erbschaftsteuer
Bisheriges Bewertungschaos muss neu geregelt werden. Jetzt fehlt nur noch ein Gesetz
Hätte Ludwig Ott in den dreißiger Jahren ein anderes Testament gemacht, oder am besten gar keines, wären seine Nachkommen heute wahrscheinlich wohlhabende Leute und viele Tränen nie geflossen. Aber der angesehene Unternehmer aus Kempten im Allgäu wollte alles ganz genau geregelt wissen. Nur männliche Mitglieder der Familie durften erben. Dass sein Sohn mit 38 Jahren kinderlos sterben und seine Tochter vier Mädchen gebären würde, konnte er nicht ahnen. So ging seine Firma an den Adoptivsohn des Bruders. Die leibliche Tochter und die Enkelinnen des Unternehmers gingen leer aus - und ärgerten sich jahrzehntelang über diese Ungerechtigkeit.
Erben und Gerechtigkeit - über kaum ein Thema hat die Große Koalition in den vergangenen Monaten derart erbittert gestritten wie über dieses. Dabei stehen sich zwei Auffassungen unvereinbar gegenüber.
Für die einen ist ein Erbe vor allem eines: Leistungsloses Einkommen, das den einen zufällt, weil sie in einer wohlhabenden Familie auf die Welt kamen. Oder weil sie das Glück haben, im Testament großzügig bedacht zu werden, wie der adoptierte Neffe des verstorbenen Ludwig Ott. Die Erbschaftsteuer soll, nach dieser Auffassung, die Benachteiligung all derer ausgleichen, die nichts erben und sich ihren Wohlstand mit eigenen Händen erarbeiten müssen. Zumal sie ihr Arbeitseinkommen versteuern müssen, während der Erbe vom Zugriff des Fiskus in den meisten Fällen verschont bleibt.
Für die anderen ist Erben vor allem Privatsache: Hart erarbeitetes Vermögen wird von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Der Staat hat sich, dieser Interpretation zufolge, möglichst heraus zu halten, denn das Erbe entsteht in der Regel aus Arbeitseinkommen oder Kapitalerträgen. Beides wurde bereits in der Vergangenheit versteuert.
Bisher regelt dieses Streitthema ein höchst kompliziertes Gesetz. Es gibt unter den Erben drei Steuerklassen: Klasse eins sind Ehegatten, Kinder und Enkel, Klasse zwei die Eltern, Großeltern, Geschwister, Neffen und Nichten, Klasse drei alle übrigen. Für die Erben gelten unterschiedliche Freibeträge. Diese sind umso höher, je näher sie dem Verstorbenen standen. Bei Ehegatten sind es 307.000 Euro, bei Kindern 205.000 Euro, bei Enkeln 51.200 Euro. Der unverheiratete Lebenspartner hat nur noch einen Freibetrag von 5.200 Euro.
Auch die Steuersätze variieren nach Verwandtschaftsgrad und Höhe des Erbes. Den niedrigsten Satz von sieben Prozent zahlt der Ehegatte bei einem Erbe bis 52.000 Euro. Der Spitzensatz von 50 Prozent wird fällig, wenn ein Erbe von über 25 Millionen Euro an Freunde oder das berühmte Tierheim geht.
Noch komplizierter wird das Verfahren dadurch, dass die Vermögensarten unterschiedlich zu Buche schlagen: Wer ein Haus oder ein Grundstück erbt, muss seine Steuern nur auf den so genannten Bedarfswert entrichten - der macht rund 60 Prozent des Verkehrswertes aus. Auch Betriebsvermögen wird anders bewertet als privater Besitz. Hier gilt ein Freibetrag von 225.000 Euro.
Um dem Bewertungschaos ein Ende zu setzen, hat das Bundesverfassungsgericht 2006 entschieden: Vererbtes Vermögen muss gleich behandelt werden.
Die Bundesregierung hat daraufhin einen Vorschlag erarbeitet: Immobilien werden höher bewertet als bisher. Zugleich steigen die Freibeträge für Ehepartner auf 500.000 Euro, für Kinder und Enkelkinder auf 400.000 Euro. Die Steuersätze für entfernte Verwandte und Bekannte werden dagegen angehoben. Auch Betriebsvermögen wird höher bewertet als bisher. Dafür kann die Steuerschuld auf 15 Prozent gesenkt werden, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Das Unternehmen muss im Kern zehn Jahre - ursprünglich war von 15 Jahren die Rede - weiter geführt werden und die Gehaltszahlungen dürfen in dieser Zeit nicht unter 70 Prozent des Ausgangswerts fallen.
Bis zum 31. Dezember 2008 muss sich die Regierung auf ein neues Gesetz geeinigt haben - ob danach allerdings die alte Regel weiter gilt oder ob das Gesetz wegfällt, ist umstritten. Diverse Fristen sind bereits verstrichen, zuletzt konnte sich der Koalitionsausschuss am 6. Oktober nicht einigen.
Schuld daran ist die CSU. Die Partei hat auch mit der Erbschaftsteuer einen Wahlkampf betrieben, der im Debakel endete. Jetzt will sie sich mehr denn je als Verfechterin der Unternehmsinteressen in Berlin profilieren. Der neue Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer steht unter Druck, Stärke und Durchsetzungskraft auf Bundesebene zu demonstrieren - schließlich finden 2009 Bundestagswahlen statt.
Die CSU ist nicht grundsätzlich gegen den Vorschlag der Regierung. Sie verlangt nur einige Nachbesserungen: Neben Erleichterungen für Firmenerben soll der Freibetrag für privat geerbte Immobilien und Barvermögen weiter angehoben werden. Die Christsozialen argumentieren mit dem selbst genutzten Haus am Starnberger See, das schnell eine Million Euro und mehr kostet, was bayerische Erben - im Gegensatz zu Erben in anderen Teilen der Republik - benachteilige. Sie fordern, notfalls die Steuer in die Hand der Länder zu geben oder wenigstens länderspezifische Freibeträge für Immobilien einzuführen.
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel weigert sich, der Schwesterpartei weiter entgegen zu kommen. Sie fürchtet, der SPD und der Linken die Steilvorlage für einen Wahlkampf um die "Reichensteuer" zu liefern, wenn sie Erben zu sehr schont. Die soeben wegen der Finanzkrise beschlossene Milliarden-Bürgschaft für die Banken, die im Ernstfall von den Steuerzahlern gestemmt werden müsste, ist ohnehin schon Wasser auf die Mühlen der Linken. Auch der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) ist der Meinung: "Es wäre fatal, wenn ausgerechnet die Union zu verantworten hätte, dass große Einkommen künftig steuerfrei wären."
Die SPD-Linke nämlich fordert bereits "eine deutliche Anhebung" des Erbschaftsteuersatzes. Und SPD-Fraktionsvize Joachim Poß beklagt "immer absurdere Propagandaphrasen" beim Koalitionspartner. Ein Unternehmen, das als Familienbetrieb dauerhaft geführt werde, müsse nach derzeitigen Plänen gerade einmal 15 Prozent des vererbten Betriebsvermögens versteuern. "Diese Fakten werden von der Wirtschafslobby und deren Platzhaltern in der FDP und Teilen der CDU/CSU bewusst ignoriert und stattdessen das Gespenst der Enteignung an die Wand gemalt", kritisiert Poß.
Von den Sorgen der beiden anderen Regierungsparteien unbeeindruckt spielt die CSU auf Zeit: Sie hofft auf den Wegfall des Gesetzes und sieht sich schon nach Alternativen um, wie die jährlich vier Milliarden Euro Einnahmen aus der Erbschaftsteuer kompensiert werden könnten. "Wenn die SPD nicht nachgibt", prognostiziert CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer gar, könnten sich die Verhandlungen der Großen Koalition "noch Wochen" hinziehen.
Ob der Erbe des Unternehmens von Ludwig Ott Erbschaftsteuer bezahlt hat, ist nicht bekannt. Nach der neuen Gesetzeslage hätte er an seinem Erbe womöglich wenig Freude gehabt. Als Adoptivsohn hätte er das Betriebsvermögen mit 30 Prozent des Verkehrswerts versteuern müssen. Wäre die Firma mit 300 Millionen Euro bewertet, würden 90 Millionen Euro Erbschaftsteuer fällig. Da er diese Summe vermutlich nicht auf dem Privatkonto liegen hätte, müsste er Firmenanteile verkaufen. Damit aber würde er doppelt besteuert: Auf den Verkaufserlös müsste er zunächst Einkommensteuern entrichten, mit dem Nettoertrag die Erbschaftsteuer bezahlen. De facto müsste die Hälfte der Firma verkauft werden, um den Fiskus zu bedienen. Und da der Erbe auch wenig unternehmerisches Talent mitbrachte, wäre es ihm wohl kaum gelungen, 10 Jahre lang kein Betriebsvermögen zu verkaufen und keine Angestellten zu entlassen. So nämlich hätte er die Steuerschuld auf 13.500 Euro reduzieren können.
Doch auch diese so genannte Abschmelzungsregel birgt Risiken. "Nehmen wir an, ich sterbe und meine Söhne erben den Betrieb", sagt Thomas Bauer, Vorstandsvorsitzender des Maschinenherstellers Bauer im oberbayrischen Schrobenhausen und Schatzmeister der CSU. "Dann wissen wir doch gar nicht, wie sich die Finanzkrise auf den Absatz von Baumaschinen auswirkt. Vielleicht bricht die Nachfrage um 30 Prozent ein - dann muss ein guter Unternehmer zwangsläufig Leute entlassen, sonst geht er pleite!" Dann aber müssten seine Söhne Erbschaftsteuer in zweistelliger Millionenhöhe nachzahlen und dafür Teile des Familienbetriebs verkaufen - genau das also tun, was die Koalition eigentlich verhindern will.
Bauer weist auch darauf hin, dass sich in der Bauwirtschaft die Zahl der Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren fast halbiert hat. "Für solche Erben hätte die Wahrscheinlichkeit, nach zehn Jahren wegen der Nachzahlung der Erbschaftsteuer pleite zu sein, theoretisch bei 100 Prozent gelegen."
Für gefährlich halten die Unternehmer auch die Neuregelung, Betriebsvermögen künftig nach dem Verkehrswert zu berechnen. Derzeit gilt die sehr viel niedrigere Steuerbilanz als Grundlage. Denn der Verkehrswert sei "volatiler", sagt Bauer. Sein Unternehmen ist seit drei Jahren an der Börse. Die Hälfte der Aktien ist in Familienbesitz. "Nehmen wir an, ich wäre vor drei Wochen gestorben. Da lag der Wert unserer Aktie bei 55 Euro. An diesem Wert hätte sich die Erbschaftsteuer bemessen, die meine Kinder zahlen müssten. Aber vor drei Tagen lag der Wert dann nur noch bei 25 Euro pro Aktie - das Aktienvermögen hat sich also rein rechnerisch mehr als halbiert", rechnet Produzent Bauer vor. "Meine Kinder hätten also 100 Prozent der Bauer-Aktien verkaufen müssen."
Das Problem: Bis der Erbschaftsteuerbescheid im Briefkasten liegt, vergehen oft Wochen oder Monate. Der Wert eines Betriebs steht und fällt aber auch und gerade mit dem Namen des Chefs. Stirbt ein fähiger Unternehmer und ist die Nachfolge vielleicht noch ungewiss, kann der Aktienkurs rasant in den Keller rauschen. Die Kinder, die den Betrieb erben, müssten sich hoch verschulden, um die Erbschaftsteuer bezahlen zu können.
So gesehen hatten die weiblichen Nachkommen der Allgäuer Firma Ott Glück, dass der Kelch des Erbens an ihnen vorbeigezogen ist. Es ist ihnen nicht nur die Chance entgangen, reich zu werden. Sie mussten auch nicht befürchten, wegen des Erbes in Zahlungsnöte zu geraten. Gerecht wäre beides nicht gewesen.