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Die Zahl der von privaten Unternehmen betriebenen Haftanstalten in den USA steigt stetig - trotz teilweise unhaltbarer Zustände
Die Inspektoren trauten ihren Augen kaum, als sie im vergangenen Oktober einen Kontrollbesuch im Jugendgefängnis Coke County in Texas machten. In den Zellen bröckelte der Putz von der Wand, Duschen waren von Schimmel überzogen und der Dreck lag teilweise so hoch auf dem Boden, dass sich die staatlichen Kontrolleure anschließend die Schuhe an der Wiese vor dem Gebäude abwischen mussten. "Es mangelte an medizinischer Versorgung, Hygiene, Sicherheit und Weiterbildungsmöglichkeiten", hieß es im Bericht der Kontrolleure. Für die Betreiber gab es kein Pardon: Der Staat Texas kündigte ihnen wenige Wochen später den Vertrag.
Betrieben wurde das Gefängnis von niemand geringerem als der GEO Group, einem der größten Haftanstalten-Konzerne der USA. Das Unternehmen ist an der New Yorker Börse gelistet, hat 11.000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von zuletzt mehr als einer Milliarde Dollar - Tendenz steigend. Denn die Zahl der Privatgefängnisse in den Vereinigten Staaten wächst schnell. Zur Jahrtausendwende gab es 153 privatisierte Haftanstalten im Land, heute sind es 264. Der GEO-Konzern ist die Nummer Zwei am Markt, nach Branchenprimus Corrections Corporation of America (CCA). Zusammen betreiben die beiden mehr als die Hälfte aller Privatgefängnisse im Land. Sie schließen zusammen rund 120.000 Häftlinge weg - so viele Menschen wie in Ulm oder Offenbach wohnen.
Während in Deutschland momentan die ersten Modellversuche mit privat betriebene Gefängnissen gemacht werden - in der hessischen JVA Hünfeld hat die Privatfirma Serco unter anderem medizinische Versorgung und Weiterbildung übernommen, im baden-württembergischen Offenburg soll nächstes Jahr ein Gefängnis mit privatisierter Küche, Wäscherei und Gebäudemanagement eröffnen - sind von Konzernen betriebenen Gefängnisse in den USA seit Jahrzehnten Alltag. Im Gegensatz zu den deutschen Modellversuchen, wo weiter das staatliche Gewaltmonopol gilt, die Wachen also Staatsangestellte sind, liefern die amerikanischen Gefängniskonzerne alle Dienste komplett: Von Planung und Bau des Gebäudes über die Wachen bis hin zu Mahlzeiten und Weiterbildung.
Die Privatisierungswelle begann in den 1980er Jahren unter Präsident Ronald Reagan. Dessen Regierung verschärfte die Strafgesetzgebung wesentlich. Plötzlich wurden Straftäter schon für viel geringere Delikte weggeschlossen als zuvor. Die Folge waren chronisch überfüllte Gefängnisse. Um die Lücken schnell und möglichst preisgünstig zu füllen, wurden Verträge mit privaten Betreiberfirmen geschlossen. Darunter war damals schon CCA, dessen Gründer teils selbst ehemalige Politiker waren und somit gute Kontakte zu den Auftraggebern hatten.
Das Geschäftsmodell ist bis heute lukrativ. CCA hat seinen Umsatz im vergangenen Jahr um fast zwölf Prozent gesteigert, den Gewinn um gut 20 Prozent. Konkurrent Geo Group hat in den vergangenen fünf Jahren seinen Umsatz verdoppelt und seinen Gewinn sogar mehr als verdreifacht. Davon profitieren vor allem die Anleger an der Börse. CCA, dessen Name am treffendsten mit "Amerikanische Gesellschaft für Besserungsanstalten" übersetzt werden kann, hat seinen Börsenkurs in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdreifacht, Konkurrent GEO sogar mehr als fast vervierfacht.
Es gibt jedoch kaum eine Branche, die derart umstritten ist wie die der privaten Gefängnisbetreiber. Zwar gibt der Interessenverband APTCO an, dass Privatgefängnisse den Staat bis zu ein Fünftel weniger kosten als öffentliche. Doch es gibt unabhängige Studien, die eine Ersparnis von höchstens einem Prozent errechnet haben. Kritiker argumentieren zudem, in diese Rechnung seien nicht die hohen Folgekosten eingerechnet, die zum Beispiel durch eine Verwahrlosung der Häftlinge entstehen - wie im Jugendgefängnis Coke County.
Einer der größten Kritiker der Gefängniskonzerne ist der Interessenverband Grassroots Leadership in Charlotte, North Carolina. Die Organisation wirft der privaten Gefängnisindustrie vor, ihre hohen Gewinne durch extrem niedrige Löhne für Wachen und andere Angestellte zu erzielen. Deshalb wechselten die Mitarbeiter überdurchschnittlich oft. Laut dem Branchenbericht "The Corrections Yearbook" betrug die Fluktuationsrate der Wachen in US-Privatgefängnissen um den Jahrtausendwechsel 52 Prozent, in öffentlichen dagegen nur 16 Prozent. "Dieser häufige Personalwechsel schlägt sich natürlich auf die Sicherheit nieder", sagt Grassroots-Experte Bob Lidal. Ausbrüche und Misshandlungen von Gefangenen seien weit häufiger als in staatlich betriebenen Haftanstalten.
Auch die New Yorker Fachautorin Judy Greene beschäftigt sich mit Missständen in Privatgefängnissen. Sie beklagt vor allem, dass die privaten Betreiber, um Kosten zu sparen, Häftlinge teils Hunderte Kilometer weit von ihrem Wohnort einsitzen ließen - eben immer dort, wo gerade besonders viele Gefängnisbetten frei seien. "Das heißt, dass die Häftlinge weniger Besuch bekommen und kaum soziale Kontakte haben. Das macht sie gewaltbereiter", sagt sie. Auch die Gesundheitsversorgung lasse in vielen Einrichtungen zu wünschen übrig.
Greene hat eine lange Liste von Zwischenfällen in Amerikas Privatgefängnissen erstellt. Darunter sind viele Aufstände und einige Todesfälle von Gefangenen, die in der Haft ums Leben kamen. Der jüngste ist der von Kenneth Kallenbach, der in diesem April in einem von GEO betriebenen Gefängnis in Pennsylvania starb. Der chronisch kranke Häftling hatte kurz vor seinem Tod seine Mutter angerufen und geklagt, im Gefängnis würden ihm lebenswichtige Medikamente verweigert.
In ihrem Kampf gegen die Gefängniskonzerne nutzen die Aktivisten seit kurzem nun auch die neuen Medien. Vor wenigen Wochen stellten sie auf dem Internet-Videoportal YouTube den Film "Not Here, Not Anywhere" ein, der kritisch über die Branche berichtet. Darin rechnet Grassroots vor, dass zum Beispiel der südliche Bundesstaat Mississippi seine Ausgaben für den Betrieb von Gefängnissen innerhalb der vergangenen 15 Jahre von 46 auf 264 Millionen Dollar pro Jahr gesteigert hat - vor allem durch strengere Gesetze. "Inwiefern ist das genau eine Ersparnis?", fragt der Film provokant. Nach Ansicht der Kritiker ist für diese Ausgabensteigerung vor allem die Tatsache verantwortlich, dass die Lobbyisten der Gefängnisse seit jeher kräftig daran mitstricken, die Strafgesetze zu verschärfen - um somit die Zahl der potentiellen Insassen in den privaten Haftanstalten zu erhöhen. Tatsächlich ist der Anteil der Häftlinge an der Gesamtbevölkerung mittlerweile höher als in allen anderen Ländern. In den USA sitzt jeder 130. Bürger im Gefängnis, in Deutschland nur jeder 1.100.
Momentan sorgt das Thema Immigration für das größte Wachstum in der Branche. Mehrere Bundesstaaten, darunter Texas, haben in den vergangenen drei Jahren die Strafgesetze für illegale Einwanderer massiv verschärft. Das Resultat: 14.000 neue Gefängnisbetten allein in Texas. "An den neuen Regelungen waren die privaten Gefängnisbetreiber mit Sicherheit beteiligt", sagt Grassroots-Aktivist Lidal.
Ein Vorwurf, den die Konzerne selbst weit von sich weisen. Zwar lehnte GEO eine Interviewanfrage zum Thema ab. Bei CCA gibt man sich aber offener. "Wir haben es nicht nötig, die Politik zu unseren Gunsten zu beeinflussen", sagt Mike Quinlan, der das Qualitätsmanagement des Konzerns leitet. Kritiker Lidal ist nicht überzeugt. "Natürlich geben die Konzerne nicht offen zu, dass sie auf schärfere Gesetze hinwirken", sagt er. "Aber was sie hinter geschlossenen Türen den verantwortlichen Politikern sagen, steht auf einem anderen Blatt."
Die Autorin ist USA-Korrespondentin der "Welt"