Tief gespalten präsentierte sich der Deutsche Bundestag, als er nach achtstündiger Debatte die Gesundheitsreform verabschiedete. Sie sollte den Anstieg der Ausgaben im Gesundheitssystem begrenzen. Was Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) als Erfolg feierte, wies der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Dreßler, als "gesundheitspolitisch schädlich" zurück. Die Grünen-Abgeordnete Heike Wilms-Kegel sprach gar von einem "Gesundheits-Ruin-Gesetz." Auch Krankenkassen, Gewerkschaften und Pharmaindustrie wiesen die Reform geschlossen zurück.
Der Chef der Barmer Ersatzkasse, Hans Neusigl, bezeichnete den Gesetzesentwurf als "unausgewogen", bekräftigte allerdings gleichzeitig, dass der Beitragssatz seiner Kasse im Jahr 1989 bei 12,9 Prozent bleiben werde und eine Erhöhung nicht geplant sei. Auch andere Krankenkassen unterstrichen, ihren Satz nicht erhöhen zu wollen. Blüm bezeichnete dies zufrieden als erste durchschlagende Wirkung der Reform, die den Kassen einen Gesamtbetrag von etwa 14 Milliarden Mark einsparen solle. Nur durch sinnvolle Einsparungen sei ein konstanter Beitragssatz überhaupt denkbar, sagte Blüm in seiner Rede vor dem Plenum. In vielen Fällen jedoch sorgte das am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Gesetz dafür, dass sich Kranksein verteuerte. Die Rezeptgebühr stieg, sogenannte Bagatellmittel wie etwa gegen Erkältungen gab es nicht mehr auf Krankenschein. Die Zuzahlung bei Brillengestellen halbierte sich auf 20 Mark, Zuschüsse beim Zahnersatz sanken auf 50 Prozent. Vorsorgeuntersuchungen hingegen wurden durch die Gesundheitsreform gefördert und ausgeweitet. Auch das Sterbegeld von 2100 Mark, das ursprünglich für alle Versicherten unter einem Alter von 58 Jahren gestrichen werden sollte, blieb erhalten.
Um "Verschwendungstendenzen" zu begegnen, bezahlten die Kassen bei wirkstoffgleichen Produkten unterschiedlicher Hersteller nur noch den Preis des günstigsten Arzneimittels. Wählte der Patient ein teureres Produkt, musste er die Differen aus eigener Tasche begleichen.
Was damals für Furore sorgte, ist 20 Jahre später längst Alltag. Die steigende Lebenserwartung führt bei einer stagnierenden Geburtenrate zur stetigen Kostenzunahme im Gesundheitswesen. Ein Beitragssatz von 15,5 Prozent aber, wie er 2009 für die gesetzlichen Krankenversicherungen gelten soll, war 1988 für viele Menschen unvorstellbar.