CHINA
Die Uiguren im Westen des Landes fühlen sich an den Rand gedrängt und diskriminiert
Die blutigen Ausschreitungen in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang waren vermutlich das letzte, was sich die chinesische Führung vorstellen konnte, als sie vor neun Jahren ihr Programm zur Entwicklung des Westens startete. Millionen von Yuan hat Peking seitdem in die ärmliche Provinz gepumpt. Doch obwohl der Lebensstandard kontinuierlich steigt, wächst die Unzufriedenheit unter den muslimischen Uiguren. Die Frustration machte sich bei den Unruhen am 5. Juli in der Provinzhaupstadt Urumqi Luft, bei denen vermutlich weit mehr als 150 Menschen ums Leben kamen.
Für viele Experten kam der Gewaltausbruch wenig überraschend. Seit langem ist das Verhältnis zwischen den Uiguren und den Han-Chinesen gespannt. "Die Regierung hat enorme Anstrengungen unternommen, Xinjiang zu entwicklen", sagt Barry Sautman von der Hongkonger Universität für Wissenschaft und Technologie, "aber die Früchte dieser schnellen Entwicklung sind sehr ungleich verteilt." So beklagen Uiguren, dass die Wirtschaft fest in der Hand der Han-Chinesen sei und besser bezahlte Jobs an die Chinesen gingen. Die Han-Chinesen, die vor allem in den Städten leben, sind meist besser ausgebildet als die Uiguren, von denen viele nur schlecht Chinesisch sprechen. Auch das trägt zur Ungleichheit bei. Seit die Volksrepublik sich 1949 Xinjiang einverleibte, gärt es daher immer wieder in der rohstoffreichen Region, durch die einst die alte Seidenstraße führte. Viele Uiguren empfinden die Chinesen als Kolonisatoren, die ihren Traum von einem unabhängigen Ost-Turkistan zerstört haben.
Ein Mehr an Autonomie wird von Peking aber weder in Xinjiang noch sonst irgendwo in der Volksrepublik geduldet. Die Forderungen der Uiguren nach mehr religiösen und kulturellen Freiheiten werden von der Zentralregierung als Separatismus kriminalisiert. Peking regiert die Region mit harter Hand: Menschenrechtsgruppen beklagen willkürliche Verhaftungen, Folter und Prozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Viele Experten sehen in den Repressionen einen Grund für die wachsende Radikalisierung gerade auch jüngerer Uiguren. Hinzu kommt der Aufstieg des militanten Islam in Teilen Zentralasiens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Seit den 1990er Jahren kam es in Xinjiang immer wieder zu Anschlägen.
Die Organisationsstrukturen etwaiger militanter Gruppen sind nur schwer zu durchschauen. Wie stark etwa die als Terrororganisation eingestufte Ost-Turkistanische Islamische Bewegung (ETIM) ist, weiss niemand genau. Peking behauptet, es gäbe Verbindungen zu Al Qaida. Aber nach Einschätzung von Xinjiang-Forscher Dru Gladney sind die meisten von China vorgelegten Informationen über die ETIM wenig glaubwürdig. Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International werfen Peking zudem vor, den Anti-Terror-Einsatz als Vorwand für die Unterdrückung der uirgurischen Minderheit zu nutzen.