Nahost-Konflikt
Der wenig differenzierte Bericht des Exil-Irakers Najem Wali über seine Israelreise
Die Neugier ist schon durch den schönen Titel des Buches "Reise in das Herz des Feindes" geweckt. Ein Iraker, der nach Israel reist - das ist immer noch ungewöhnlich. Und Najem Wali schraubt die Erwartungen an seinen Reisebericht zusätzlich hoch. Eindringlich beschreibt der Exil-Iraker, wie groß das Tabu immer noch ist, mit dem er bricht: "Die Angst, das Feindesland Israel zu bereisen, schleppt man ein Leben lang mit sich herum." Er erinnert daran, dass in den irakischen Reisepässen und auf den Ausreisevisa bis 2003 immer noch stand: "Alle Länder der Welt außer Israel".
Interessant liest sich auch seine Reflexion darüber, wie bestimmend der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern für seine Biografie und die vieler anderer Araber ist: "Wenn in Israel oder im Nahen Osten jemand zur Welt kommt, dann saugt er die Geschichte des arabisch-israelischen Konflikts mit der Muttermilch auf", schreibt Wadi und macht deutlich, wie die traurigen Daten der vielen Nahost-Kriege die eigenen biografischen Daten mitbestimmte. So wurde Wadi selbst "wenige Tage vor dem Suezkrieg" geboren. Auch sein Versuch, die in arabischen Regimen propagierte Israel-Feindschaft als Lebenslüge der eigenen Unfreiheit zu entlarven, wirkt im Eingangskapitel nachdenkenswert - wobei bereits hier erste Zweifel aufsteigen, ob seine Schilderung der gegenwärtige Lage noch entspricht. So behauptet Wadi, in den arabischen Medien werde der Name Israels nie ohne das Attribut "Feind" erwähnt, was beispielsweise für die arabischen TV-Sender "Al Dschasira" und "Al Arabija" nicht zutrifft. Viele arabische Medien sind in Israel akkreditiert und berichten regelmäßig von dort. Im israelischen Pressebüro der Regierung gibt es für sie eigens eine arabische Abteilung, sogar mit arabisch sprechenden Militärsprechern.
Für Wadi ist die Reise nach Israel immer noch ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, als ihn die Universität Haifa im Frühjahr 2007 zu einer Konferenz "Quo Vadis Irak?" einlädt. Doch mit der Ankunft in Israel beginnt für den erwartungsfrohen Leser leider die Enttäuschung. Denn statt dem Erleben von Israel widmen sich die folgenden Seiten vor allem den unzähligen, für den Autor offenbar beglückenden Begegnung mit irakischen Juden in Israel. Anfang der 1950er Jahre waren mehr als 120.000 irakische Juden nach Israel geflüchtet, die meisten von ihnen gehörten zur Elite des Landes. Kein Wunder also, dass diese Treffen für den Exil-Iraker Wadi eine Welle der Nostalgie über die verlorene Heimat auslösen. "Es ist ein seltsames Paradox, dass ich während meiner langen Exiljahre in Deutschland - 26 Jahre - nie mit irgendjemand in dem Maß über den Alltag in Irak gesprochen habe, wie ich es während meines Besuchs in Israel tat", wundert sich Wadi selbst. Aber durch diese ausschweifenden Betrachtungen kommt das eigentliche Thema des Buches viel zu kurz.
Noch ärgerlicher ist, dass der Schriftsteller sich abseits seiner Irak-Nostalgie in den Beschreibungen des Gastlandes weitgehend auf touristische Erlebnisse stützt. Seine Fahrt auf die Golanhöhen und seine schwärmerische Beschreibung der Landschaft verrät nicht nur wenig schriftstellerisches Talent. Die Beobachtungen sind weitgehend banal. Auch seine sentimental anmutende Begegnung mit Jerusalem lässt jede tiefere Beschäftigung mit der komplizierten, widersprüchlichen Realität des modernen Israels vermissen. Nur selten bricht Wadi aus der engen Welt der Akademiker-Kreise aus, in denen er sich in Israel größtenteils zu bewegen scheint. Auch spürt er Phänomenen wie der Kibbuz-Bewegung in großer Ausführlichkeit nach, die im heutigen Israel kaum noch eine Rolle spielen.
Als erliege er dem missionarischen Eifer eines Konvertiten, lässt sich der Autor zu einem regelrechten Lobgesang auf sein Gastland hinreißen. So versteigt sich Wadi zu der erstaunlichen These, die israelischen Araber lebten besser als in der gesamten arabischen Welt - eine undifferenzierte Verallgemeinerung, die weder der zerrissenen Identität dieser Bevölkerungsgruppe gerecht wird, noch die tägliche Diskriminierung widerspiegelt, die gerade während des israelischen Wahlkampf im offenen Rassismus des Politikers Avidgor Liebermann einen Höhepunkt erlebt hat.
Einen Blick auf das Leben der Palästinenser im besetzten Westjordanland oder im Elendsstreifen Gaza lässt Wadi während seines einmonatigen Aufenthalts in Israel ganz aus. Stattdessen verbreitet er Plattitüden und Vorurteile über die Palästinenser, als führe er einen persönlichen Rachefeldzug. Zu einem besseren Verständnis des komplizierten Nahost-Konflikts beim Leser trägt dies nur sehr wenig bei - eher zu dessen Irreführung.
Dass Wadi nach der Veröffentlichung seines Reiseberichts auf heftigen Widerspruch und Kritik stößt, verwundert deshalb nicht. Dass er nach eigener Schilderung auf der Kairoer Buchmesse nicht mehr willkommen ist und sogar auf Todeslisten des irakischen Widerstandes gelistet wird, ist dagegen inakzeptabel. Lesenswert ist das Buch leider dennoch nicht.
Reise in das Herz des Feindes. Ein Iraker in Israel.
Carl Hanser Verlag, München 2009; 239 S., 17,90 ¤