der
Redaktion: Siehe auch den Beitrag von Gisela Mohr/Peter Richter in
dieser Ausgabe.