KULTURFÖRDERUNG
Kairo will Kunstmetropole sein, ausländische Regisseure sind willkommen. Doch die Gäste müssen auf Regierung und Publikum Rücksicht nehmen
Nach zwei Monaten in Kairo kann Stefan Kaegi manches nur noch ironisch sehen. "Aha", sagt er bissig, "israelische Fluglinien dürfen in Ägypten also nicht erwähnt werden. Und wie erklären wir den Zuschauern, dass die Moschee direkt neben dem Büro der israelischen Fluglinie liegt?" Die Übersetzerin verdreht die Augen. "Meine Güte, dann riskiere es halt", brummelt sie und zuckt mit den Schultern. Die Passage wird gestrichen, die Proben zum Theaterstück "Radio Muezzin" gehen weiter.
Kurz darauf sitzt Stefan Kaegi nebenan im Café des Kulturzentrums "Al Sawy", das in den Pfeiler einer Brücke hineingebaut ist. Von hier aus blickt man direkt auf den Nil und einige Hochhäuser, die schemenhaft durch Smog und Saharastaub erkennbar sind. Stefan Kaegi, gebürtiger Schweizer, inszeniert im Saal des Kulturzentrums ein Theaterstück mit vier Muezzinen. Keine Schauspieler, sondern echte Muezzine, die in Kairo vom Minarett aus zum Gebet rufen.
Stefan Kaegi ist Teil von "Rimini Protokoll", einer Gruppe von drei Regisseuren, die "dokumentarisches Theater" auf die Bühne bringen. Seit 2004 haben sie ein Büro im Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU). Das HAU bietet experimenteller Kunst ein Forum. Herkömmliches Theater, wie es in vielen deutschen Häusern gespielt wird, hat dort nach eigener Aussage keinen Platz. "Rimini Protokoll" stellt Laien, so genannte "Experten des Alltags", auf die Bühne und lässt sie von sich erzählen. Stefan Kaegi hat mit Lastwagenfahrern, Modelleisenbahnern und Stewardessen gearbeitet. Die Idee zu dem Theaterstück "Radio Muezzin" entstand gemeinsam mit dem Regionalleiter des Goethe-Instituts Kairo, Heiko Sievers, der das Stück mit produziert. Die Muezzine brechen, wie Stefan Kaegi glaubt, auf der Bühne das "verengte Bild" des Islam in Europa auf und öffnen den Blick auf ihre Religion als "gelebten Alltag". Am 3. März war Deutschlandpremiere im HAU in Berlin.
Alle Muezzine haben zuvor in einem anderen Beruf gearbeitet, sie waren Panzerfahrer, Elektriker, einer war sogar Leistungssportler. Auf der Bühne erklären sie, warum sie Muezzine geworden sind, demonstrieren religiöse Rituale - und erzählen von der Angst vor der Arbeitslosigkeit. Denn die Kairoer Stadtregierung möchte die Muezzine durch einen zentralen Gebetsruf ablösen, der per Radio in die Moscheen übertragen und dort über Lautsprecher verkündet wird.
Von Anfang an musste Stefan Kaegi heftige Debatten mit dem Religionsministerium führen, bei dem alle Muezzine im Land angestellt sind. Die Angst der Muezzine vor ihrem Arbeitgeber war groß. "Über viele Dinge wollten die Muezzine daher nicht offen sprechen", bedauert Kaegi. Der teils desas-tröse Zustand der Moscheen musste umschrieben werden. Das Thema Geld war tabu. Und der Staat Israel durfte gar nicht erst erwähnt werden.
Die Volksseele kocht schnell hoch in Ägypten. Als Stefan Kaegi mit der Kamera einen der Muezzine in sein Stadtviertel begleitete, verbreitete sich das Gerücht, Ausländer hätten mit ihrer Kamera Frauen in ihren Wohnungen beobachtet. Auch das deutsche Goethe-Institut, seit 50 Jahren in Kairo ansässig, hat seine Erfahrungen mit den unterschiedlichen Auffassungen von der Freiheit der Kunst gemacht. Zum Beispiel bei einer Vorführung des Spielfilms "Kebab Connection" in einem Kairoer Vorort. In dem Film über junge Migranten in Hamburg wird die Freundin eines jungen Mannes mit türkischen Wurzeln schwanger, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Für die ägyptischen Zuschauer ein Riesenskandal. Das Publikum empörte sich, Familien verließen unter Protest die Vorführung. Die Filmvorführung musste abgebrochen werden.
Dass die konservativen Kräfte in Ägypten erstarken, lässt sich schon im Straßenbild beobachten: Immer mehr Frauen verschleiern sich, immer mehr Männer tragen an ihrer Stirn das Gebetsmal, den Bluterguss vom intensiven Kontakt mit dem Gebetsteppich. Die Muslimbrüder, eine verbotene Organisation, haben inzwischen über eine Million Mitglieder und sind über unabhängige Kandidaten als stärkste Oppositionskraft im Parlament vertreten. Islamisten verübten in den letzten Jahren zahlreiche Anschläge auf touristische Einrichtungen; erst am 22. Februar wurde in Kairo eine Handgranate auf eine Touristengruppe geworfen - trotz der massiven Sicherheitsvorkehrungen. Touristische Einrichtungen werden mit Betonwällen und Sicherheitskräften abgesichert. Autos, die über Land fahren, werden an beinahe jeder Straßenkreuzung kontrolliert.
Experimentelle Kunst hat es in einem solchen Klima schwer. Probleme mit den Machthabern gibt es, wenn Kritik geäußert wird. Nur so ist es zu erklären, dass das Kairoer "Independent Film Festival", 1976 als erstes Filmfestival im Nahen Osten gegründet, vergangenes Jahr bereits zum zweiten Mal in Folge keine Genehmigung von der Zensurbehörde erhielt. 46 Filme aus der ganzen Welt standen auf dem Programm, darunter "Auge der Sonne" von Ibrahim el Battout. Der Ägypter erzählt vom Leben armer und reicher Leute in einem Vorort Kairos, kritisiert die Politik der Machthabenden. Ende November sollte das Festival eröffnet werden, wurde aber mangels Genehmigung verschoben.
Es fand trotzdem statt, einige Tage später, in den Räumen des Goethe-Instituts, einer Stadtvilla im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt. Mit 72 Mitarbeitern, davon 12 Deutschen, arbeitet das Institut für den deutsch-ägyptischen Kulturaustausch. Es zählt zu den wichtigsten Kulturförderern im Land und hat sich Freiräume erarbeitet, die einheimische Einrichtungen nicht haben. Ein Wachmann kontrollierte die Besucher am Eingang, doch das hielt keinen der einigen hundert Zuschauer vom Eintreten ab. Der Saal war überfüllt, ein Teil der Gäste schaute die Filme im Garten des Geländes über einen zweiten Projektor. Aufgrund des Veranstaltungsortes wurde das "Independent Film Festival" jetzt als private Veranstaltung betrachtet, trotz der vielen Zuschauer, unter denen auch Prominente und Medienvertreter waren. "Wir haben den Vorteil, dass wir als exterritorialer Ort nicht der Zensur unterworfen sind", erklärte Goethe-Regionalleiter Heiko Sievers.
Regisseur Kaegi ist zunächst frei von ägyptischen Bedenken. Demnächst touren er und die vier Muezzine auf mehreren Festivals durch Frankreich, Österreich und in der Schweiz. In Ägypten selbst gab es bisher nur einen Auftritt in kleinem Rahmen. Man wollte keine große öffentliche Debatte im Vorfeld provozieren. Zur Berliner Aufführung hatte sich aber das ägyptische Fernsehen angekündigt.