Korruption
Bestechung
scheint in der Wirtschaft weit verbreitet zu sein. Das Risiko der Entdeckung ist jedoch gewachsen
Bekanntermaßen ist Martin Walser immer für eine öffentliche Provokation zu haben. Die Themenpalette des renommierten Schriftstellers ist dabei variabel. Zum aktuellen Top-Thema "Korruption in der Wirtschaft" versteigt er sich zu der provokanten These, dass Korruption zum wohlfeilen Zwecke der Auftragsbeschaffung völlig normal sei. Auch das Verhalten von Steuerhinterziehern ist für ihn durchaus nachvollziehbar, schließlich sei der Staat an beiden Verhaltensmustern selbst schuld. Die Siemens-Manager und Zumwinkels dieser Welt dürfen sich freuen, sie bekommen von Walser einen Freispruch erteilt.
Diese Sicht der Dinge teilen natürlich nicht alle. Hansjörg Elshorst, ehemaliger Vorsitzender und heutiger Beiratsvorsitzende der Anti-Korruptions-Organisation Transparency Deutschland, weiß, dass Korruption im internationalen Geschäftsverkehr deutscher Unternehmen weit verbreitet ist. Aus der Sicht vieler Manager gehört Bestechung in aller Regel zum normalen Geschäftsgebaren, wenn es darum geht, lukrative Aufträge an Land zu ziehen.
Doch Elshorst sieht auch schon Licht im Dunkeln der Korruptionshöhle. Seit dem Siemens-Bestechungsskandal sei vielen Unternehmen bewusst geworden, dass ein hohes Risiko besteht, denn korrupte Aktivitäten können entdeckt werden. Für Elshorst ist das aber noch lange nicht genug. Von staatlicher Seite, den Strafverfolgungsbehörden und den Unternehmen wird nach seiner Meinung noch zu wenig getan, um dieses Übel der sozialen Marktwirtschaft zu sanktionieren.
Doch was ist Korruption, deren negative Auswirkungen große wirtschaftliche Schäden verursachen? Nähert man sich dem Thema juristisch, ist es der Missbrauch einer Vertrauensstellung, zum Beispiel in Positionen der Wirtschaft, Politik oder Verwaltung. Der Nutznießer der Korruption erlangt dabei einen materiellen oder immateriellen Vorteil, auf den er bei normalen Geschäftsgebaren keinen Rechtsanspruch hätte.
Nun sollte jetzt niemand auf den Gedanken kommen, dass diese Art der Vorteilsnahme ein Produkt der heutigen Gesellschaftsformen ist. Die Wurzeln der Korruption reichen zurück bis ins feudalistische Europa. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bestechung in unseren Breiten Methode. So ging der Preußenkönig Friedrich II. schlicht davon aus, dass die österreichische Kaiserin Maria Theresia seine Minister besticht. Vor dem Hintergrund dieser Fiktion leitete er wie selbstverständlich für sich das Recht ab, seinerseits die Minister am Hofe der Kaiserin mit "Annehmlichkeiten" zu versorgen. Legendär in der Geschichte der Korruption dürfte auch der so genannte "Repitilienfonds" des eisernen Kanzlers Bismarck gewesen sein, über den er mit kaiserlichen Gnaden frei verfügen konnte.
Doch zurück zu unserem heutigen Korruptions-Sumpf. Nach Ansicht des renommierten Journalisten Hans Leyendecker hat sich das Übel der Korruption in Deutschland geschwürartig ausgebreitet. Angestellte würden bestochen, Manager leiteten Unsummen in die eigene Tasche und Politiker würden "beatmet", wie das korrumpieren im Jargon der Eingeweihten heißt. Leyendecker spricht von einem flächendeckenden Korruptionssystem. Spektakuläre Fälle von Korruption werden immer wieder aufgedeckt. Der wohl bekannteste dürfte die Siemens-Affäre sein. Manager des deutschen Vorzeigekonzerns hielten in "schwarzen Kassen" 1,5 Milliarden Euro bereit, um Geschäfte auf unkomplizierte Weise anzubahnen. Für große Schlagzeilen sorgte ebenfalls die so genannte VW-Affäre. Betriebsräten wurden mit großzügiger Hilfe der konzerneigenen Personalabteilung vielfältige Annehmlichkeiten zu teil. Das reichte von kostspieligen Besuchen anrüchiger Etablissements bis hin zu fragwürdigen Gehaltszahlungen.
Ein weiterer prominenter Korruptionsfall fand jetzt in Frankfurt am Main sein Ende vor dem Landgericht. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der frühere Sportchef des hessischen Rundfunks, Jürgen Emig, mehr als 300.000 Euro an Sponsorengeldern in die eigene Tasche wirtschaftete. Dafür handelte er sich eine Gefängnisstrafe von mehr als zwei Jahren ein.
Der wirtschaftliche Schaden, der durch Korruption entsteht, dürfte jährlich Milliardensummen betragen. Genaue Schadenssummen sind sehr schwierig zu ermitteln. Wie auch, wer korrumpieren will, verzichtet gerne auf eine ordentliche Buchführung. In den berühmten "schwarzen Kassen" verschwinden in aller Regel die Milliarden. Ein Beispiel macht aber ansatzweise transparent, welche Korruptions-Summen bewegt werden können. Im Jahr 2004 belief sich der Haushalt der Europäischen Gemeinschaft auf 111 Milliarden Euro für 25 Mitgliedstaaten. Die durch die Ermittlungen der Betrugsbekämpfungsbehörde der EU und der Mitgliedstaaten erkannten Unregelmäßigkeiten ergaben einen Betrag von 2,12 Milliarden Euro. Setzt man diese Zahlen in Relation, könnte die Vermutung nahe liegen, dass in Europa die Korruption mit rund zwei Prozent eines Staatshaushaltes beziffert werden kann.
Vorteile verschaffen sich Unternehmen durch das Mittel der Bestechung nicht. Derart beeinflusste Entscheidungen unterliegen nicht betriebswirtschaftlicher Rationalität, sondern werden einzig durch persönliche Interessen geleitet. Die Folge: Produkte und Dienstleistungen werden nicht nach Preis und Leistung beschafft. Durch die überhöhten Entgelte und durch die Einpreisung von Bestechungsgeldern werden vielmehr "Folgeschäden", wie zum Beispiel Reparaturen und Gesundheitsschäden bei Mitarbeitern, bewusst in Kauf genommen. Vor dem Hintergrund dieser künstlich erhöhten Kosten, verringern sich in der Folge die Investitions- und Wachstumsmöglichkeiten des jeweiligen Unternehmens. Darüber hinaus entzieht sich das korrupte Unternehmen dem Innovationsdruck des Wettbewerbs. Damit verringert es auf lange Sicht auch seine Überlebensfähigkeit auf dem Markt. Auch wird es künftige Bestechungsforderungen nicht aufhalten können, mit der Folge, dass Bestechungsgelder zu einem nicht unerheblichen Kostenfaktor auf Dauer werden. Vor dem Hintergrund des Korruptions-Skandals bei Siemens wird in Deutschland immer häufiger die Frage nach einem Unternehmensstrafrecht gestellt, das zum Beispiel in Großbritannien schon lange gilt. Dort werden bei Gesetzesverstößen die Unternehmen oder deren Organe in die Pflicht beziehungsweise Haftung genommen und nicht wie in Deutschland bisher nur einzelne Mitarbeiter für (persönliche) Verfehlungen des Unternehmens verantwortlich gemacht.
Aber es geht auch anders: Im deutschen Zivilrecht wird menschliches Handeln bereits juristischen Person zugeordnet. So unterzeichnet ein Geschäftsführer zwar den Anstellungsvertrag eines Arbeitnehmers, aber er zahlt nicht dessen Gehalt aus der eigenen Tasche, das zahlt die Firma. Auch das Bundeskartellamt verhängt seine Geldbußen nicht gegen die handelnden Personen, die ein "Kartell verabredet" haben, sondern gegen das Unternehmen. Hieraus ließe sich ein Unternehmensstrafrecht ableiten, dass auch den Sumpf der Korruption effektiv zu Leibe rückte.
Der Autor ist Wirtschafts- und Finanzjournalist in Frankfurt am Main.