Deutsch-Tschechische Geschichte
Zeitzeugnisse sudetendeutscher Antifaschisten
Fast völlig vergessen ist die Geschichte jener Deutschen in den Sudetengebieten, die als Antifaschisten innerhalb von zehn Jahren mindestens zwei Mal zu Verlierern wurden: mit der Annexion Böhmens und Mährens durch Hitler 1938 und durch den Verlust ihrer angestammten Heimat 1945/46. Stellvertretend für diese Minderheit von circa 79.000 Sozialdemokraten und 50.000 Kommunisten unter den 2,3 Millionen Sudetendeutschen unternehmen Alena Wagnerová und fünf Co-Autoren in 15 Porträts den Versuch, ein dunkles Kapitel tschechisch-deutscher Vergangenheit zu erhellen.
Alena Wagnerová, geboren 1936 in Brünn, tschechische Bürgerrechtlerin und Autorin, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings in die Bundesrepublik emigriert, ist mit Büchern über Vertreibung, über Lebensbilder von Frauen und über Schicksale im Grenzgebiet hervorgetreten. In ihrem jüngsten Sammelband verweist bereits das Grußwort auf die Problematik: sie habe "nach einem der angreifbarsten, aber auch verdienstvollsten Themen gegriffen".
Tatsächlich gehen die Autoren ein mindestens doppeltes Wagnis ein: Denn eine repräsentative Auswahl von Anti-Hitler-Akteuren stößt allein schon an biologische Grenzen, und die Erinnerungen ihrer Kinder weisen zwangsläufig Unschärfen auf. Zudem basieren die 15 Porträts ausschließlich auf der Methode der "Oral history". So entstanden letztlich subjektive Selbstporträts, die kaum hinterfragt oder im historischen Kontext kritisch bewertet werden.
Traditionell waren die Sudetengebiete bis Ende der 1920er-Jahre sozialdemokratisch strukturiert. Mehrere Lebensberichte erzählen vom Zusammenhalt in Arbeiter-, Wohlfahrts- und Konsumvereinen und dem einvernehmlichen Leben unter tschechischer Verwaltung. Vor allem die Folgen der Weltwirtschaftskrise - Arbeitslosigkeit und unvorstellbare Not - führten Henleins Sudetendeutsche Partei zum Wahlerfolg (1935: 64 Prozent, 1938: 95 Prozent). Juden, Kommunisten und für die tschechische Demokratie einstehende Sozialdemokraten wurden zum Feindbild. Diskriminierungen, aber auch Auseinandersetzungen mit Henlein-Trupps kulminieren bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
Für jeden der hier vorgestellten Antifaschisten stellte der Einmarsch der deutschen Wehrmacht als Ergebnis des Münchener Abkommens eine Zäsur dar. Viele ihrer Familien teilten das Schicksal jener 200.000 "schlechten Deutschen", die ins Innere der Tschechoslowakei flohen. Besonders Gefährdete gelangten organisiert ins Exil, gingen in die tschechische, in die Rote Armee oder die kommunistischen Internationalen Brigaden. 20.000 andere kamen nach ihrer späteren Rückkehr in die Heimatorte oft für Jahre in KZ.
Mit dem Zusammenbruch des "Dritten Reichs" waren sie wie alle Sudetendeutschen wilden Vertreibungen durch "Revolutionsgarden" ausgesetzt. Später akzeptierte die Beneš-Regierung ein Bleiberecht ausschließlich für Antifaschisten - sofern sie ihren deutschen Kultur- und Sprachraum aufgaben. Nur 6.000 blieben. Helga Graf, deren Vater als Reichssekretär der demokratischen Bauernpartei für ein gutes deutsch-tschechisches Verhältnis arbeitete, bringt den doppelten Wahnsinn auf den Punkt: "Hier in Böhmen ist eine Lebensgemeinschaft, die seit Jahrhunderten bestanden hat, zerstört worden, sowohl auf deutscher, als auch auf tschechischer Seite."
Während Sozialdemokraten überwiegend in Bayern sesshaft wurden, sahen die Kommunisten in der von ihrer Partei beschlossenen "Umsiedlung" in die SBZ weniger eine Strafe, als die Chance für ihren Neuanfang. Und so fehlen unter den Porträtierten auch nicht jene, die mit Verbitterung auf ihre letzte große Lebensniederlage - den Zusammenbruch der DDR - reagieren.
Trotz Kritik am Ansatz des Buches, sein Verdienst ist es zweifellos, im fast letztmöglichen Moment subjektive, aber lesenswerte Zeitzeugnisse einer Minderheit bewahrt zu haben.
Helden der Hoffnung. Die anderen Deutschen aus den Sudeten 1935-1989.
Aufbau Verlag, Berlin 2008; 272 S., 24,95 ¤