Parteien
Gabor Steingarts Fundamentalkritik schießt übers Ziel hinaus
Haben Sie sich schon entschieden? In wenigen Wochen ist es soweit. Am 27. September hat Deutschland die Wahl. Für manch einen geht es dabei um eine winzige Frage: Merkel oder Steinmeier - wer ist der bessere Obama? Für dieses Duell twittern deutsche Politiker a la Amerika, während sich die Kanzlerkandidaten in sogenannten "Townhall-Meetings" präsentieren. Wohin man schaut ist "Obamania". Die Mätzchenmacher der Parteien, sie stürzen sich auf die Bundestagswahl, als ginge es darum, sich fit fürs Weiße Haus zu machen.
Jüngst war das noch anders. Was hatte manch einer die Nase gerümpft, als in eben jenem Weißen Haus George W. Bush regierte - ein Präsident, der zwar die Stimmenmehrheit der Wahlmänner, nicht aber die der amerikanischen Bürger auf sich vereinen konnte. Als "undemokratisch" erschien da vielen in Deutschland jenes Amerika, das man nun am liebsten kopieren würde. Denn mit Barack Obama gilt erneut das Goethe-Wort. "Amerika, du hast es besser!" Oder um es mit dem Vokabular eines anderen eifrigen Bücherschreibers zu formulieren: "Amerika hat den Weg zu neuer Leidenschaft beschritten." Dieser Satz, er stammt von Gabor Steingart. Seit zwei Jahren leitet der Journalist das Washingtoner Büro des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". In dieser Zeit hat Steingart den Präsidentschaftswahlkampf miterlebt - ein Ereignis, das ihn tief bewegt hat. Pünktlich zur Bundestagswahl hat er nun ein Buch geschrieben, das hart ins Gericht geht mit der hiesigen Parteiendemokratie. Unter dem Titel "Die Machtfrage" unterzieht es deren Protagonisten einer Art Obama-Test.
Ausgangspunkt ist eine simple Frage: Warum gelingt es Obama, Euphorie zu erzeugen, während das hiesige Personal allenfalls schläfrige Füße produziert? Da ist zum Beispiel Frank-Walter Steinmeier: Dem bescheinigt Steingart zwar Klugheit; es fehle ihm aber der nötige Mut: "Die Kanzlerkandidatur hat er sich nicht im Kampf geholt, sondern im Hinterzimmer gesichert. Der Kontrast zu den amerikanischen Demokraten, die ihren Spitzenkandidaten Barack Obama in einer Urabstimmung mit mehr als 40 Millionen Wählern nominierten, könnte augenfälliger nicht sein." Und bei der CDU sieht es nicht anders aus. Während alle Welt die Authentizität des neuen US-Präsidenten rühme, verspräche Angela Merkel im Wahlkampf jedem nahezu alles. Das Kalkül: "Die einen sollen jene Merkel wählen, welche die anderen nicht mal grüßen würden - und umgekehrt."
Steingarts Diagnose ist eindeutig: Deutschland leidet an Erstarrung. Schuld daran: die politischen Parteien. In 60 Jahren Bundesrepublik hätten sie das Land in eine "Demokratie von oben" verwandelt. Während sich in den USA die überzeugendste Persönlichkeit durchsetze, übten sich hier Strippenzieher in "demokratischem Feudalismus". Die Parteien, so Steingarts Fazit, seien strukturell erschöpft. "Ihnen fehlen die körperlichen und geistigen Voraussetzungen, um Deutschland im 21. Jahrhundert führen zu können"
Nun ist Kritik an Parteien beileibe nicht neu. Kaum ein Bundespräsident hat es etwa unterlassen, diesen ins Gewissen zu reden. Steingart aber geht weiter - und schießt dadurch übers Ziel hinaus. Sein Fehler: Er will hiesige Politik am amerikanischen Maß ausrichten. Doch Deutschland ist nicht Amerika. Wer dennoch den Vergleich wagt, der wird zu Ergebnissen kommen, die nicht in die Rechnung passen. Beispiel Wahlbeteiligung: Gingen bei der Obama-Wahl 66 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen, so waren es bei der letzten Bundestagswahl 77,7. Steingart lässt diese Zahlen unerwähnt. Sie passen nicht in sein Szenario von der "unterkühlten" Demokratie. Zweifelsohne: Es gibt viel zu kritisieren an den hiesigen Parteien. Doch solch Kritik, sie sollte fair bleiben. Am 27. September ist Bundestagswahl. Es geht dabei nicht um Obama, und es geht nicht um journalistischen Mummenschanz.
Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers.
Piper Verlag, München 2009; 224 S., 14,95 ¤