Aus der Ökonomie wissen wir, dass das Gesetz der Knappheit regiert. Das gilt für die Märkte im Allgemeinen und für uns, die wir am Marktgeschehen erfolgreich teilnehmen wollen, im Speziellen. Das Wissen, um vor diesem Hintergrund klug handeln und gut bestehen zu können, erwerben wir durch Lernen. 1 Auf diese Weise verbessern wir unsere Fähigkeit, am Markt erfolgreich zu sein. Der Schluss, dass Lernen eines der wichtigsten Instrumente des Marktes ist und dort besonders trainiert wird, liegt nahe. Aber das stimmt so einfach gesehen nicht. Manche lernen nicht für ihren zukünftigen Beruf, und manche verweigern sogar das Lernen in der Schule. Wie ist das möglich? Wie passt das zu dem oben gesagten?
Es muss differenziert werden: Es gibt das Lernen in der Familie, im Freundeskreis, in allerlei Gruppen, im Sport, in der Kulturpflege, in der Politik - überall wird gelernt. Es wird jedoch eher vom "Kennenlernen" gesprochen, wenn man sich in neue Kreise begibt und neue Leute und neue Verhaltensweisen kennenlernt. Pädagogen bezeichnen alle diese Prozesse als selbstgesteuertes Lernen. Das Lernen am Markt ist demgegenüber nüchterner und ein eher instrumenteller Prozess. Der Markt scheint tatsächlich permanent dazu aufzufordern, sich ständig zu verbessern. Da Aufgaben von außen gestellt werden, ist hier von fremdgesteuertem Lernen die Rede. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass sich im nichtmarktlichen Bereich auch diejenigen entfalten können, die nicht besonders lernfähig und lernbegabt sind. 2 Ganz anders am Markt: Wer dort nicht gut lernt - also das fremdgesteuerte Lernen nicht beherrscht -, wird auch nicht gut behandelt; es gibt auch niemanden, der den schlecht Lernenden auf dem Weg des Erfolges und der üppigen Ressourcenzuteilung mitnimmt. Wer schlecht lernt, bleibt am Markt auf der Strecke. Besonders benachteiligt ist, wer das Etikett "ungelernter Arbeiter" trägt; wer davon betroffen ist, steht häufig als Arbeitsloser außerhalb des Marktes und ist auch langfristig auf staatliche Unterstützung angewiesen. Der Markt ist von einer deprimierenden Härte; er verlangt von uns ein intensives und beherrschtes Lernen, oder er nimmt uns erst gar nicht an.
Zum Glück ist das selbstgesteuerte Lernen ein menschliches Grundbedürfnis: Lernen ist etwas Natürliches und Schönes. Angeboren ist jedoch nur der Antrieb zum Lernen, nicht die Fähigkeit zur langsamen und zähen Aneignung von Wissen im Prozess des fremdgesteuerten Lernens. Auf der ersten Stufe des Lernens fliegt einem noch vieles von selbst zu. Die nächsten Stufen, auf denen Disziplin und Vertiefung gefragt sind, sind weniger beliebt - weswegen viele in dieser Phase ihre Lernbemühungen aufgeben: Wenn das Spielerische aufhört und das fremdgesteuerte Lernen beginnt, geben viele auf.
(1) Für alle nichtmarktlichen Begegnungen genügt die Stufe des selbstgesteuerten Lernens - das können alle erleben, in der Familie, unter Freunden, im Verein - oder auch alleine im spielerischen Umgang mit dem Computer.
(2) Für die Teilnahme am Markt ist diese spielerische Neugier des Lernens nicht mehr ausreichend - obwohl sie auch erforderlich ist und selbstverständlich vorausgesetzt werden darf.
Nur wer auch das fremdgesteuerte Lernen beherrscht, ist am Markt erfolgreich. Diese Fähigkeit muss durch systematische und gewissenhafte Arbeit erworben werden. Es hilft dem in die Welt des Marktes vordringenden Menschen nicht, wenn man ihm sagt: "Lernen ist ein menschliches Grundbedürfnis - Du wirst schon von selbst und ganz aus Dir heraus den Weg zur Teilhabe am Marktgeschehen finden." Was er vielmehr kennenlernen wird, ist vor allem die Not des Lernens. Er bedarf der Hilfe von außen, Hilfe durch Erziehung und Training.
Wie groß die Hemmschwelle zum fremdgesteuerten Lernen sein kann, belegt ein Interview mit dem Wirtschaftsprüfer Philipp Grossmann, welches in der "Zeit" vom 6. März 2008 erschien: "Sie beraten als Manager im Rahmen des Projekts "Partners in Leadership" ehrenamtlich Schulen. Was genau machen Sie da? Alle zwei bis vier Wochen habe ich mich mit der Direktorin der Herbert Hoover Realschule in Berlin-Wedding getroffen. Dort haben 93 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund. Gewalt ist genauso ein Problem wie mangelnde Lernbereitschaft. Wir haben gemeinsam überlegt, wie man die Situation verbessern könnte. Um mir ein besseres Urteil bilden zu können, habe ich mich zu Beginn der Zusammenarbeit in den Ethikunterricht gesetzt und die Schüler beobachtet. Das war erschreckend. Warum? Der Unterricht hat die Kinder überhaupt nicht interessiert. Ein Grund dafür ist, dass die meisten glauben, sie haben ohnehin keine berufliche Perspektive und werden Hartz-IV-Empfänger. Einen Vorwurf kann man ihnen aber nicht machen: Fast alle kommen aus Familien, in denen noch nie jemand einen richtigen Beruf hatte. Und in den letzten Jahren hat kein einziger Absolvent dieser Schule eine Lehrstelle gefunden. Ihr Lösungsvorschlag? Zusammen mit 20 Kollegen wollte ich im vergangenen Sommer die 20 Besten der Abschlussklasse an die Hand nehmen und coachen. Leider waren zehn der ausgewählten Schüler lieber in den Urlaub gefahren; neun andere sind nicht zum verabredeten Termin erschienen. Ein Mädchen konnte ich als Zahnarzthelferin vermitteln. Trotzdem ist die Bilanz katastrophal."
Bei der Mehrzahl dieser Schülerinnen und Schüler konnte offensichtlich die Idee, dass systematisches Lernen nützlich für sie sein könnte, erst gar nicht "eingepflanzt" werden. Kein Wunder, dass sich niemand für die Vorstellung erwärmen konnte, dass Lernen für den Beruf nützlich sein könnte. Die jungen Leute aus der Realschule Berlin-Wedding können in Freundschaftszirkeln, in Gangs und Vereinen und natürlich auch bei politischen Demonstrationen lautstark und vernehmlich auftreten - sie glauben mitunter sogar, dass sie persönlich sehr gut seien und daher auch einen entsprechenden Platz in der Gesellschaft verdienten. In einer Gesellschaftsordnung, in der das Einkommen durch die Teilhabe am Marktgeschehen bestimmt wird, werden sie keine Chance haben.
Nun sind ungelernte jugendliche Arbeitslose eine Minderheit in unserem Staat - eine Minderheit, die nicht von selbst kleiner wird. Im Gegenteil, sie bleibt mindestens eine Generation lang erhalten, und wenn es ein Phänomen der Schule ist, nicht verhindern zu können, dass viele Menschen im Jugendalter das fremdgesteuerte Lernen nicht erlernen, dann wird ihre Zahl ständig größer. Dieser Zustand darf daher nicht tatenlos hingenommen werden.
Zurück zum Ausgangspunkt: Fast alle Jugendlichen lernen, sich spielerisch in die Welt hineinzubewegen, aber manche von ihnen lernen in der Schule nicht das fremdgesteuerte Lernen, wie es zum Gelingen des Schulunterrichts nun einmal dazugehört. Diejenigen, die das nicht können, werden später auch nicht in der Lage sein, für einen Beruf zu lernen: So entsteht eine wachsende Anzahl von ungelernten Arbeitslosen. Wer hier weiterkommen will, kann eigentlich nur zwei Wege einschlagen. Der eine besteht darin, die Schulausbildung so zu ändern, dass sie den Zwecken eines zukünftigen Berufslebens besser dient als bisher. Der andere beruht auf der Annahme, dass für eine Besetzung eines Arbeitsplatzes eine vorherige geglückte Schulausbildung nicht so wichtig ist, wie das gemeinhin angenommen wird.
Schauen wir uns zunächst den zweiten Weg an. Unternehmer, die bereit wären, ihn zu gehen, müssten auch Jugendliche ohne geglückten Schulabschluss einstellen. In unserem Sinn sind das Schülerinnen und Schüler, die das neugierige Lernen der ersten Stufe, aber nicht das systematische Lernen der zweiten Stufe gelernt haben. Also müssten die Unternehmer diese Schüler anders behandeln als Jugendliche mit ordentlichem Schulabschluss. Sie brauchen eine andere Betreuung und eine zusätzliche Förderung im Betrieb. Gewiss gibt es schon jetzt Unternehmer, die das praktizieren; da es aber offenbar nicht genügend von ihrer Sorte gibt - und das scheint angesichts der wachsenden Zahl arbeitsloser ungelernter Jugendlicher der Fall zu sein -, dann muss die Gesellschaft etwas unternehmen: Die Förderung von Jugendlichen ohne Schulabschluss könnte zu einem neuen arbeitsmarktpolitischen Instrument werden.
Zwischen Schulabschluss und Berufsbeginn befinden sich viele Jugendliche in einer Ausbildung, die durch öffentliche Finanzmittel gefördert wird. Unter der Bezeichnung Berufskolleg hat sich ein breites Spektrum von Fördermaßnahmen durchgesetzt, das im ganzen Bundesgebiet - wenn auch mit länderspezifischen Unterschieden - mittlerweile etabliert ist. Fast überall geht es darum, Jugendlichen, deren Schulpflicht beendet ist und die zur Zeit keinen Ausbildungsplatz in einem Unternehmen haben, neue oder abermalige Chancen des Lernens zu bieten. In Nordrhein-Westfallen sind beispielsweise Ende der 1990er Jahre diese Berufskollegs aus den berufsbildenden Schulen und den Kollegschulen hervorgegangen. Das Prinzip der Ausbildung in den Berufskollegs ist die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Eine für die zukünftige Qualifikation im Beruf spezifische Form ist die Einrichtung von "Berufsvorbereitenden Klassen" 3 mit dem Ziel, den Jugendlichen zu ermöglichen, den Hauptschulabschluss nachzuholen. Die Klassen sind nach Berufsfeldern ausgerichtet. Am Ende der Ausbildung soll eine Vermittlung auf einen qualifizierten Arbeitsplatz in einem Unternehmen stehen, was zuvor wegen mangelnder Qualifikation des jugendlichen Bewerbers misslungen oder erst gar nicht zustande gekommen wäre.
Schulen, die auf diesem Weg erfolgreich sind, tragen wesentlich zur Erhöhung der Bildungsgerechtigkeit bei. Viele arbeitslose Jugendliche werden dabei auch von gemeinnützigen privaten Trägern betreut, die dafür öffentliche Fördermittel erhalten (ca. 800 bis 1000 Euro pro Person und Monat). In vielen Fällen arbeiten wiederum die Lehrer aus den berufsvorbereitenden Klassen mit diesen Institutionen mit dem Ziel zusammen, die qualifizierende Lernphase für den zukünftigen Berufseinstieg zu optimieren. Auch wenn in dieser gesamten Lernphase die Unternehmen noch gar nicht eingeschaltet sind, so wird doch, wie bei der späteren Berufsausbildung in Unternehmen, ein duales Ausbildungs- und Förderungssystem aufgebaut. Das Ganze ist also eine geglückte Verzahnung mit der späteren dualen Berufsausbildung, deren grundsätzliche Ausrichtung ja immer noch als mustergültig anerkannt wird.
Was dagegen den ersten Weg angeht, so ließe sich die Schulausbildung aufspalten und neben dem normalen Unterricht eine Förderstufe mit reduziertem Fachprogramm einrichten. Es liegt jedoch auf der Hand, dass dieser Weg für die Gesellschaft sehr teuer wäre, weil er eine zusätzliche Anzahl vieler besonders qualifizierter Lehrer erfordern würde. Aber es lohnt sich darüber nachzudenken, ob hier nicht auch andere Wege helfen könnten, etwa private Patenschaften durch Senioren. Während bisher nur von der Not und den Beschwerden des Lernens die Rede war, gilt es nun, von den Vorteilen - ja, sogar von der Leidenschaft des Lernens zu sprechen. Und genau darin liegt das große und bisher nicht ausgeschöpfte Potential für das Anliegen, die Jugendarbeitslosigkeit zu verringern.
Ein starker Verbündeter des oder der jungen Lernenden ist der Wissensdurst. Schon in der Phase des selbstgesteuerten Lernens ist die Neugier die treibende Kraft. Später, beim fremdgesteuerten Lernen - wenn wir uns zum Beispiel eine Fremdsprache aneignen - kennen wir eine weitere starke Antriebskraft: die wachsende Befriedigung, die sich einstellt, wenn die Kenntnis der und die Gewandtheit im Umgang mit der neuen Sprache zunehmen. Doch obwohl wir wissen, dass wir für das Lernen belohnt werden, müssen wir uns immer wieder überwinden, heranzugehen. Selbst bei einfachen Gesellschaftsspielen ist es notwendig, erst die Regeln zu lernen und einige Routine zu gewinnen, bevor man Spaß mit ihnen haben kann. Wer sich sicher auf dem Terrain eines Spieles bewegen kann, der wird das Spiel mehr und mehr genießen; oder wer eine fremde Sprache so gut beherrscht, dass er schließlich geschickt mitdiskutieren kann, der erwirbt eine hohe Freude daran, sich in dieser Sprache mit anderen auszutauschen. Wer schließlich Meisterschaft in einem Spiel erlangt, der verfällt dem Spiel nicht selten mit Leidenschaft; fast alle großen Meister sind von einer tiefen Leidenschaft besessen. Erst Genuss und später sogar Leidenschaft sind also die Triebkräfte des Lernens - und zwar gerade dieses späteren, systematischen Lernens.
Jede pädagogisch-erzieherische Arbeit macht sich diese Erfahrung zunutze, indem sie den Unterricht so auf die Lernfächer aufteilt, dass in einigen Fächern schon die Phase des genussvollen Kennenlernens beginnt, während in anderen Fächern noch die Phase des mühevollen und lästigen Aufstiegs anhält. Eine ausgewogene Verteilung von Sich-Mühen und Genießen, von Last und Lust bringt erst den richtigen Schulerfolg. Ganzheitlich gesehen sollte auch in der Phase des systematischen Lernens im Schulunterricht das Erlebnis des Genießens überwiegen. Kein Schüler sollte auf der Anfangsstufe des systematischen Lernens verharren, einer Stufe also, wo Last und Verdruss beim Lernen noch überwiegen. Wer auf der Schulbank fast nur diese Erfahrung gemacht hat, droht am Ende nichts weiter erworben zu haben als eine tiefe Abneigung gegen die Schule.
Wie aber kann ungelernten jugendlichen Arbeitslosen in unserer Gesellschaft nun geholfen werden? Zunächst ist festzustellen, dass Jugendliche, die ihre Schule ohne erfolgreichen Schulabschluss verlassen haben, im Schulunterricht und bei ihrem individuellen Lernen gescheitert sind. Aber es ist nicht nur zu beklagen, dass kein positives Zeugnis für sie von ihrer Schule ausgeteilt werden konnte, was sowohl für ihr persönliches Selbstwertgefühl als auch für ihre Chancen in Bewerbungsverfahren von erheblicher Relevanz ist. Vielleicht ebenso groß ist ein weiterer Schaden: Diese jungen Menschen haben fremdgesteuertes Lernen hauptsächlich als etwas Leidvolles, Belastendes und Beschwerendes erfahren. Dass es Genuss oder sogar Leidenschaft dabei geben kann, ist ihnen vollkommen fremd geblieben. Wie sollen sie ohne zusätzliche Hilfe mit den systematischen Lernanforderungen des beruflichen Lebens zurechtkommen? Wie sollen die künftigen Arbeitgeber zuversichtlich reagieren, wenn sie Einstellungsgespräche mit diesen jungen Menschen führen? Wie sich im zitierten Interview mit Philipp Grossmann gezeigt hat, kommt es vielfach gar nicht mehr dazu, geschweige denn zu einem Arbeitsvertrag. Wir haben das volle Elend der Jugendarbeitslosigkeit vor Augen, und wir müssen erkennen, dass dies nicht nur ein gesellschaftlicher Mangel ist, weil der Staat Transferleistungen in Form von Arbeitslosengeld II zahlen muss, sondern dass es auch ein bitteres persönliches Elend für die Jugendlichen selbst ist. Zum einen sind sie um die Erfahrung der Freude des Lernens betrogen - ein Betrug, der nicht nur für die kurze Phase des jugendlich-schulischen Lernens gilt, sondern auch die lange Phase des beruflichen Lebens betreffen kann. Zum anderen wird es ihnen verweigert oder erschwert, einen Platz in der Berufswelt und damit Anerkennung in der Gesellschaft zu finden.
Wie oben erwähnt, sehen wir prinzipiell zwei Wege, dem Problem der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen ohne Schulabschluss zu begegnen:
(1) Die Schule vermittelt durch Förderkurse doch noch den richtigen Weg zum erfolgreichen Schulabschluss.
(2) Im Betrieb und in berufsbildenden Schulen (Berufskollegs) wird nachgeholt, was an Voraussetzungen fehlt, um am beruflichen Lernen aussichtsreich teilnehmen zu können.
Den ersten Weg gibt es sicherlich an manchen Schulen, 4 aber die hohe Zahl von Jugendlichen mit Schulabgang ohne geglücktes Abschlusszeugnis (2006 waren es 90 000) beweist, dass noch viel zu tun ist. Die Einrichtung der Berufskollegs und die mit ihnen gebotene Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen, bedeuten immerhin einen Schritt in die richtige Richtung.
Der zweite Weg ist die Nachbesserung in den Betrieben. Mit dem Start in die Berufskarriere beginnt für die Jugendlichen auch ein neuer Ausbildungsgang. Ein solcher Neubeginn bietet immer auch die Chance zu neuem Verhalten. Die Unternehmer, die Jugendliche ohne gelungene Schulausbildung zur Arbeit erziehen sollen, werden meist vor dem selben Problem stehen, wie die Lehrer. Den Schülern mangelt es an Aufmerksamkeit, Disziplin, Pünktlichkeit und Durchhaltevermögen. Doch während es in der Schule gewohnte Verweigerung gegenüber allen diesen Dingen war, wäre es im Berufsstart eine neue Verweigerung, die aber noch nicht zur Gewohnheit geworden ist. Hier liegt die Chance für den Arbeitgeber, den Jugendlichen einen Vertrauensvorschuss zu geben, gewissermaßen die Hand zur Zusammenarbeit auszustrecken. Das bedeutet für den Arbeitgeber allerdings eine erhebliche Anstrengung; er muss sich beispielsweise dessen bewusst sein, dass er insbesondere am Anfang weniger fordern darf, und dass er mehr Fehler hinnehmen muss, als üblicherweise geduldet werden kann. Deshalb wird es auch vor allem zu Beginn zwangsläufig dazu kommen, dass die Kosten für ihn höher sind als der Ertrag aus dieser zusätzlichen Arbeitskraft. All dieses dürfte sich negativ auf die Motivation der Arbeitgeber auswirken, Jugendliche ohne Schulabschluss einzustellen.
Damit das nicht passiert und weil die Arbeitgeber, die lernunerfahrene Lehrlinge einstellen, im Wettbewerb mit Arbeitgebern stehen, die solche Jugendliche nicht ausbilden, müssen sie Unterstützung für die erste Phase der Ausbildung bekommen. Im Gegensatz zu der in der Arbeitsmarktpolitik vielfach vertretenen Ansicht, man müsse eine Ausbildungszwangsabgabe einführen, kommen wir deshalb zur Forderung, in einem begrenzten Zeitraum eine Ausbildungsförderung einzusetzen. 5 Das ist keineswegs eine willkürliche Umkehrung der kursierenden Idee einer Ausbildungszwangsabgabe, sondern gut begründet: Erstens ist hier an einen viel kleineren Kreis von förderungswürdigen Arbeitgebern gedacht worden - an diejenigen nämlich, die diese Jugendlichen einstellen -, zweitens bekämen sie die Förderung nur deshalb, weil sie eine besondere Verantwortung übernehmen, und drittens würden sie die Förderung als Gegenleistung für ein "öffentliches Gut" erhalten, das sie der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Das "öffentliche Gut" wäre in diesem Fall, dass es weniger arbeitslose Jugendliche ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz gäbe. Wenn und solange wir keine anderen Einrichtungen haben, in denen diese jungen Menschen eine Anleitung zum fremdgesteuerten Lernen und zum Ausüben eines Berufes bekommen, sind sie dauerhaft arbeitslos und vermehren die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Bei einer Ausbildung im Unternehmen könnte das ersparte Arbeitslosengeld II getrost an den Arbeitgeber weitergereicht werden. Für die Gesellschaft bliebe trotzdem ein Nutzenüberschuss, denn für einen Langzeitarbeitslosen müsste sie dauerhaft Arbeitslosengeld II zahlen, für die Förderung im Unternehmen nur eine Zahlung für die limitierte Zeit der Ausbildung. Viel tiefer als die vordergründigen ökonomischen Überlegungen reicht jedoch das Argument, dass junge Menschen auf diese Weise aus dem Leid der Arbeitslosigkeit herausgeführt werden könnten. Unternehmern, denen dies mit staatlicher Hilfe gelänge, würden so zur Erhöhung der Bildungsgerechtigkeit beitragen.
Gegenüber dem Lernen in der Schule hat das nachgeholte Lernen im Unternehmen für die betroffenen Jugendlichen noch einen weiteren Vorteil. Im Beruf kann gezielt im Hinblick auf die jeweilige Tätigkeit gelehrt werden. Ein zukünftiger Maler und Anstreicher braucht zum Beispiel kein Physikunterricht, ein zukünftiger Elektriker aber sehr wohl. Das Ziel des Lernens im Betrieb ist zwar auch ein allgemein pädagogisches, aber im Besonderen dient es der Verhinderung des Entstehens von Langzeitarbeitslosigkeit. Um aus jugendlichen Langzeitarbeitslosen erfolgreiche Lehrlinge und Gesellen zu machen, ist ein Lernen gefordert, das zugleich die Fähigkeit herausbildet, in eine spezifische Berufsausbildung und den entsprechenden Beruf zu gelangen.
Es besteht allerdings die Gefahr, dass es Unternehmer geben wird, die sich als schlechte Ausbilder erweisen; denn selbst bei der Annahme, dass nur diejenigen sich eine solche Aufgabe zutrauen und zumuten, die ein gewisses Maß an pädagogischer Begabung haben - was bei einem Transfer von finanzieller Förderung nicht unbesehen vorausgesetzt werden kann -, kann sich die erzieherische und didaktische Herausforderung als zu groß erweisen. Ein kostenloses Coaching der betreffenden Unternehmer sollte deshalb von vornherein mit eingeplant sein. Die Unternehmer an sich sollten ja daran interessiert sein, das Ausbildungsprogramm so mitzubestimmen, dass die Jugendlichen letztlich dazu in der Lage sind, durch ihre Arbeitsleistung nach Ablauf der Förderung mindestens soviel Ertrag zu bringen, wie sie Kosten verursachen (Lohn und Lohnnebenkosten). Der Anreiz und das Ziel sind kompatibel, aber eine Garantie, dass die Rechnung aufgeht, gibt es nicht - weder für den Unternehmer, noch für die fördernde Arbeitsagentur. Ein zu 100 Prozent positiv wirkendes Instrument der Arbeitsmarktpolitik ist unser Vorschlag also nicht. Aber aus diesem Grund von der Idee Abstand zu nehmen und sie seitens der Politik nicht einmal prüfen zu lassen, wäre angesichts der Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit für viele Jugendliche (und spätere Erwachsene) nicht akzeptabel.
1 "Lernen" so
heißt es in einem pädagogischen Lehrbuch, "ist im Leben
jedes Menschen ein allgegenwärtiger Prozess, der manchmal
bewusst und gezielt, oft aber auch beiläufig abläuft." A.
Krapp/B. Weidenmann (Hrsg.), Pädagogische Psychologie,
Weinheim 1994.
2 Gewiss, es gibt auch im
nichtmarktlichen Leben Kreise, in die man ohne besondere
Fähigkeiten, die nur mit Ausdauer und Fleiß zu erwerben
sind, nicht aufgenommen wird (z.B. Musikgruppen). Doch gibt es - im
Gegensatz zum Leben am Markt - zahlreiche Ersatzmöglichkeiten
zur sozialen Einbindung.
3 Genauer: "Klassen mit
Schülerinnen und Schülern ohne
Ausbildungsverhältnis".
4 Dazu ist in der Tat in der
jüngsten Zeit Neues erdacht und stellenweise auch schon
erprobt worden (siehe zum Beispiel einige Maßnahmen des
Bundeslandes Hessen).
5 In einer Stellungnahme zum
"Ausbildungsbonus", den CDU und SPD gemeinsam befürworten,
wandten sich ausgerechnet die jungen Unternehmer gegen den Bonus:
nicht generell, aber in der von der Koalition vorgeschlagenen Form.
Sie meinten, dass mit diesem Bonus das Bild eines Unternehmers
gezeichnet werde, "der nur ausbildet, wenn er dafür Geld
bekommt". Der hier vorgeschlagene Bonus ist freilich anders
konstruiert, weil er nur diejenigen Unternehmer belohnt, die eine
besonders hohe Bürde mit dieser Ausbildung auf sich nehmen.
Auch Die Linke wandte sich gegen den von der Koalition konzipierten
Ausbildungsbonus mit dem Argument, "das würde nur zur
Rosinenpickerei führen". Der von uns vorgeschlagene
Ausbildungsbonus führt dagegen zum Gegenteil, denn nur wer die
"Nicht-Rosinen" nimmt, wird belohnt.