Gefängnisse
In Deutschlands Strafanstalten florieren die Wirtschaftsbetriebe. Davon profitieren Landeshaushalte und Strafgefangene
Ob Holzspielzeug, Polsterstuhl oder Lederschuhe: Handwerksprodukte kauft man in Berlin-Tegel gerne im Gefängnisladen der dortigen Justizvollzugsanstalt (JVA). "Ich komme öfter hierher" erzählt Claudia Schuback, die in der Nähe wohnt. Früher habe sie sich vor dem Gefängnis immer etwas gegruselt, aber durch den Laden sehe sie die Haftanstalt jetzt mit anderen Augen, eben positiver als zuvor.
"Seit der Eröffnung des JVA-Shops im Jahr 2002 haben wir sicher auch unser Image verbessert, aber vor allem die Einnahmen der Gefängnisbetriebe deutlich gesteigert", sagt Klaus-Dieter Blank, Leiter des Bereiches Arbeitswesen in der JVA Tegel. Das größte deutsche Gefängnis verfügt unter anderem über eine Tischlerei, einen Polsterbetrieb, einen Bauhof sowie über eine Montage- und Sortierwerkstatt. "Die Gefangenen werden von einem Meister angelernt und sollen dann möglichst selbständig die Aufträge abarbeiten", sagt Blank. Im Jahr 2007 erzielte die JVA Tegel dadurch Einnahmen von über einer Million Euro, mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2000.
Eine ähnlich positive Tendenz lässt sich auch in anderen Bundesländern feststellen: Nordrhein-Westfalen steigerte seine Einnahmen durch Gefängnisarbeit von 32,7 Millionen Euro im Jahr 2000 auf fast 45 Millionen Euro im Jahr 2007, Bayern im gleichen Zeitraum von 44,9 Millionen Euro auf 47,8 Millionen Euro. Die Mehreinnahmen sind das Ergebnis verstärkter Werbemaßnahmen und einer Neuorganisation der Wirtschaftsbetriebe in den Gefängnissen.
"Parallel zur Eröffnung des JVA-Shops haben wir die Verwaltungsstrukturen modernisiert", erzählt Blank. So flossen die Einnahmen der JVA Tegel früher in den Berliner Haushalt. Jetzt kann Blank die Überschüsse der Betriebe wieder investieren und 25 Prozent davon jährlich zurücklegen, um zu einem späteren Zeitpunkt eine besonders teure Maschine anzuschaffen. Gleichzeitig hat der wirtschaftliche Druck zugenommen: Für jedes Jahr wird ein Einnahmeziel definiert. Um dieses zu erreichen, gibt es neben dem JVA-Shop ein umfangreiches Internet-Angebot und dreimal im Jahr einen Gefängnis-Basar, auf dem sich die Anstaltsbetriebe präsentieren.
Der größte Auftraggeber der JVA Tegel ist aber - wie bei vielen Gefängnissen - die öffentliche Hand: "Wir bauen und reparieren sehr viel Möbel für das Land Berlin", sagt Blank. "Denen können wir leider nur unsere Materialkosten in Rechnung stellen." Bei allen anderen Aufträgen wird auf Basis von Tariflöhnen kalkuliert, aber keine Mehrwertsteuer aufgeschlagen. Deshalb ist das Gefängnis häufig preiswerter, aber in vielen Fällen auch langsamer als ein Privatbetrieb.
"Vollzugsbelange gehen halt immer vor", sagt Sascha Spannuth, der in der JVA Tegel die Polsterei leitet. Überstunden oder Reparaturen vor Ort lassen sich mit dem Gefängnisalltag eben nicht vereinbaren. Zudem gebe es eine große Personalfluktuation, weil die Haftzeit der meisten Gefangenen eben begrenzt sei. "Wir müssen die meist Ungelernten dann erst einmal einarbeiten", so Spannuth. Von daher sei die Arbeit mit Lebenslänglichen am angenehmsten.
Probleme mit Gewalt oder fehlender Motivation aufgrund der Arbeitspflicht im Gefängnis gebe es aber nicht. "Die meisten Häftlinge wollen arbeiten und sich nicht auf der Zelle langweilen", sagt Spannuth. Diese Erfahrung hat auch der Berliner Mittelständler Flammmotec gemacht, der seit rund fünf Jahren in der JVA Tegel Plastikdichtungen in Stahlbleche einsetzen lässt: "Wir sind mit der Qualität sehr zufrieden und das Gefängnis ist viel preiswerter als ein privater Subunternehmer", sagt Flammmotec-Geschäftsführer Heinz-Günter Michels. Der JVA Tegel sei es jederzeit möglich, mehr als die zurzeit rund 30 für Flammmotec tätigen Insassen einzusetzen. "Diese Arbeit ist bei den Gefangenen beliebt", bestätigt Bereichsleiter Blank, denn es lockt ein höherer Verdienst als für Hilfstätigkeiten in der Wäschekammer oder der Gärtnerei. Bei guter Leistung können Häftlinge über 17 Euro am Tag verdienen. Der den Gefangenen zustehende Lohn hat sich aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts sowie darauf folgender Gesetzesänderungen seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Zudem sind die Häftlinge im Gegensatz zu früher jetzt arbeitslosenversichert. Auch der Deutsche Bundestag trägt dazu bei, dass Strafgefangene Arbeit haben. "Seit den achtziger Jahren vergeben wir Druckaufträge an die JVA Geldern in Nordrhein-Westfalen", sagt Michael Reinold, Referent in der Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages. Dazu zählt unter anderem ein Tischkalender, den die JVA-Druckerei mit konzipiert hat. Jedes Jahr werde durch eine Marktabfrage der günstigste Anbieter ermittelt. "Bislang hat sich die JVA immer durchgesetzt", sagt Reinold. Er sieht aber auch eine soziale Verpflichtung des Bundestages: "Eine sinnvolle Beschäftigung ist für diese Menschen sehr wichtig."
Klaus-Dieter Blank von der JVA Tegel betont ebenfalls, dass die Arbeit im Gefängnis für den Resozialisierungsprozess von besonderer Bedeutung ist. Die Insassen würden so lernen, sich für längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Zudem vermittle die Arbeit Erfolgserlebnisse. "Gemeinsam mit anderen etwas Sinnvolles zu tun und dafür auch noch Geld zu bekommen, ist eine positive Erfahrung, die viele aus ihrem früheren Leben nicht kennen", so Blank. Dies bestätigt Florian Becher, wegen schweren Raubes zu sieben Jahren Haft verurteilt: "Im Gefängnis ist es besonders wichtig, eine Beschäftigung zuhaben, sonst hat der Tag keine Struktur und man ist immer nur am Grübeln."