RUNDFUNK
Die Prüfungen öffentlich-rechtlicher Internet-Angebote verursachen extrem hohe Kosten
Die medienpolitische Auseinandersetzung zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und den privaten Rundfunkveranstaltern hat ein neues, unübersichtliches Schlachtfeld - den "Drei-Stufen-Test". Er muss mit dem Inkrafttreten des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags am 1. Juni für alle bestehenden und künftigen Online-Angebote der Anstalten durchgeführt werden, die über die unmittelbare Programmbegleitung hinausgehen. Zu diesen "Telemediendiensten" gehören beispielsweise die Mediatheken von ARD und ZDF, in denen die Beiträge der Sender nach ihrer Ausstrahlung zum Runterladen zur Verfügung stehen oder die geplante multimediale Vorschul-Plattform des Kinderkanals, "Kikaninchen".
Den Öffentlichen-Rechtlichen stößt hierbei besonders auf, dass auch längst etablierte Angebote wie "tagesschau.de" oder selbst der Videotext nochmals überprüft werden müssen. Hierfür ist eine Übergangsfrist bis 2010 vorgesehen. Schon vor der offiziellen Prüfpflicht haben erste Sender "Drei-Stufen-Tests" gestartet, so der Norddeutsche Rundfunk (NDR) über seine Mediathek und der für den Kinderkanal zuständige Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) für "Kikaninchen".
Zuständig sind dafür die Rundfunkräte bei den ARD-Anstalten und beim Deutschlandradio sowie der Fernsehrat des ZDF. Schon hieran gab es vorher Kritik: Denn die Gremien sind mit ehrenamtlichen Vertretern der gesellschaftlich relevanten Gruppen und nicht Medienjuristen und -ökonomen besetzt. Doch sie müssen nun an Hand von drei Kriterien prüfen, inwieweit "das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht" - also überhaupt durch den öffentlich-rechtlichen Auftrag gedeckt ist; "in welchem Umfang das Angebot in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb bei- trägt" - also einen Mehrwert gegenüber schon bestehenden Angeboten bringt, und "welcher finanzielle Aufwand für das Angebot erforderlich ist".
Bei der Prüfung des Mehrwerts sind zudem die "marktlichen Auswirkungen", also die Folgen für bereits bestehende Angebote zum Beispiel von Privatsendern und Verlagen zu berücksichtigen. Hierzu können die Gremien Stellungsnahmen abgeben, die der Rundfunkrat in seine Entscheidung einbeziehen muss. Um hier Defizite bei den ehrenamtlich tätigen Gremien auszugleichen, sind zu diesem Punkt außerdem zwingend unabhängige medienökonomische Gutachten einzuholen.
Kritik entzündet sich vor allem an den Kosten des Verfahrens: Die ARD kalkuliert allein für die Überprüfung ihres bestehenden Telemedien-Angebots mindestens fünf Millionen Euro ein, die aus den laufenden Etats der Anstalten bestritten werden müssten. Auch beim ersten "Drei-Stufen-Test" für ein neues Angebot erhitzen Finanzfragen die Gemüter: So soll allein ein Gutachten beim MDR, das die geplante Online-Plattform "Kikaninchen" mit dem bereits bestehenden Angebot "toggolino.de" des Privatsenders SuperRTL vergleicht, nach Presseberichten rund 220.000 Euro gekostet haben. Die jährlichen Kosten für "Kikaninchen" sollen laut MDR nur bei rund 320.000 Euro liegen. Ob "Kikaninchen" wie geplant zum Jahresende starten kann, wird der MDR-Rundfunkrat im Herbst entscheiden.
Einige ARD-Anstalten und der Lobby-Verband der Privatsender, VPRT, nutzen das Verfahren für einen fortgesetzten Schlagabtausch. So wagte NDR-Justiziar Werner Hahn Anfang Mai beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland die "düstere Prognose", eine "beabsichtigte Nebenwirkung" des teuren und aufwändigen Verfahrens sei, den "öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erdrosseln". Die Privatsender nutzten ihre Mitwirkung lediglich zur Kritik und versuchten, die Rundfunkräte vor sich herzutreiben, so Hahn. Auch wenn der NDR seinen freiwilligen "Drei-Stufen-Test" zur Mediathek positiv abgeschlossen hat und diese seit Anfang April nun online ist, rechnet der NDR-Justiziar mit weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen. Entsprechende Klagen würden bestimmt schon vorbereitet, sagte Hahn in Leipzig. Die ARD sei ihrerseits gerüstet, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen: "In allerletzter Instanz" müsse dann eben Karlsruhe entscheiden. Auch ZDF-Justiziar Carl-Eugen Eberle sieht beim "Drei-Stufen-Test" weiteren Diskussionsbedarf, da aufgrund von Vorgaben der EU-Kommission den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern ein Verfahren übergestülpt werde, "das auf uns nicht passt". Damit spielt Eberle auf den so genannten Public-Value-Test der britischen BBC an, der teilweise als Vorbild für den deutschen "Drei-Stufen-Tests" herangezogen wurde.
Doch bei ARD und ZDF sehen nicht alle Beteiligten den "Drei-Stufen-Test so kritisch. Das Verfahren biete auch die Möglichkeit einer "Rückversicherung" für die Qualität bei den Öffentlich-Rechtlichen, sagte ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann bei einer Fachtagung des Initiativkreises Öffentlicher Rundfunk (IÖR). Zudem stärke es die Rolle der Gremien deutlich, die so vom Erfüllungsgehilfen der Anstalten zu einem echten Kontrolleur des öffentlich-rechtlichen Systems werden könnten. Sollten sie dabei allerdings versagen, droht mancher Medienpolitiker ganz unverhohlen mit drastischen Maßnahmen: Als eine "Art Damoklesschwert für die Gremien" bezeichnet Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger den "Drei-Stufen-Test". "Er basiert auf dem Vertrauen, dass die Gremien nicht alles durchwinken". Sollte dieses Vertrauen enttäuscht werden, könnten die für die Rundfunkordnung zuständigen Bundesländer die Entscheidung über neue digitale Angebote sonst auch an "externe Gutachter" vergeben, so Oettinger.