ITALIEN
Berlusconi wegen seines Regierungsstils in der Kritik
Einen ungewöhnlichen Leserbrief erhielt die Turiner Zeitung "La Stampa" vor wenigen Tagen. 50 Zeilen schrieb Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano an deren Chefredakteur - doch die waren weit mehr als ein einfacher Leserbrief eines prominenten Politikers; vielmehr waren sie ein Warnschuss an den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Der, so argwöhnt Napolitano, regiert am Parlament vorbei.
Allzu oft, so glaubt der Staatspräsident, greife Berlusconi auf die Möglichkeit zurück, mit seinen Ministern Notverordnungen zu beschließen, um seine Ideen nicht den Mühlen des parlamentarischen Spiels aussetzen zu müssen. Berlusconi hat aus einer Ausnahme eine Regel gemacht: "In außergewöhnlichen Fällen von größter Notwendig- und Dringlichkeit", so zitierte Napolitano das Gesetz, könne eine Regierung "vorläufige Verordnungen mit Gesetzeskraft" verabschieden, welche das Parlament innerhalb von 60 Tagen bestätigen müsste. Doch Silvio Berlusconis Regierung hat bereits 16 solcher Verordnungen verabschiedet, vom Müll in Neapel bis zum dreijährigen Haushaltsplan. Auch wenn selbst sein Vorgänger Romano Prodi elf Notverordnungen verabschiedete - Berlusconi folgt einem System. Es heißt: "Democrazia decidente" - "Die Demokratie, die entscheidet."
"Das ist die einzige Möglichkeit, angesichts dieses langsamen Systems", verteidigt sich der Ministerpräsident durchaus mit Recht. Denn in Italien müssen, egal bei welchem Gesetz, beide Kammern des Parlaments zustimmen.
Berlusconi, ganz dem "Machen" verschrieben, hält dies für Zeitverschwendung. Deshalb stellt er häufig die Vertrauensfrage - sie kürzen die Debatte eben ab. Das Wahlvolk nimmt ihm das nicht übel. Im Gegenteil: Von der politischen Lähmung, die das Bild Italiens unter der Regierung Prodi prägte, ist keine Rede mehr. Endlich, so ist vielerorts zu vernehmen, bewegt sich das Land wieder.
Doch Giorgio Napolitano will es lieber langsamer und dafür demokratischer: "Ich werde weiter meine mir von der Verfassung gegebenen Aufgaben erfüllen", schrieb er in "La Stampa". Soll heißen: Er könnte sich auch mal weigern, eine Notverordnung Berlusconis zu unterschreiben.
Wenn Napolitano auch kein Gegenspieler Berlusconis ist - ein Gegenpol ist er allemal. Der 83-jährige Staatspräsident steht für jene Seriosität, die dem Ministerpräsidenten abgeht. Deshalb ließ er es nicht bei einem Leserbrief bewenden, sondern lud Berlusconi zur Besprechung ein.
Berlusconi, so schrieb danach eine Nachrichtenagentur, habe dem Staatspräsidenten versichert, er zweifle die Rolle des Parlaments nicht an: "Der Staatspräsident war zufrieden mit dieser Klarstellung." Fragt sich nur, wie lange.