Matti Nedoma ist fix und fertig. Vier Tage lang hat der 20-Jährige als Teilnehmer des Planspiels "Jugend und Parlament" vom frühen Morgen bis tief in die Nacht beraten, koaliert, verhandelt und geklüngelt. 308 Jugendliche aus ganz Deutschland nahmen am 15. und 16. Juni die Rolle eines Bundestagsabgeordneten ein. Mit neuem Namen, neuer Biografie und manchmal auch neuer politischer Gesinnung brachten sie ihre Gesetzesinitiativen durch Landesgruppen, Fraktionen und Arbeitsgruppen. So wurde aus Matti Nedoma der Fraktionsvorsitzende der Arbeiterpartei Deutschlands (APD), Nils Nabiar (am Rednerpult).
Bei der Beratung der Gesetzesvorlagen im Plenarsaal am 16. Juni kamen Redner aller fiktiven Parteien zu Wort: der Konservativen Volkspartei (KVP), der Liberalen Reformpartei, der Partei der sozialen Gerechtigkeit (PSG), der Ökologisch-Sozialen Partei (ÖSP) und eben der APD. Vier Punkte umfasste die Tagesordnung: eine Grundgesetzänderung zur Einführung von Elementen direkter Demokratie, ein Gesetzentwurf zur Berücksichtigung von Kindererziehung bei der Festlegung der Rentenbeiträge, ein Beschluss über ein Mandat zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in Lateinamerika und ein Gesetz zur Erhöhung des Anteils von Biokraftstoffen. Die Vizepräsidenten des Bundestages leiteten die emotionsgeladenen Debatten, in denen Redner wie Nabiar als "Kriegstreiber" oder "Gesicht der Profillosigkeit" bezeichnet und Minister zum Rücktritt aufgefodert wurden.
Klartext redeten die Teilnehmer des Planspiels auch in der Diskussion mit den Vorsitzenden der echten Bundestagsfraktionen. Nils Nabiar berichtete, dass er als Vorsitzender der großen APD-Fraktion kaum mit inhaltlichen Fragen beschäftigt gewesen sei. Vielmehr gehe es darum, "mit allen Finessen den Laden zusammenzuhalten und für ein geschlossenes Abstimmungsverhalten zu sorgen. Das macht schon Probleme". Das veranlasste seinen sozialdemokratischen Gegenpart Peter Struck zu der Feststellung: "Ich habe in jeder Fraktionssitzung einen Aufstand von irgendjemandem."
Die Vertreter der kleinen Parteien im Jugendparlament hatten mit anderen Problemen zu kämpfen. "Der Sinn politischer Arbeit besteht doch darin, etwas zu verändern, und das geht für kleine Parteien nur über Koalitionen", bemerkte ÖSP-Fraktionsvorsitzende Charlotte Stein. "Es ist deprimierend, wenn wir mit unseren Vorschlägen nur Druck ausüben können, aber selten Erfolgserlebnisse haben." Renate Künast von den Grünen pflichtete ihnen bei: "Kontrolle ist schwierig gegen eine Koalition mit Zweidrittelmehrheit." Charlotte Stein heißt im richtigen Leben übrigens Lisa Zeller und ist Mitglied der Jungen Union. Bei der ÖSP hat sie sich dennoch gut zurecht gefunden: "Sich in einer neuen politischen Umgebung zu orientieren ist doch der Sinn eines solchen Planspiels. Da war die grüne Doppelspitze sehr hilfreich."
Egal mit welcher Partei sie nun im wirklichen Leben oder im Planspiel sympathisierten, am Ende der Veranstaltung galt der Applaus der 308 Jungparlamentarier dem Bundestagspräsidenten. Norbert Lammert (CDU) sprach in seinem Schlusswort die wichtige Rolle der Parteien im parlamentarischen Geschehen an: "Ohne die Organisation in Parteien kann man im Bundestag nichts bewegen. Und um etwas zu bewegen, darf man Niederlagen nicht als gegeben hinnehmen, darf nie nachlassen und muss immer wieder aufs Neue für seine Überzeugungen kämpfen."
Weiter für seine Überzeugungen kämpfen wird auch Matti Nedoma. Seine Existenz als APD-Fraktionschef Nils Nabiar hat er abgelegt und ist wieder Stadtrat für die Linkspartei in Cottbus. "Als Außenstehender kann man es sich kaum vorstellen, wie intensiv im Bundestag gearbeitet wird", sagt er. "Wir haben bis tief in die Nacht verhandelt, haben nur noch funktioniert, aber am Ende waren wir glücklich, wenn die Gesetze auch nur ein klein wenig unsere Handschrift getragen haben."