Gesundheit
Die Beiträge werden 2009 kräftig steigen - trotz oder wegen des Fonds
Es wird richtig teuer im nächsten Jahr: Zumindest für diese Diagnose müssen gesetzlich Krankenversicherte kein ärztliches Gutachten einholen. Die Honorarerhöhungen für die niedergelassenen Ärzte schlagen mit rund 2,7 Milliarden Euro zu Buche. Bei den Arzneimittelausgaben, eröffnete Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vergangene Woche, sei 2009 mit einer Steigerung von 2 Milliarden Euro zu rechnen. Und die klammen Kliniken, das beschloss das Bundeskabinett am 24. September, erhalten 3,2 Milliarden Euro mehr.
Macht zusammen 7,9 Milliarden Euro, die die Beitragszahler im kommenden Jahr absehbar mehr aufbringen müssen. Wie hoch der dann erstmals zu zahlende einheitliche Beitragssatz sein wird, entscheidet sich am 7. Oktober. Dann wird ihn das Kabinett aufgrund der Vorgabe festlegen, die ein Schätzerkreis dieser Tage treffen wird. Niemand rechnet mehr damit, dass er unter 15,5 Prozent liegen wird.
Mit dem Gesundheitsfonds habe der Beitragssprung, den viele Versicherte hinzunehmen haben werden, nichts zu tun, wiederholen Schmidt und Abgeordnete der Koalitionsfraktionen derzeit gebetsmühlenartig. "Stimmt nicht", schallt es ebenso verlässlich von Seiten der Opposition zurück - so auch in zwei Bundestagsdebatten am 25. und 26. September. Sowohl Die Linke als auch die FDP hatten erneut Anträge ( 16/10318 und 16/9805) vorgelegt, die die Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 verhindern sollen. Beide wurden in die Ausschüsse überwiesen.
Ulla Schmidt sagte zur Kostenentwicklung: "Medizinischer Fortschritt, mehr ältere, mehr hochbetagte Menschen, mehr chronisch Kranke, das kostet Geld." Die CDU-Abgeordnete und scheidende Staatsministerin im Kanzleramt, Hildegard Müller, erklärte, gute medizinische Versorgung werde teurer werden. "Das müssen wird den Menschen auch sagen", so Müller. Dies liege am demografische Wandel, am medizinischen Fortschritt und der Zunahme chronischer Leiden. Für die Unions-Fraktion stieg die CDU-Abgeordnete Annette Widmann-Mauz in den Ring. "Der Anstieg der Beitragssätze hat nichts mit dem Gesundheitsfonds zu tun", rief sie ins Plenarrund. Wer das verschweige, "täuscht die Bürger vorsätzlich". Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionsvize Elke Ferner in einer teilweise hitzigen Debatte. Schmidt mühte sich gleichzeitig im Werben für den Fonds. Dieser werde zu mehr Wettbewerb und Transparenz im Gesundheitswesen führen. Unfair ist aus ihrer Sicht das heutige System: Viele Kassen müssten allein deshalb hohe Beiträge verlangen, weil sie viele kranke und ältere Menschen versicherten, die hohe Kosten verursachten. Über den Fonds werde dies künftig ausgeglichen.
Der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr warnte hingegen: "Der Gesundheitsfonds ebnet den Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen. Damit haben wir den Weg zu Zuteilung nach Kassenlage." Er warf Schmidt vor, sich mit Milliardenzusagen an Krankenhäuser und Ärzte Ruhe an der Fondsfront zu erkaufen. Grünen-Gesundheitsexperting Birgitt Bender machte bei Schmidt eine "gesundheitsfondsgetriebene Unruhe" aus, die sie den Gabentisch für einige Lobbygruppen schon drei Monate vor Weihnachten habe decken lassen. Weder von den Ärzten, noch von den Krankenhäusern habe sie für die Milliardenzusagen Gegenleistungen eingefordert. So würden sich Wartezeiten auf einen Termin in den Praxen für gesetzlich Versicherte nicht verringern, und die Länder würden sich auch weiterhin ihrer Verpflichtung entziehen, ausreichend in die Kliniken zu investieren.
Für Die Linke kritisierte Frank Spieth, dass die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen künftig einseitig von den Arbeitnehmern und Rentnern geschultert würden, da die Kassen von ihnen Zusatzprämien erheben könnten. Die Unternehmen hingegen müssten frühestens wieder im Jahr 2013 mit steigenden Beiträgen rechnen. "Halbe-halbe? Das war einmal", unterstrich Spieth.
Der Gesundheitsfonds wird ein riesiger Geldsammeltopf sein, der beim Bundesversicherungsamt verwaltet wird. In ihn fließen die Krankenkassenbeiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie Steuermittel und das Geld aus den Zuzahlungen der Patienten. Jede der gut 200 Kassen bekommt für jeden Versicherten aus dem Fonds eine Zuweisung, deren Höhe sich nach Alter und Geschlecht der Versicherten richtet. Über den so genannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) gibt es darüber hinaus Zuschläge für Versicherte mit einer von 80 Krankheiten, deren Behandlung teuer ist.
Die Grundstruktur des Fonds steht, jedoch sind noch viele Details offen - was bei manchen Experten für Kritik und bange Blicke sorgt, wie in einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am 24. September zu beobachten war. Angesichts der Kabinettsentscheidung zum Notpaket für die Krankenhäuser ging diese in der öffentlichen Wahrnehmung nahezu unter. Allerdings zu Unrecht. Denn mit dem der Anhörung zugrunde liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung ( 16/9559 16/10070) werden wichtige Weichen gestellt. Dabei geht es unter anderem um Regelungen zu Säumniszuschlägen für Kassen, die ihre Beiträge an den Fonds nicht rechtzeitig abführen, um den Aufbau einer Liquiditätsreserve und um die Umsetzung der so genannten Konvergenzklausel. Diese soll sicherstellen, dass kein Bundesland durch den Fonds und den neuen Finanzausgleich zwischen den Kassen pro Jahr mit mehr als 100 Millionen Euro zusätzlich belastet wird.
Während diese Punkte von der Koalition nachträglich in den Entwurf eingefügt wurden, bezieht sich sein Kern auf die geplanten Regeln zur Insolvenzfähigkeit von gesetzlichen Krankenkassen. Nach den Plänen der Regierung sollen künftig auch Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK) und regionale Versicherungen pleitegehen können. Insolvenzfähig waren bislang nur Kassen unter Aufsicht des Bundes wie DAK, Barmer und Techniker Krankenkasse. Von Januar 2010 an fallen alle gesetzlichen Kassen unter die Insolvenzordnung. Danach haften bei einer Pleite einer der 16 Ortskrankenkassen oder anderer Kassen unter Landesaufsicht nicht mehr die Bundesländer, sondern die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart - etwa andere AOK. Wenn diese überfordert sind, sollen notfalls alle Krankenkassen einspringen.
In der Anhörung sagte die Vorsitzende des neuen GKV-Spitzenverbandes Bund, Doris Pfeiffer, um Wettbewerbsgleichheit der Kassen herzustellen, seien Insolvenzregeln notwendig. Der Experte des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Knut Lambertin, stellte dagegen grundsätzlich in Frage, ob Krankenkassen als Sozialversicherungsträger überhaupt insolvenzfähig sein dürften. Schließlich könnten Krankenkassen Ein- und Ausgaben nur sehr begrenzt selbst bestimmen.