Hat sich die FDP auf ihrem Parteitag neu positioniert?
Das, was in München passiert ist, würde ich als Teil der Lockerungsübungen im deutschen Parteiensystem bezeichnen. Alle Akteure versuchen, sich im Fünf-Parteien-System einzuordnen. Es ist die Erweiterung von Koalitionsoptionen. Die FDP muss sich, auch wenn Westerwelle das immer geißelt, in einem sozialdemokratisierten Umfeld einrichten. Dass ein Begriff wie "Nächstenliebe" in einer FDP-Parteitagsrede vorkommt, ist doch eher ungewöhnlich.
Macht sich die FDP hübsch für die SPD?
Sie macht sich attraktiv als Regierungspartei. Die FDP ist seit Gründung der Bundesrepublik eine Art geborene Regierungspartei. Sie leidet mehr als andere unter dem, was Müntefering mal als "Opposition ist Mist" bezeichnet hat. Ihr legitimes Ziel ist es deshalb, sich Optionen nicht nur zur Sozialdemokratie, sondern auch zu einer Union offenzuhalten, die neoliberalen Anwandlungen abgeschworen hat.
Die Liberalen haben wieder einen Fokus auf die Mittelschicht gelegt. Wählen wollen sie derzeit allerdings nur 13 Prozent...
Der Anspruch, Partei der Mitte zu sein, ist zunächst einmal ein politisch-rhetorischer. Politisch-strategisch ist dabei die Betonung "Wir sind Partei der Leistungsträger in der Mitte der Gesellschaft" nicht ganz unwichtig, da abzusehen ist, dass die nächsten Wahlkämpfe ideologisierte Lagerwahlkämpfe zwischen links und rechts zu werden scheinen. Da versucht sich die FDP als das vermeintlich vermittelnde, bürgerliche Element in der Mitte zu profilieren.
Sind die "Lockerungsübungen" erfolgreich?
Sozialstrukturell hat sich die FDP in den vergangenen Jahren eher verengt. Eine Partei, deutlich über zehn Prozent zu werden, ist program- matisch nicht so vorbereitet worden, dass man davon ausgehen könnte, über eine bestimmte liberale Kernwählerschaft hinaus, Wähler zu rekrutieren. Es fehlen zum Beispiel die Personifizierungen der FDP als Rechtsstaatspartei und als Partei der sozialen Verantwortung. Von der jüngeren Generation wird dieses programmatische Vakuum gesehen. Deshalb fordert sie eine breitere Positionierung.
Ist eine sozial-liberale Koalition 2009 möglich?
Wir erleben eine Situation, wo fast alle Parteien sich durch schon fast fundamentalistische Festlegungen in eine Position bringen, dass sie bei einem Fünf-Parteien-System nach der Wahl automatisch in eine Glaubwürdigkeitskrise kommen. Je stärker ich mich vorher festlege und Optionen ausschließe, desto unglaubwürdiger werde ich nach der Wahl: Eine exklusive Ausrichtung auf eine Seite macht in einem Fünf-Parteien-System handlungsimmobil. Ein ganz fatales Problem. Hier wird in der Breite Politikverdrossenheit produziert.
Das Interview führte
Sebastian Hille.