WIRTSCHAFT
Experten fürchten sinkendes Bruttoinlandsprodukt - Regierung legt Wachstumsprogramm vor
Stürzt Deutschland in die tiefste Rezession seit 1949? Die jüngsten Wirtschaftsdaten und -prognosen haben hektische Maßnahmen der Politik ausgelöst. Der Automarkt soll stabilisiert und der Wirtschaft durch bessere Abschreibungsmöglichkeiten geholfen werden. Zuvor hatte es bereits das Bürgschaftsprogramm für die Banken gegeben, aus dem die "Hypo Real Estate" jetzt einen Garantierahmen von 20 Milliarden Euro erhält. Die Zeichen stehen auf Sturm: Die Deutsche Bundesbank schrieb, dass die Folgen der Finanzkrise und der realwirtschaftlichen Eintrübung im nächsten Jahr "in ihrer ganzen Tragweite sichtbar" würden. Von Aufhellung ist keine Rede mehr.
Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sagte am 20. November im Haushaltsausschuss des Bundestages nach Angaben von Teilnehmern, die Bundesbank werde für 2009 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um ein Prozent bekannt geben. Den bisher stärksten BIP-Rückgang hatte es 1975 als Folge der Ölkrise mit 0,9 Prozent gegeben. "Insgesamt deuten die erhobenen Daten auf eine globale Rezession hin", sagte der Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. Er erwartet außerdem eine schnell steigende Arbeitslosigkeit. Die Wirtschaft in der gesamten Euro-Zone befinde sich auf Talfahrt, ermittelte der Marit-Einkaufsmanagerindex. Und die Börsen meldeten weltweit Ausverkaufsstimmung.
Vor dem Hintergrund der schlechtesten Wirtschaftsnachrichten seit langem und möglicherweise drohender Zahlungsunfähigkeit beim deutschen Autobauer Opel legten Union und SPD ein Wachstumsprogramm ( 16/10930) vor. Darin ist vorgesehen, für zwischen dem 5. November 2008 und dem 30. Juni 2009 gekaufte Personenwagen keine Kraftfahrzeugsteuer zu erheben. Mehrere Bundesländer, darunter Sachsen-Anhalt, stoppten bereits die Steuerbescheide für Neuwagen. Für Fahrzeuge, die die Euro-5- und die Euro-6-Norm erfüllen, verlängert sich die maximale Steuerbefreiung auf zwei Jahre vom Tag der Erstzulassung an. Die Kfz-Steuerbefreiung ende auf jeden Fall am 31. Dezember 2010, heißt es im Entwurf.
Das Aussetzen der Kraftfahrzeugsteuer für Neuwagen sei der Startschuss zur Ankurbelung des Fahrzeugabsatzes, für die Stabilisierung der Konjunktur und damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen am Standort Deutschland, so die Begründung von Union und SPD. Die Maßnahme begleite den Strukturwandel in der Automobilindustrie und wirke zugleich dem Trend entgegen, dass Altfahrzeuge heute im Schnitt zwei Jahre länger gefahren würden als noch 1990. "Die Entlastungswirkungen betragen insgesamt 570 Millionen Euro und setzen damit auch quantitativ einen signifikanten Impuls", heißt es weiter. Es werde davon ausgegangen, dass durch den Steuererlass die Zahl der Neuzulassungen stabilisiert werden könne.
Außerdem will die Koalition die degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter für zwei Jahre wieder einführen. "Die degressive Abschreibung fördert die schnellere Refinanzierung. Ihre Bedeutung ist in der Finanzkrise noch gewachsen, weil andere Finanzierungsquellen schwieriger zu erschließen sind", heißt es im Entwurf. Die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungsarbeiten soll ausgeweitet werden. Der Steuerbonus werde vom kommenden Jahr an von zehn auf 20 Prozent von 6.000 Euro verdoppelt, schreiben die Fraktionen. Bereits im Oktober waren im Bereich Steuern und Sozialversicherungsausgaben und für Familien Entlastungen von 6 Milliarden Euro für das kommende Jahr beschlossen worden.
Die Opposition bezweifelte, dass diese Maßnahmen ausreichen. Die FDP legte jetzt ein "Anti-Rezessionsprogramm" ( 16/10867) von 26 Milliarden Euro vor. Unter anderem sollen der Gesundheitsfonds gestoppt und die alte Pendlerpauschale wieder eingeführt werden.
Auch die EU-Kommission überlegt, ein Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro aufzulegen. Die Koalition zeigt sich davon wenig begeistert: "Wir werden nicht das Geld der deutschen Steuerzahler investieren, um in Europa Luftschlösser zu bauen", so der CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter. Carsten Schneider, Haushaltsexperte der SPD-Fraktion, warnte vor der Annahme, der Staat könne überall helfen: "Das wird in die Hose gehen." Doch auf nationaler Ebene könnten zusätzliche Maßnahmen notwendig werden. So könnte der Autokonzern Opel eine Bürgschaft in Höhe von 1,8 Milliarden Euro gebrauchen. In Berlin wurden hektische Gespräche geführt. Kanzlerin Angela Merkel traf sich mit der Opel-Führung, Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier mit Betriebsräten deutscher Autokonzerne. Beschlossen ist noch nichts.
Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz fürchtet, dass wie bei einer Grippe auch andere Branchen betroffen werden: "Eine solche Rezession, in die Deutschland jetzt hineinschliddert, frisst sich durch das System durch." Inzwischen kranken nicht nur Zulieferer der Autohersteller, sondern auch die Chemieindustrie. Eine gute Nachricht gibt es in der Krise dann aber doch: Öl und Benzin sind so billig wie seit drei Jahren nicht mehr.