UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS
Streit um die Frage: Was ist ein Beweisantrag?
Die Wogen der Empörung schlagen hoch im Untersuchungsausschuss. Die "Blockade- und Verweigerungstaktik der Koalition" habe einen "neuen traurigen Höhepunkt" erreicht, entrüstet sich der FDP-Abgeordnete Max Stadler, "die Missachtung des Bundesgerichtshofs durch den Bundestag ist bislang beispiellos." Norman Paech von der Linkspartei wirft Union und SPD einen "Akt des Verfassungsbruchs" vor. Hans-Christian Ströbele (Grüne) meint, die Regierungsfraktionen hebelten Minderheitenrechte aus. SPD-Obmann Michael Hartmann hingegen konstatiert eine "Show der Opposition".
Auf den ersten Blick mutet die Aufregung etwas gekünstelt an, wird doch anscheinend um juristische Spitzfindigkeiten gestritten: Nämlich um die Frage, was ein Beweisantrag eigentlich ist, und ob die Mehrheit von Union und SPD gemäß dem Willen der Minderheit von der Regierung verlangen muss, Akten zum BND-Einsatz in Bagdad während des Irak-Kriegs im Frühjahr 2003 vollständig lesbar und nicht über weite Strecken zensiert zur Verfügung zu stellen. So hat es auf Antrag der Opposition ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden. Gegen dieses Urteil hat die Koalition Widerspruch vor dem BGH-Senat eingelegt und deshalb unter Protest von FDP, Linkspartei und Grünen eine Abstimmung über die Aufforderung an die Regierung vertagt.
Hinter dem im Detail schwer durchschaubaren Hin und Her verbirgt sich ein Konflikt um ein Grundsatzproblem, der auch für künftige Untersuchungsausschüsse von Bedeutung ist: Wie wird ein Beweisantrag definiert, und wie weit reichen die Rechte einer Minderheit? Diese Brisanz erklärt das erbitterte Ringen um diesen Punkt.
Der Ausschuss recherchiert, ob die BND-Zentrale nach Auswertung der von zwei Pullacher Agenten in Bagdad gesammelten Erkenntnisse über einen beim US-Hauptquartier in Katar stationierten Verbindungsmann namens "Gardist" Informationen weitergeleitet hat, die für die US-Kriegführung von Gewicht waren. Diesen Verdacht hegt die Opposition. Liberale, Linkspartei und Grüne wollen nun wissen, welche US-Anfragen über den "Gardisten" an Pullach und die Bagdader Agenten gerichtet wurden. Diese Wünsche ließen "Rückschlüsse darauf zu", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Opposition, "welche Vereinbarungen mit US-Stellen getroffen worden waren über den Umfang der Aufgaben und der Informationsvermittlung der BND-Mitarbeiter in Bagdad und in Katar." Hartmann seinerseits meint, bei der Klärung der Rolle des BND im Irak-Krieg komme es auf die US-Anfragen nicht an. Von Belang seien nur die von Pullach an die US-Armee weitergereichten Nachrichten - und die seien nicht kriegsrelevant gewesen.
Die Regierung hat in den dem Ausschuss übergebenen Akten die US-Anfragen unleserlich gemacht. Begründet wird dies mit den Interessen des Staatswohls. Hartmann meint, über eine Veröffentlichung der besagten Stellen würden letztlich ohnehin die USA befinden. Mit Unterstützung von FDP und Grünen hatte Paech jedoch eine als Beweisantrag formulierte Beschlussvorlage eingebracht: Das Gremium solle die Regierung auffordern, die Akten vollständig leserlich zu machen. Nun müssen Beweisanträge, hinter denen mindestens ein Viertel der Ausschussmitglieder steht, von der Mehrheit eigentlich akzeptiert werden. Gleichwohl legte die Koalition ihr Veto ein. CDU-Obfrau Kristina Köhler: "Union und SPD haben die Beweisanträge der Opposition stets passieren lassen, in der Forderung des Abgeordneten Norman Paech konnte man jedoch keinen Beweisantrag erkennen." Hartmann sekundiert: Der eigentliche Beweisantrag, der auf die Herausgabe der Akten zum BND-Einsatz in Bagdad zielte, sei ja beschlossen worden, und diesem Verlangen sei die Regierung nachgekommen. Wenn die Opposition gegen die Unkenntlichmachung bestimmter Passagen vorgehen wolle, dann müsse sie die Regierung vor dem Verfassungsgericht verklagen.
Allerdings entschied der BGH-Ermittlungsrichter zugunsten von Stadler, Paech und Ströbele: Die Koalition müsse deren Beweisantrag passieren lassen. Paech interpretiert diesen Spruch als "politische Ohrfeige" für Union und SPD. Die Regierungsfraktionen legten hingegen beim BGH-Senat Widerspruch ein, das Urteil wird schon bald erwartet. Köhler: "Es ist nicht zumutbar, dass die Entscheidung des BGH-Ermittlungsrichters der Ausschussmehrheit ein bestimmtes Abstimmungsverhalten vorschreibt". Und Hartmann fragt: "Soll mich denn künftig ein Gerichtsvollzieher zwingen, die Hand zu heben?"
Hochgekocht sind die Emotionen auch deshalb, weil die Koalition die von Karlsruhe angeordnete Abstimmung über Paechs Antrag trotz der Ablehnung der von Union und SPD beantragten Aussetzung des Sofortvollzugs durch den BGH-Richter vertagt hat. Dies sei "absolut inakzeptabel", kritisiert Stadler. Hartmann hingegen sagt, auch gegen diese BGH-Entscheidung habe man Widerspruch eingelegt.
Doch dieses Hickhack markiert nur ein Detail. Im Kern geht es um die Frage, wie künftig Beweisanträge definiert und damit zugelassen werden - weil solche Begehren von der Mehrheit nicht unterbunden werden können, wenn sie von einem Viertel der Ausschussmitglieder eingebracht werden. Ströbele freut sich, dass der BGH-Ermittlungsrichter den Begriff des Beweisantrags "weit ausgelegt hat". Stadler: "Das erleichtert in Zukunft die Arbeit der Opposition." Hartmann übt an der Entscheidung des BGH-Richters freilich scharfe Kritik: "Dessen Definition führt ins Beliebige, wir benötigen klare Kriterien für einen Beweisantrag, das muss der BGH-Senat korrekt klären."
Selbst wenn die Koalition vor dem BGH verlieren sollte, so rechnet man auch bei der Opposition nicht ernsthaft damit, dass die US-Anfragen an den BND offengelegt werden. Diese Weigerung der Regierung würde indes eine bereits beim Verfassungsgericht eingereichte Klage von FDP, Linkspartei und Grünen zusätzlich munitionieren: Mit dieser Beschwerde wollen die drei Fraktionen eine Stärkung der Kontrollrechte von Untersuchungsausschüssen durchsetzen, etwa in Sachen Akteneinsicht.
Der BGH ist noch mit einem weiteren Streitfall im Ausschuss befasst. Im Zusammenhang mit den Journalistenbespitzelungen durch den BND will die Opposition erreichen, dass auch der Fall der deutschen Korrespondentin behandelt wird, deren E-mail-Verkehr mit einem afghanischen Minister während einer Überwachung des Kabuler Politikers im zweiten Halbjahr 2006 mit erfasst worden war. Union und SPD lehnen dies ab: Zum einen handle es sich um eine Angelegenheit der BND-Auslandsaufklärung, und zum anderen beschränke sich der Untersuchungsauftrag auf Vorfälle, die in einem Bericht von Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer vom Mai 2006 dokumentiert seien. Auch diese BGH-Entscheidung wird in naher Zukunft erwartet.